Es ist schon sehr interessant, wenn man uns Erwachsene bei der Konversation im Rahmen von geschäftlichen oder privaten Beziehungen ein wenig „belauscht“. Es fällt auf, dass es ein sehr beliebtes Spiel gibt, das oft und immer wieder in der einen oder anderen Weise zur Aufführung kommt. Es handelt sich um das „Täter-Opfer-Spiel“, das in verschiedenen Varianten zu erleben ist. Meist gibt es einen Einstieg von einem der Gesprächspartner, und dann springt der andere darauf an und schon nimmt die Dynamik ihren – meist unguten – Lauf. Der Ausgang des Spiels ist oft mindestens unbefriedigend für beide und gipfelt in Streit, Abwertungen, Vorwürfen und Schuldzuweisungen. Oft ist dabei zu beobachten, dass die Täter- und Opferrolle im Gesprächsverlauf wechselt.
Wenn Ihnen das bekannt vorkommt und Sie vielleicht daran im Sinne besserer Ergebnisse und besserer Beziehungen arbeiten wollen, dann lohnt sich die Lektüre dieser Kolumne besonders für Sie.
Doch zunächst möchten wir für ein wenig theoretischen Hintergrund sorgen und die Eckpfeiler der Transaktionsanalyse (TA) ansprechen. Es handelt sich um eine tiefenpsychologische Methode vom Psychiater Eric Berne, die in den 50er und 60er Jahren entwickelt wurde und heute noch Bedeutung und Gültigkeit besitzt. Kernstück der TA ist ein Konzept der unbewussten Lebensskriptmuster basierend auf den drei Ich-Zuständen Eltern-, Erwachsenen- und Kind-Ich. Sie haben immensen Einfluss auf unser Denken, Fühlen und Verhalten. Man unterscheidet das fürsorgliche und das strenge Eltern-Ich mit allen Einstellungen und Verhaltensweisen, die wir von unseren Vorbildern, vor allem den Eltern, übernommen haben. Im Zustand des in der Regel im Geschäftskontext angemessenen Erwachsenen-Ich setzen wir uns mit der Realität auseinander, sammeln Information aus der Außenwelt wie auch aus den eigenen Ich-Zuständen durch Beobachtung ohne Bewertung und bemühen uns um eine objektive Sichtweise. Wir sprechen klar und eindeutig.
Alle unsere natürlichen Wünsche, Bedürfnisse, Gefühle spiegeln sich im Kind-Ich mit allem, was wir als Kind erlebt haben und wie wir darauf reagiert haben. Wer fühlt und handelt wie damals, befindet sich in seinem Kind-Ich-Zustand (angepasst, rebellisch, frei). Es sei erwähnt, dass der einzige gute und kreative Lernzustand das „freie Kind“ ist, das in uns allen schlummert und manchmal von uns in Seminaren und Trainings erst einmal wieder „geweckt“ werden muss, damit Neues möglich wird.
Ein weiteres wichtiges Element der TA sind die Antreiber. Sie sind ein bedeutsamer Teil der eigenen Lebensskriptmuster (sei perfekt, sei schnell, mache es allen recht, streng Dich an, sei stark). Sie sind sozusagen tief verankerte elterliche Botschaften an das Kind. Als Eltern-Gebote haben diese Botschaften für Kinder einen Absolutheitscharakter, der nicht angezweifelt wird. Mit den Antreibern hat das Kind quasi einen „Kompass“ zur Hand, der ihm in neuen Situationen sagt, wonach es sich richten kann, um die Zustimmung der anderen Menschen zu erhalten. Als Erwachsene prägen die Antreiber unsere Denkmuster und unser Verhalten maßgeblich und sind eine wichtige Quelle von hilfreichen und limitierenden Überzeugungen und Glaubenssätzen.
Das Dramadreieck beschreibt das Zusammenwirken von Opfer, Retter und Verfolger. Hier finden sich auch die umgangssprachlich bekannten Begriffe wie „Du bist ok – ich bin ok“ in der negativen Konstellation wieder, in der „der eine ok“ und „der andere nicht“ ist (Verfolger und Retter: Du bist nicht ok, ich bin ok; Opfer: Du bist ok oder nicht ok, ich bin nicht ok).
Abb.: Dramadreieck, Quelle: NextHealth GmbH
Der Ausstieg aus dem Dramadreieck erfolgt am besten durch die Umdeutung der drei Rollen. Der Retter wird zum Unterstützer, indem er nachfragt und keine ungebetene Unterstützung mehr anbietet („Welcher Vorschlag würde dir jetzt weiterhelfen?“, „Was brauchst du jetzt wirklich?“). Das Opfer wird zum Probleminhaber und erkennt seine wahren Bedürfnisse und drückt sich offen und ehrlich aus nach einem Wechsel ins Erwachsenen-Ich. Der Verfolger wird zum Konfrontierer, der seinem Gesprächsparten in bester Absicht mögliche verdeckte Ebenen aufzeigt und ihn damit konfrontiert und Feedback gibt.
Das Dramadreieck mit seinen mitunter wechselnden Rollen wird wunderbar durch Loriot in einem seiner gezeichneten Sketche in Szene gesetzt: ich will einfach nur hier sitzen – YouTube
Doch kommen wir nun zu der Vollausprägung der Spiele der Erwachsenen.
