Mitwirkung im Sinne von Partizipation ist heute in aller Munde in zahlreichen Branchen, auch im Gesundheitswesen. Das hat einerseits zu tun mit zunehmender Agilität und dem nachvollziehbaren Bedürfnis insbesondere jüngerer Führungskräfte, nicht einfach Befehlsempfänger zu sein, sondern aktiv die Dinge mitgestalten zu wollen. Und ganz ehrlich, wünschen Sie sich nicht auch Führungskräfte als echte MitstreiterInnen, die Verantwortung übernehmen und mit Ihnen die Zukunft des Unternehmens weiter entwickeln wollen?
Wenn wir bei Geschäftsführern und Vorständen für partizipative Führung werben, dann hören wir oft – verdeckt oder offen ausgedrückt – den Einwand, dass man ja hier keine Basisdemokratie hat und Partizipation schnell in „wünsch Dir was“ ausarten würde. Man sei schließlich in einem Unternehmen und als Geschäftsführer trägt man die ganze Verantwortung und wird auch dafür bezahlt, Entscheidungen zu treffen, die nicht immer jedem gefallen. Ja das stimmt – und für erfolgreiche Partizipation vor diesem Hintergrund kommt es auf den gesetzten Rahmen an. Mit Holokratie – dem konsequenten Abbau von Hierarchien – hat das noch nichts zu tun, sehr wohl allerdings mit der Reduktion von hierarchischem Denken und der Überwindung von versäulten Berufsgruppen bei der Entwicklung von Zukunftskonstrukten.
Wenn Sie Menschen im Unternehmen zusammenkommen lassen und jeder sich frank und frei ausdrücken kann, was sie oder er sich so vorstellt, dann ist man im freien Brainstorming und das kann im Sinne von Kreativität auch nützlich sein, um neue Ideen zu generieren und Gedanken, die bisher noch nicht gedacht wurden. Doch auch dafür braucht es Regeln, um die Erwartungshaltung der Beteiligten zu kalibrieren.
Ein weiterer oft gehörter Einwand ist, dass zu viele Menschen in einem Entwicklungsprozess zu beteiligen oft in „Quatschbuden“ ausarten würde, die viel Aufwand und Kosten produzieren und dabei wenig Effekt bringen. Doch es kommt darauf an, wie Partizipation orchestriert und gemanaged wird, damit der Aufwand und der Nutzen in einem guten Verhältnis zueinander stehen.
Was Partizipation meint – und was nicht
Partizipation ist für uns Mitwirkung an Gestaltung und Entscheidungsfindung – in einem gesetzten Rahmen. Hierfür braucht es klare Spielregeln, einen transparenten Prozess und auch Ziele, die die kreativen Kräfte in die gewünschte oder notwendige Richtung bündeln. Wir bemühen gerne das Bild, dass es für gute Partizipation strategische Stoßrichtungen braucht, die oft eine Entscheidung aus einem binären Begriffspaar in einem definierten Zeithorizont darstellen: Wachsen oder Konsolidieren, Ergebnis oder Umsatzsteigerung, mehr Marktdurchdringung mit angestammten Produkten oder Innovation etc. In jedem Haus sehen diese Begriffe mit klarer Ausrichtung zur einen oder anderen Seite natürlich anders aus. Wenn dann die Richtungen in den strategischen Dimensionen feststehen, am besten durch einen moderierten Vorprozess mit der Geschäftsleitung und ausgewählten Mitarbeitenden, dann braucht es noch Leitplanken, die eher etwas weiter als enger zu stellen sind. Diese sind die Metapher für den „Zaun“, innerhalb dessen man sich frei bewegen und denken kann, und der zugleich die Grenze des Zulässigen markiert.
Mit Richtungsfestlegung und Leitplanken entsteht bildlich gesehen ein Raum, in den Sie Ihre Mitarbeitenden einladen können, Ideen zu entwickeln und aktiv mitzugestalten. Wichtig ist, dass Ideen und Beiträge frei und sanktionslos geäußert werden können. Diese werden dann auf einer höheren hierarchischen Ebene sortiert und es wird darüber entschieden, was ausgewählt und in den weiteren Gestaltungsprozess integriert wird – und was nicht. Diese Information wird dann mit kurzer Begründung in systemischen Schleifen zurück in die Gruppe transportiert. Viele Kunden gestatten noch das Einbringen von Einwänden mit anschließender konstruktiver Einwandbehandlung, die den Prozess in die Nähe von Mediation rückt. Oft wird dabei ein bereichernder dritter Lösungsweg eröffnet und damit das Ergebnis weiter verbessert.
Wenn Sie diesen vorab durchdachten Regelprozess zu Beginn klar den Teilnehmenden kommunizieren, dann erwartet niemand mehr, dass alle Ideen immer Verwendung finden und Enttäuschungen werden vermieden.
Wirkungen „echter“ Partizipation
Wir postulieren schon länger eine äußerst kraftvolle und dabei einfache Metastrategie für wirksame Veränderung: Transparenz, Konsequenz und Mitwirkung (Quelle: Drauschke/Drauschke. Führen im Wandel (3), 2018. Seite 70. Heidelberg: medhochzwei Verlag GmbH). Wenn Sie Transparenz schaffen, d.h. auch rückhaltlos Ergebnis- und Leistungsunterschiede aufdecken und sichtbar machen, Konsequenzen spürbar werden lassen, also konsequent zielführende Handlungen und Ergebnisse bemerken und verstärken und unbrauchbare, zu wenige oder nicht effektive Handlungen und Ergebnisse ebenso bemerken, kritisch hinterfragen oder sogar „sanktionieren“ und schließlich Mitwirkung zulassen, dann kommt es unweigerlich zu Veränderung. Es geht bei Mitwirkung im Kern um das Fördern von Selbstorganisation, ermöglichen von Verantwortung und um die Entfaltung von Kreativität und Engagement. Dagegen Nebel zuzulassen, keine Folgen spürbar werden zu lassen und über die Köpfe hinweg zu „regieren“ führt meist zu Stillstand. Letztlich sind es die Menschen im Unternehmen, die Strategien umsetzen, und nicht Sie als Führungskraft!
