Nachdem wir in der ersten Kolumne über die Grundlagen und Eigenschaften agiler Unternehmenskultur geschrieben haben, wollen wir jetzt von eigenen konkreten Erfahrungen in einem spannenden Changeprojekt berichten und dabei auf hybrides Projektmanagement sowie auf OKRs (Objectives and Key Results) genauer eingehen. Schließlich zeigen wir die Grenzen agiler Unternehmenskultur auf.
Für die IT-Abteilung eines namhaften Universitätsklinikums führten wir mit unserem GÖK und NextHealth Team einen umfangreichen Strategie- und Changeprozess durch mit dem Ziel, die Abteilung so aufzustellen, dass sie sich vom reinen IT-Dienstleister zum Motor und Schrittmacher für die digitale Transformation des Uniklinikums entwickeln würde. Dafür war es notwendig, die zukünftige inhaltliche Ausrichtung sowie die Organisation und die Führungs- und Kommunikationskultur der Abteilung mit intensiver Mitwirkung der Mitarbeitenden zielgerichtet in die Veränderung in Richtung eines wirklichen „Digital Enablers“ zu bringen. Eine gemeinsam durchgeführte Aufgaben- und Schnittstellenanalyse in den verschiedenen Bereichen der bisherigen Linienorganisation zeigte allen den Weg hin zu neuen, agilen Organisationsformen. Mehr Aufgaben- und Kundenorientierung und mehr Selbstständigkeit bei der Bewältigung von Aufgaben sollten in einer vollkommen neuen Form einer weitgehend agilen Teamorganisation ermöglicht werden.
Die fachliche Basis bildeten 5 bis 8 Mitglieder umfassende aufgabenorientierte BaseTeams mit den dementsprechend thematisch sinnvoll zusammengefassten
IT-Expert:innen, von denen jede/r fest einem BaseTeam zugeordnet ist. Die erforderliche Dynamik der Organisation ergibt sich aus temporär und anlassbezogenen gebildeten Flex- und Projekt-Teams, deren Mitglieder sich aus den BaseTeams bedarfsgerecht zusammensetzen. Jede Person kann also zur selben Zeit mehreren Teams zugeordnet sein, in dem tägliche Aufgaben zu verrichten sind. Diese Organisationsform setzt Führungskräfte voraus, die bereit sind, loszulassen und Mitarbeitende eigene Antworten innerhalb eines klaren organisationalen Rahmens finden zu lassen. Es bedarf weiterhin flexible Mitarbeitende, die bereit sind, selbst Verantwortung zu übernehmen und selbstständig Aufgaben im vorgegebenen Rahmen zu lösen. Die verschiedenen Teams vernetzen sich aufgabenbezogen, tauschen sich aus und bearbeiten Probleme und Projekte auf diese Weise anforderungsentsprechend gemeinsam. Statt Positionen mit Privilegien und Rechten gibt es Rollen mit Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Kompetenzen. Dabei kann eine Person durchaus zugleich mehrere Rollen innehaben, beispielsweise im BaseTeam und in einem FlexTeam.
Das Team „Projects & Budget“ organisiert und steuert die Projekte in der IT-Abteilung und für das Universitätsklinikum mit hybriden Projektmanagementmethoden, die wir im Laufe des Changeprozesses gemeinsam implementiert haben. Hybrides Projektmanagement nennt sich so, weil es verschiedene Ansätze und Methoden des Projektmanagements kombiniert. Es gibt dabei immer eine klare Projektstruktur mit Definition der Projektziele, Meilensteine und zu erzielenden Ergebnisse (Deliverables), was man auch aus dem herkömmlichen „Wasserfallmodell“ kennt. Zusätzlich werden als agile Elemente Methoden wie Scrum oder Kanban angewendet, um über die Sprints und Zwischenabnahmen Flexibilität und Anpassungsfähigkeit bei sich ändernden Anforderungen zu gewährleisten. Die Projektteams bauen auf multifunktionale Teammitglieder mit verschiedenen Fähigkeiten und Fachkenntnissen sowie selbstorganisierende Teams für agile Ansätze. Die Kommunikation und die Tools werden an die Anforderungen verschiedener Projektphasen flexibel angepasst und relevante Interessengruppen werden während des gesamten Projekts fortlaufend einbezogen. Ein hybrides Projektmanagement integriert also effektiv verschiedene Methoden und Praktiken, um flexibel auf die spezifischen Anforderungen und Dynamiken eines Projekts zu reagieren, was insbesondere im Bereich IT und „Digitale Transformation“ bedeutsam ist.
Man verbindet Menschen in Projekten und Organisationen schon immer mit Zielen und Aufgaben, wenn es eine übergeordnete Strategie gibt. Dabei sind eher langfristige strategische Ziele und eher kurzfristige zu unterscheiden, die Abteilungen und Teams befähigen, gute Ergebnisse im Sinne der übergeordneten strategischen Stoßrichtungen zu erzielen. OKR ist hierfür die agile Methode der Wahl und steht für „Objectives and Key Results“, während es nach wie vor unternehmensweite Projekte im herkömmlichen Sinne gibt, wenn es sich um größere Veränderungsthemen handelt.
