Das kennen Sie sicher, Sie sind im Zug oder im Bus unterwegs und die Hälfte der Menschen sitzt oder steht Ihnen mit gesenktem Kopf gegenüber und ist mit dem Smartphone beschäftigt. Kein Blick für die Umgebung, die festliche Weihnachtsbeleuchtung oder für die Mitmenschen.
Neulich, es war der zweite Advent, ging der Engel Gabriel umher und musste selbst dieses Bild ansehen. Sogar die Kinder, die eigentlich noch Zeit hätten die Vorweihnachtszeit zu genießen und die Vorfreude auf das Fest aufwachsen zu lassen, sind als „digital natives“ mehr mit ihren elektronischen Freunden als mit ihres gleichen oder mit Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt. Gabriel hatte schon eine ganze Weile die großen und kleinen Menschen beobachtet. Sie hasteten durch die Straßen von einem Geschäft zum anderen. Sie kamen mit großen Tüten heraus und schleppten sie zu ihren Autos.
Auf den Straßen herrschte ebenfalls große Hektik. Überall standen die Autos in Schlangen vor den Ampeln, hupten wenn jemand nicht sofort losfuhr. Gabriel konnte nur staunen über diese Hektik, diesen Lärm und das Chaos. Weihnachten stand vor der Tür und die Menschen waren mehr gestresst als das ganze Jahr über. Keine Zeit für sich, für die eigenen Interessen und Bedürfnisse oder für diejenigen, die man wirklich liebt. Er dachte an frühere Zeiten, als alles noch viel friedlicher zuging. Die Menschen hatten kleinere Päckchen in der Hand als sie im nächsten Laden ihre Weihnachtseinkäufe erledigten. Dafür lag meist ein geheimes Lächeln auf ihrem Gesicht. Vielen war die Freude einem lieben Menschen etwas Schönes zu schenken, ihn mit dem zu überraschen, was er sich heimlich gewünscht hatte, unschwer anzusehen.
Gabriel dachte nach, was er vielleicht tun könnte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass die Menschen und vor allem auch die Kinder mit ihren großen Geschenken und den vielen technischen Geräten glücklicher waren als früher. Eher im Gegenteil schien ihm, dass die Spielsachen sich in vielen Kinderzimmer auftürmten und die Kinder nicht mehr wussten, womit sie überhaupt noch spielen sollten. Der Engel überlegte, was er machen konnte. So konnte es doch nicht weitergehen. Die Menschen schenkten sich Dinge, die sie gar nicht brauchten, waren in Hektik, obwohl ein schöner Abend zu Haus allen besser gefallen hätte. Da Gabriel über himmlische Kräfte verfügte, beschloss er den Menschen einen Strich durch die Rechnung zu machen. Dieses Weihnachtsfest sollte wieder anders werden. Er dachte: „Es ist noch ganz am Anfang der Adventszeit und noch viel zu retten.“
Der vierte Advent stand in wenigen Tagen bevor, gegen 16 Uhr füllten sich die Straßen wie an den vorangegangenen Tagen wieder vermehrt mit Autos. Der Engel schloss die Augen und im nächsten Moment waren die Straßen weiß gefärbt. Die Autos blieben mit einem Schlag stehen. Es war kein Vorankommen mehr. Es war nicht etwa Schnee, der plötzlich vom Himmel gefallen wäre. Die Straßen waren mit einem gehärteten Leim überzogen. Die Reifen der Autos klebten an der Fahrbahn fest. Natürlich fluchten die Leute, stiegen aus ihren Autos aus und versuchten alles Mögliche um ihre Autos frei zu bekommen. Aber es ging nicht. Schließlich blieb den Menschen nichts andere übrig als ihr Auto stehen lassen und zu Fuß weiterzugehen. Die Straßen waren übersät mit Autos, aber es war ruhig. Kein Auto fuhr mehr und die Menschen verließen die Stadt ohne Einkäufe zu erledigen. Natürlich sprach sich in der Stadt herum, was passiert war und die Menschen beschlossen am nächsten Tag nur mit Fahrrädern oder zu Fuß einkaufen zugehen.
