Nachdem wir uns in der letzten Kolumne über Schuld, Verantwortung, Verzeihen und Vergeben Gedanken gemacht haben (Quelle: Über Schuld, Verantwortung, Verzeihung und Vergebung (Changebrief 110) – NextHealth), wollen wir uns nun auf der anderen Seite einmal mit dem Thema Dankbarkeit befassen. Immer öfter hat es den Anschein, dass Dank ein wenig „aus der Mode“ gekommen ist und immer seltener anzutreffen ist.
Und was für ein Zufall, dass sich gerade bei der Arbeit an dieser Kolumne tatsächlich Folgendes zugetragen hat: Wir sprachen mit einer Interessentin für den kommenden Frühjahresretreat, die einige Jahre vor dem Ende ihres aktiven Berufslebens steht und sich schon jetzt darüber Gedanken macht, was dann die neuen Lebensschwerpunkte sein sollten. Sie erklärte überraschend, dass sie sehr dankbar ist, in welchem schönen Land sie lebt (sie meinte Deutschland!) und dass sie daher ein soziales Jahr absolvieren wolle, um wenigstens ein wenig der Gesellschaft zurückzugeben bei dem vielen Guten, was sie bisher empfangen durfte. Wir waren ein wenig sprachlos, denn so etwas hört man heutzutage selten. Vielmehr wird häufig geklagt und gejammert, beneidet, schamlos ausgenutzt und gegen Andere geätzt – nicht nur in der Politik, auch in vielen Unternehmen kommt das vor.
Als Coaches wissen wir, dass schlechte Gefühle letztlich denjenigen schaden, die sie haben. Dankbarkeit ist i.d.R. mit einem guten Gefühl verbunden, weshalb wir ihr ein wenig nachspüren wollen.
Dankbarkeit aus der Perspektive des Coachings hat eine vielseitige Bedeutung, die sich auf verschiedene Ebenen des persönlichen Wachstums, der zwischenmenschlichen Beziehungen und der Zielverwirklichung bezieht. Wir wollen einige zentrale Bedeutungen von Dankbarkeit aufzeigen.
Dankbarkeit als Mindset für Lösungsorientierung
Im Coaching wird Dankbarkeit oft als eine Haltung oder Denkweise verstanden, die es einem ermöglicht, den Fokus von Mangel auf Fülle zu verschieben. Diese Perspektive hilft dabei, den Blick auf das Positive zu lenken, statt sich auf das zu konzentrieren, was fehlt oder was schiefgelaufen ist. Ein dankbarer Mensch erkennt die Ressourcen und Chancen, die ihm zur Verfügung stehen, und lernt, das Gute in seiner Situation zu sehen, und das wiederum steigert das Wohlbefinden. In einem schlechten Gefühlszustand ist der Zugang zu Ressourcen oft versperrt, weshalb man hierfür den Begriff „Stuck-State“ verwendet. Man steckt fest in einer Art von „Problemtrance“. Der Begriff „Trance“ ist im hypnosystemischen Zusammenhang anders zu verstehen als im üblichen Sprachgebrauch. Es geht hier darum, wo sich der „Scheinwerfer des Unbewussten“ befindet. Ein guter Coach oder eine versierte Führungskraft probiert immer, von der „Problemtrance“ in die „Lösungstrance“ zu führen mit den richtigen Fragestellungen und Interventionen. Ein guter Gefühlszustand hilft, Herausforderungen aus einer lösungsorientierten Perspektive zu betrachten und den Zugang zu Ressourcen zu öffnen als Voraussetzung dafür, anstehende Probleme und Herausforderungen zu bewältigen.
Dankbarkeit als Strategie zur Selbstmotivation und als Kraftquelle zur Zielerreichung
Dankbarkeit kann auch genutzt werden, um sich selbst zu motivieren und inneren Antrieb zu entwickeln – auch in schweren Zeiten. Im Coaching empfehlen wir oft, regelmäßig Momente der Dankbarkeit zu empfinden und zu kultivieren, um den Fokus auf das zu richten, was bereits erreicht wurde. Dies fördert das Selbstwertgefühl, das Bewusstsein für eigene Fähigkeiten und die Selbstwirksamkeitserwartung sowie ein Gefühl von Erfüllung. Gleichzeitig reduziert sich die Tendenz, sich von Rückschlägen entmutigen zu lassen.
Wenn es darum geht, Ziele zu setzen und zu erreichen, dann hilft Dankbarkeit, die eigene Motivation zu verstärken und die Fortschritte auf dem Weg zum Ziel zu würdigen.
Dankbarkeit als Verstärker von zwischenmenschlichen Beziehungen
Im Kontext von Beziehungen sowohl in der persönlichen als auch in der beruflichen Sphäre wirkt tatsächlich empfundene Dankbarkeit stets verbindend und verstärkend. Dankbarkeit zeigt Wertschätzung und Anerkennung gegenüber Anderen und fördert eine positive, unterstützende Kommunikation. Wir empfehlen, auch kleinen Gesten und Erfolgen in Beziehungen dankbar zu begegnen, da dies Vertrauen und Kooperation stärkt. Auf diese Weise werden ein positives und respektvolles Miteinander gefördert und zwischenmenschliche Bindungen vertieft.
Dankbarkeit als Resilienzfaktor
Dankbarkeit ist eine der Schlüsselressourcen in Zeiten von Stress und Krisen, wie wir sie derzeit mit der Vielzahl von Stapelkrisen (Corona, Klima, Kriege, Politik und mehr), erleben. Dankbarkeit unterstützt Sie dabei, die Perspektive zu wechseln und den Blick auf das zu richten, was im Leben trotz Herausforderungen und Bedrohungen gut läuft und in der Vergangenheit gut gelaufen ist. Das hilft, die Fähigkeit zu verbessern, mit Widrigkeiten lösungsorientiert umzugehen und stärkt die Resilienz und psychische Widerstandskraft. Auch bei persönlichen Verletzungen, zwischenmenschlichen Konflikten oder beruflichen Rückschlägen trägt Dankbarkeit dazu bei, negative Emotionen wie Groll oder Ärger zu transformieren und das emotionale Gleichgewicht wiederherzustellen. Das wiederum unterstützt auch den Prozess der Vergebung, wie in der letzten Kolumne beschrieben.
Dankbarkeit als Verstärker für Selbstreflexion und Achtsamkeit
Dankbarkeit ist eng mit Achtsamkeit verbunden, weil sie eine Möglichkeit bietet, sich weg von abstrakten Sorgen und Gedanken in den gegenwärtigen Moment zu bringen und eine tiefergehende Selbstwahrnehmung zu fördern. Auf diese Weise nimmt man sich und das eigene Leben intensiver und positiver wahr und ist auf das Hier und Jetzt konzentriert.
Nun stellt sich die rhetorische Frage, wer denn die Entscheidung darüber trifft, öfter einmal dankbar zu sein oder sich sogar dankbar zu zeigen, wenn doch so viele Chancen und Vorteile damit verbunden sind?
Wenn immer mehr von uns ein wenig mehr Dankbarkeit empfinden können, dann wird die Welt ein wenig freundlicher, friedlicher und ein besserer Ort zum Leben und Arbeiten sein, da sind wir uns sicher. Die anstehende Weihnachtszeit ist ganz bestimmt ein guter Anlass, dies einmal auszuprobieren und sich in Dankbarkeit zu üben. Der Ausgang der berühmten Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens mit dem sich gewandelten Ebenezer Scrooge ist doch dafür ein wunderbares Vorbild.
Pia Drauschke und Stefan Drauschke im November 2024