Als Objectives bezeichnet man klare, messbare inspirierende Ziele für einzelne Teams, die auf die Vision und die strategischen Ziele der Gesamtorganisation einzahlen. Das TOP-Zielbild dient sozusagen als Leitstern für die Teams und Individuen, um sich auf den wesentlichen Ziel- und Ergebnisbeitrag im eigenen Bereich zu konzentrieren. Key Results sind jeweils den Objectives zugeordnete Schlüsselergebnisse, die konkrete und messbare Meilensteine darstellen, sie sind spezifisch, quantifizierbar, erreichbar, relevant und terminiert (SMART-Kriterien).
OKRs unterstützen eine agile Herangehensweise, indem sie Teams ermöglichen, in kurzfristigen Perioden von 3-6 Monaten zielgerichtet zu arbeiten und sich regelmäßig mit neuen OKRs auf sich ändernde Umstände flexibel einzustellen. OKRs können ausgehend von den sogenannten MOLs (Midterm-Goals – strategische übergeordnete Ziele) von der Unternehmensebene bis zu individuellen Team- und Mitarbeiter-Ebenen kaskadiert werden, um sicherzustellen, dass alle auf die gleichen Ziele hinarbeiten. Sie erfordern Abstimmung und regelmäßige Überprüfungen sowie Aktualisierungen, um sicherzustellen, dass die Teams auf dem richtigen Weg sind und sich auf die wichtigsten Prioritäten sowie auf die übergeordneten Ziele konzentrieren.
Um darauf zurückzukommen…, die Restrukturierung der IT-Abteilung ist im laufenden Projekt umgesetzt worden und entwickelt sich innerhalb des Uniklinikums bis heute erfolgreich immer weiter.
Abb.1: Die mittel- und kurzfristige Hierarchie von Zielen und Maßnahmen unter Berücksichtigung von OKRs (Quelle: GÖK Consulting GmbH).
Die Grenzen agiler Unternehmenskultur
Obwohl agile Unternehmenskultur viele Vorteile bietet, gibt es auch Grenzen und Herausforderungen, die bei der Implementierung berücksichtigt werden müssen. Wirkliche Agilität setzt immer einen tiefgreifenden kulturellen Wandel voraus mit Änderung der eigenen Haltung. Dies kann Widerstand und Unsicherheit bei Mitarbeitenden und auch bei Führungskräften hervorrufen. Traditionelle Führungskräfte müssen ihre Rolle und ihre Denkweise ändern, um die Selbstorganisation von Teams zu unterstützen und auch loszulassen, was für manche schwer umsetzbar ist. Weiterhin können agile Prinzipien möglicherweise nicht problemlos auf große und komplexe Organisationen übertragen werden. Dies zeigt sich auch in der oben beschriebenen Uniklinik. Hier schaut man aus anderen Bereichen zwar mit Neugierde und Wertschätzung auf die sich stark verändert habende und ziemlich agile IT-Abteilung, doch ist es nicht ohne weiteres möglich, Agilität auch in anderen Bereichen zu implementieren oder aufrechtzuerhalten.
Entsprechend den Anforderungen einer Matrixorganisation ist in agilen, dezentralisierten Organisationen eine klare und effektive Kommunikation entscheidend. Wenn dies nicht gewährleistet ist, können leicht Missverständnisse und Ineffizienzen auftreten. Auch kann die Erfolgsmessung in agilen Organisationen komplex sein, da es sich meist um Ergebnisse sich selbst organisierender und harmonisch zusammenwirkender Teams handelt und die Einzelleistung wie bei einem Orchester erst am Gesamtklang des Werkes zu beurteilen ist. Agilität und Subsidiarität können weiterhin auf Grund der Mehrdimensionalität dazu führen, dass Risiken schneller erkannt und angegangen werden, bergen aber auch die Gefahr, dass Unternehmen zu risikofreudig werden und ihre nach wie vor wichtigen Führungs- und Kontrollaufgaben vernachlässigen.
Agile Unternehmenskultur ist ein wichtiger Ansatz für Organisationen, die in einer schnelllebigen und sich ständig verändernden Welt erfolgreich sein möchten. Agilität bietet die Möglichkeit, flexibel auf neue Herausforderungen zu reagieren, Patienten und Kunden besser zu bedienen und Innovationen und Entwicklung voranzutreiben. Dies gilt auch für Unternehmen im Gesundheitswesen, wenn auch nicht in gleicher Weise für alle Abteilungen und Disziplinen. Dabei ist immer auf die kulturellen und organisatorischen Grundlagen zu achten, damit Agilität kein Feigenblatt wird. Der kulturelle Wandel und die Flexibilität und Bereitschaft zur Selbstverantwortung der Beteiligten und insbesondere der Führungskräfte sind dabei wichtiger als das „technische“ Trainieren von Methoden!
Doch der Wandel beginnt immer bei einem selbst. Viel Erfolg bei der Einführung von mehr Agilität und Mut beim Experimentieren wünschen wir Ihnen, denn wie heißt es so schön: Auf der anderen Seite vom Pferd gefallen ist noch lange nicht geritten!
Pia Drauschke und Stefan Drauschke im November 2023