Es handelt sich dabei um psychologische Spiele, die oft auf eingefahrenen Kommunikationsmustern in Beziehungen beruhen. Häufig ist fehlende Anerkennung der Auslöser oder es sind unbefriedigte Bedürfnisse sowie aktuelle negative Erlebnisse oder Ereignisse ursächlich. Letztlich geht es um die Befriedigung von Anerkennung und dabei wird auch negative Kommunikation in Kauf genommen und man begibt sich in die Dynamik des Drama-Dreieckes. Die eigenen Lebensskripte und Grundmuster werden ausgelebt und bestätigt: „Wenn Du nicht wärst, dann …“, „die Welt ist schlecht“, „alle machen zu wenig“… etc. Die Folge ist ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, auch wenn die Absicht des Spielers im Kern eine positive sein kann – in seiner Welt. Das Drama-Dreieck sichert intensive, wenn auch negative Zuwendung, und das ist für viele Menschen besser als keine oder zu wenig Zuwendung. In der Verfolger- und der Retterrolle möchte man sich durch sein Verhalten aufwerten, in der Opferrolle geht es eher um das Vermeiden unliebsamer Situationen oder Konstellationen.
Wenn ein Kommunikationspartner ein Spiel beginnt, dann bedient er in der Regel bewusst oder unbewusst „manipulativ“ Triggerpunkte oder Auslösereize bei seinem Gegenüber – und schon nimmt das Unheil seinen vorhersehbaren Lauf. Wir sprechen in unseren Seminaren gerne von dem sog. „Köterinstinkt“, über den viele und vor allem machtbewusste Menschen verfügen, wenn es darum geht, die „Knöpfe“ der anderen aufzuspüren und zu drücken.
In der Regel sind beide Kommunikationspartner der Dynamik der Spiele ausgeliefert – wenn nicht einer von ihnen bewusst bemerkt, was vor sich geht, ein Ausstiegsszenario wählt und an Stelle der Rotation im Dramadreieck zwischen Verfolger, Opfer und Retter in Richtung einer lösungsorientierten Kommunikation steuert.
Wenn das nicht gelingt, dann schaukelt sich das Gespräch häufig hoch und es kommt zur Eskalation mit heftigen Angriffen und Abwertungen. Dass dieses eine deutliche Abhebung vom Beziehungskonto nach sich zieht, ist leicht verständlich.
Beispiele für klassische „Erwachsenen-Spiele“ sind „wenn Du nicht wärst…“, „ist es nicht schrecklich?“, „ich bin so überlastet…“, „ja… aber“, „hab ich Dich, Du Schweinehund!“, „Du siehst, ich gebe mir Mühe“, „es geht einfach nicht, weil …“ und „Gerichtssaal (habe ich nicht Recht …)“.
Im Kommunikationstraining deklinieren wir die Spiele samt Dynamik und Ausstieg durch, und ein beliebtes Spiel wollen wir hier als ein Beispiel näher beschreiben: Wenn Du nicht wärst! Ziel ist es, sich zu rechtfertigen, um sich nicht mit eigenen Ängsten zu konfrontieren und die Verantwortung dafür einer anderen Person zu geben. Die Dynamik kommt ins Spiel, indem betont wird „ich hätte xy tun können …, wenn Du nicht …“. Der Nutzen ist, sich eigene Vorteile zu schaffen und aus der Eigenverantwortung zu stehlen, weil sich der andere als „Beschränkung“ und damit schuldig fühlt. Ein zu Grunde liegender Glaubenssatz ist, die eigenen Ängste und Beschränkungen nicht überwinden zu können. Eine Auflösung des Spiels könnte darin bestehen, eben nicht darauf „anzuspringen“, sondern sachlich zu klären, worum es eigentlich geht und auf die Eigenverantwortung der „Vorwurfsperson“ zu verweisen. So dann kann man gemeinsam zu überlegen, wie man in Zukunft nicht in solche „Abhängigkeiten“ kommt. Auf diese Weise wird über die Formulierung konkreter Ziele Unterstützung geboten und in überschaubaren Teilschritten Angst genommen sowie Erfolg ermöglicht.
Wir halten es für sehr hilfreich, diese Spiele zu kennen und vor allem frühzeitig den Spieleinstieg zu erkennen, um nicht „aus Versehen“ darauf einzusteigen und den Dingen ihren freien Lauf zu lassen. Das ist umso leichter, je besser man sich selbst und seine Trigger kennt und frühzeitig bemerkt, dass darauf gerade gezielt wird. Aufmerksames Zuhören, Selbstreflexion und Disziplin, nicht gleich reflektorisch zu reagieren sind jetzt besonders wertvoll. Der passende Zustand ist der Verbleib im Erwachsenen-Ich, ohne „aus Versehen“ in das Eltern- oder Kind-Ich zu wechseln. Erkundende Metamodellfragen sind jetzt wertvoll wie „Was genau meinst Du“, oder „worum geht es im Kern“, „was wäre jetzt am besten zu tun“ etc… Auch kann es ein Ausstieg sein, dem Gesprächspartner damit zu begegnen, dass nun wieder ein altes und nicht hilfreiches Muster abläuft – und dass wir es heute einmal anders probieren sollten, um zu einer Lösung zu gelangen.
Doch es gibt keine Garantie, dass der Spieler gleich darauf einsteigt, ggf. wird er die Energie und den Einsatz erhöhen, wenn er zu sehr in seinen eigenen Themen verhaftet ist und zu viel Emotion im Spiel ist. Dann könnte es helfen, auszusteigen und zu vertagen, um nicht doch noch in die destruktive Dynamik hineingezogen zu werden.
Nun würden wir uns freuen, wenn wir ein wenig Interesse an den Spielen geweckt haben und Sie zukünftig frühzeitig bemerken werden, wenn wieder einmal jemand sein Spiel mit Ihnen spielen möchte.
Pia Drauschke und Stefan Drauschke
Im Juli 2022