Am nächsten Dezembertag war es nun wieder 16 Uhr und es kamen vermehrt Leute in die Stadt. Die Kinder fanden es lustig, dass die Autos auf den Straßen klebten und für die Erwachsenen war es eine Attraktion dies zu sehen. Anschließend stürmten sie wieder in die Geschäfte um Weihnachtseinkäufe zu machen. Die Kaufhäuser waren überfüllt mit allem was man sich nur denken konnte. Da schloss Engel Gabriel wieder die Augen und plötzlich ertönten in sämtlichen Kaufhäusern merkwürdige Geräusche. Es machte „Tak, Tak, Taktak“ und bei jedem Tak wurde ein Ladenartikel von den Einflüssen der Schwerkraft befreit, stieg auf wie Luftballon und stieß gegen die Decke. Nach wenigen Minuten hingen sämtliche Verkaufsangebote an den Decken der Warenhäuser. Die Verkaufshallen waren leer geräumt. Nur noch Ladentische und Regale ohne jeglichen Inhalt standen dort und es sah aus wie nach einem Hamsterkauf. Die Menschen waren völlig überrascht, gingen von einem Geschäft zum anderen. Doch überall war das gleiche Bild. Am meisten geschockt waren die Ladenbesitzer. Sie versuchten die Waren von den Decken herunterzubekommen, aber ihre Kraft reichte nicht aus. Die Decke zog alles magisch an. Dies führt zu großer Aufregung. Die Menschen diskutierten miteinander, was nur los wäre und wie sie ihre Geschenke nun besorgen könnten. Die Geschäftsleute telefonierten wie wild und versuchten Ratschläge von Experten einzuholen. Aber nichts half. So mussten die Menschen schließlich die Städte tatenlos und ohne gefüllte Plastiktüten wieder verlassen und das am Tag vor Nikolaus.
Viele Eltern überlegten, was sie ihren Kindern denn nun zum Weihnachtstag schenken könnten. Es war keine Zeit mehr etwas im Internet zu bestellen oder in die nächste Stadt zu fahren. So dachten sie nach, mit was sie ihren Kindern eine Freude machen könnten. Es wurden Gutscheine gebastelt „Einmal zusammen ins Kino gehen“ oder „Ein gemeinsamer Schwimmbadbesuch“. Es wurden Sterne und Herzen aus buntem Papier ausgeschnitten und aufgeklebt.
Gabriel war jedoch noch nicht fertig mit seinen Plänen. Die Stadt sah jetzt doch zu verlassen und leblos aus. „Am Heiligabend“, dachte er, „muss etwas Neues entstehen.“ Er schloss wieder die Augen. Als er sie öffnete sah er den Weihnachtsmann persönlich, auf seinem Schlitten in der Fußgängerzone anhalten. Er hatte den Schlitten voll geladen mit allen erdenklichen Sachen aus der Himmelswerkstatt: Holzautos, Stoffpuppen, Perlenketten, Schaukelpferde und vieles mehr. Alles wurde von seinen fleißigen Helfern in die kleinen Läden gebracht und verteilt. Auf die Straße stellte der Weihnachtsmann Tannenbäume mit echten Kerzen und in den Schaufenstern wurden Tannengrün und bunte Weihnachtskugeln aufgehängt. Auch die Erwachsenen sollten nicht leer ausgehen. Es gab viele schöne Dinge zum Verschenken, aber Computer, Handys und Markenartikel gab es nicht. In den Straßen duftete es nach Weihnachtsgebäck und Schokolade.
Es dauerte nicht lange, da kamen die ersten Menschen wieder in die
Stadt zurück. Schnell sprach sich herum, dass hier etwas Seltsames
geschehen war. Es gab nicht mehr das Gleiche zu kaufen wie in jeder
anderen Stadt. Die Kinder standen vor den Schaufenstern und bestaunten
die Sachen, die dort ausgestellt waren. Alle sahen so aus, als wären sie
mit Liebe und Geduld hergestellt, eben von Herzen. Auch die Erwachsenen
hetzten nicht mehr durch die Straßen. Sie sprachen miteinander und
schauten sich um als wären sie in einer verzauberten Welt. Es kam nicht
mehr darauf an Wunschlisten abzuarbeiten. Jeder versuchte nachzuspüren,
womit er einem anderen Menschen eine Freude machen könnte. So musste
auch niemand zum Weihnachtsfest leer ausgehen und der Engel Gabriel war
glücklich, dass die großen und kleinen Menschen die Weihnachtszeit
diesmal anders erleben konnten.
Und auch wir konnten wahrnehmen, wie an jenen Tagen die Menschen wieder
mehr miteinander kommunizierten, die Handys waren viel seltener
unterwegs zu sehen, ein Lächeln stand im Gesicht der Menschen – und man
hörte im Gespräch immer wieder, dass die Entscheidung gefallen ist, sich
ab sofort mehr Zeit für sich und für die wirklich wichtigen Dinge im
Leben zu nehmen.
Frei nach einer Geschichte von Andrea Schober
Pia Drauschke und Stefan Drauschke