Mit professionell organisierter Partizipation bedienen Sie dabei drei äußerst wirksame Hebel. Zum einen geht es um die Verstärkung einer der wichtigsten motivierenden Kräfte in uns, nämlich der Selbstwirksamkeitserwartung. Das ist, wie das Wort ausdrückt, die Erwartung und der Wunsch, selbst in seinem Kontext wirksam zu sein. Je mehr sich Menschen gesehen und ernst genommen fühlen, je mehr werden sie sich einbringen und insbesondere auch die mit ihnen in Zusammenhang gebrachten Ideen umsetzen wollen. Umgekehrt, je mehr die Überzeugung vorherrscht, hier sowieso nichts bewirken zu können, umso mehr schalten die Menschen um auf „Dienst nach Vorschrift“ oder auf die innere Kündigung.
Weiterhin steigt die Bereitschaft, das Große und Ganze zu akzeptieren, wenn sich erkennbar eigene Anteile darin befinden. Unvergesslich ist uns, wie wir auf einer K3-Konsenskonferenz eines erfolgreichen Strategieprozesses in einem Uniklinikum nach dem erfolgten Commitment in der Gruppe der Führungskräfte mit einem Glas Sekt in der Hand inmitten der erarbeiteten Ergebnisse stehen (TOP-Ziele, Projektsteckbriefe, Roadmap etc.). Ein Chefarzt kam auf uns zu und stieß mit uns beiden feierlich auf die gelungene Strategie an und zeigte stolz auf eine Zielformulierung in einem TOP-Ziel mit den Worten: Und das stammt von mir!
Der dritte Aspekt hat mit Überzeugungen und den sog. Glaubenssätzen zu tun. Wenn Sie im Prozessverlauf Versprechen machen und halten, beispielsweise wie mit den Ergebnissen oder Einwänden umgegangen und wie informiert und kommuniziert wird, und das dann konsequent tun, dann beginnen mehr und mehr Mitarbeitende zu glauben, dass hier im Unternehmen auch gemacht wird, was gesagt wird (walk the talk). Und wenn die Überzeugung wächst, dass Ansagen und Entscheidungen wirklich umgesetzt werden, dann wird der Widerstand kleiner und das Bedürfnis größer, Teil dieser (unvermeidbaren) Bewegung zu sein. Wenn dagegen die Meisten glauben, dass hier sowieso nichts passiert, dann strengt man sich auch nicht an und verharrt am besten in der angestammten Position, bis sich der „Wind of Change“ wieder gelegt hat, ohne dass wieder einmal wirklich etwas passiert wäre.
Umso mehr müssen Sie natürlich aufpassen, was Sie sagen und versprechen. Und eines ist sicher, wenn Sie den Geist der Partizipation erst einmal „aus der Flasche“ gelassen haben, dann gibt es kaum noch ein zurück. Doch wenn ein partizipativer Führungsstil zu besseren Ergebnissen führt, dann ist das eine akzeptable Nebenwirkung, nicht wahr?
Voraussetzungen und Erfolgsfaktoren
Wenn es so wichtig ist, den oben beschriebenen Raum für Mitwirkung zu schaffen, in den Sie die Mitarbeitenden einladen wollen, dann bedeutet das, sich vorher hinreichend Gedanken darüber zu machen, was wirklich fix und gesetzt ist, und wo man tatsächlich die kollektive Intelligenz nutzen möchte. Die Fragestellungen an die Gruppe müssen klar sein und je nach Gruppengröße mit geeigneten Formaten bearbeitet werden. Wichtig erscheint uns auch, die Teilnehmenden in einer Großgruppe für diese Arbeit zu „entrollen“, um brauchbarere Ergebnisse zu erzielen. Es geht darum, die Menschen im Raum nicht als AbteilungsleiterIn, Pflegekraft oder ChefÄrztin anzusprechen, damit diese ihre Partikularinteressen verfolgen, sondern sie in ihrem wachen Bewusstsein auf eine andere Flughöhe zu bringen als Führungskraft oder LeistungsträgerIn des Unternehmens an sich. Später, wenn die Lösungen und Strategien feststehen, können immer noch alle in ihre angestammten Positionen zurückkehren und in ihrem eigenen Wirkungsbereich die Umsetzung voranbringen.
Es ist dabei sehr bedeutsam, den Beteiligten den ganzen Prozess zu offenbaren mit einem klaren Zeitplan, um auch die Verbindlichkeit zu betonen – bei allen gewährten Freiräumen. Eine gute Change-Architektur, Prozessplanung und die konsequente Planung und Kommunikation der Umsetzung sind essentiell. Die Menschen müssen bemerken, dass hier tatsächlich etwas passiert und dass sie ein wichtiger Teil dieses Geschehens sind.
Sie können sicher sein, dass die kollektive Intelligenz der Menschen im Unternehmen viele gute und brauchbare Ideen aus verschiedenen fachlichen und hierarchischen Perspektiven generiert, die die erzeugten Zielkonstrukte mit erheblichem Mehrwert versehen. Und wenn diese Menschen dann noch zu begeisterten Umsetzungsgaranten ihrer eigenen Ideen werden, dann brauchen wir über den Nutzen von Partizipation nichts mehr zu schreiben.
Pia Drauschke und Stefan Drauschke
Im Januar 2023