Führung in der Arbeitswelt von morgen (2) (Changebrief 108)

Nachdem wir in der letzten Kolumne Arbeitszeiten der deutschen Arbeitnehmer:innen im europäischen Vergleich, Fragen zum Arbeitsort und Homeoffice sowie Umgang mit Fehlzeiten und damit verbundener Mehrarbeit für die Verbleibenden betrachtet haben, wollen wir uns nun mit der Arbeitswelt von morgen im Kontext der verschiedenen Generationen und Führungsstile befassen.

Generationskonflikt – oder nur eine Frage der Kommunikation?

Wie häufig wird erklärt, dass die Baby Boomer (1950 bis ca.1965 Geborene) leben, um zu arbeiten, während die Generation Y, die „Millennials“ (1981 bis ca.1995 Geborene) und die Generation Z (1996 bis ca. 2010 Geborene), arbeiten, um zu leben.
In der Tat erleben wir auch in unseren Unternehmen und hören dies regelmäßig von Führungskräften unserer Kunden, dass es immer schwieriger wird, motivierte und engagierte Mitarbeitende zu finden, die auch bereit sind, für mehr Verantwortung und mehr Gehalt eine Extrameile zu gehen. Lieber arbeitet man nur 30 Stunden pro Woche und verdient weniger, als sich für sein Unternehmen oder die Chefin oder den Chef „aufzureiben“. Ausnahmen bestätigen dabei natürlich die Regel, und es bringt nichts, hier als meist ältere Führungskraft in die Opferrolle zu gehen und sich zu beklagen über „die Jugend“ und womöglich Folgendes zu denken:
„Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben. Sie ist böse, gottlos und faul.
Sie wird niemals so sein, wie die Jugend vorher und es wird ihr niemals gelingen, unsere Werte zu erhalten.“  Interessant ist, dass dies kein Mitschnitt aus einer Unterhaltung von Führungskräften beim Feierabendbier ist, sondern die Inschrift auf einer babylonischen Tontafel, die mindestens 3000 Jahre alt ist. Wenn die sogenannte Generationenlücke also schon so lange besteht und stets von neuem ähnlich beschrieben wird, dann gibt es für dieses Problem wahrscheinlich keine Lösung und wir müssen damit leben lernen. Neu ist sicher, dass die meisten Jugendlichen hierzulande in sehr behüteten und saturierten Verhältnissen groß geworden sind und daher die Gelegenheit wahrnehmen, in der Maslowschen Bedürfnispyramide ganz oben nach Sinn und Erfüllung zu suchen, weil so ziemlich alle Grundbedürfnisse befriedigt sind.
Nach einem Beitrag aus der Zeitschrift Human Ressource Manager (Quelle: Madeleine Kühne, “Die Millennials kommen!“ humanresourcesmanager.de, 23.04.2021, online aufgerufen am 14.05.2024) liegt die Ursache dieser verhärteten Fronten in den verschiedenen Sozialisationen der Gruppen: Während die Babyboomer und die Gen X (1965 – 1979 Geborene) von Eltern mit Weltkriegserfahrungen erzogen wurden, sind diese in den Familien der Millennials kaum noch aus erster Hand präsent. Für die Millennials ist angstfreier Wohlstand eine Selbstverständlichkeit und keine Sache des Kampfes mehr. Ihr Fokus verschiebt sich vom Erhalt des existenziellen Status quo auf gefühlt größere Dinge: Klimawandel, Genderfragen und alternative Lebenskonzepte, in denen Abwechslungsreichtum, Abenteuer und Veränderungsfreude das Sagen haben. Man lebt ein freies Mindset, welches sich unverfroren und furchtlos von der vorherigen Ära emanzipiert und Konflikte erzeugt. Auch die Gen Z geht fordernd nach vorn, ohne sich den Mund verbieten zu lassen und erst einmal kleine Brötchen zu backen.

Doch es gibt immer Ausnahmen: Die passende Ansprache, das Anbieten echter Partizipation im Sinne von Fördern der Selbstwirksamkeitserwartung (Quelle: Drauschke/Drauschke. „Erfolgsrezept Partizipation: Wie Sie Mitwirkung im Unternehmen am besten gestalten“, KMi 02-2023, S. 11-13), regelmäßiges und wechselseitiges Feedback und das Fördern von Sinnstiftung durch transformationale Führung bewirken häufig eine hohe Anschlussfähigkeit zwischen Mitarbeitenden verschiedener Generationen. Nach unserer Erfahrung ist wechselseitige Augenhöhe und spürbare Kompetenz für die Akzeptanz wichtiger als Alter oder formaler Rang. Doch Respekt verdienen musste man sich doch eigentlich immer schon, oder nicht?

Wie Führung wirksam erfolgen kann

Es gilt doch schon lange, dass Mitarbeitende zum Unternehmen kommen – und die Chefin oder den Chef verlassen. Dieser Effekt hat sehr viel mit Führung zu tun – doch wie muss Führung heute erfolgen, um anschlussfähig zu sein? Auseinanderzudriften scheint hierbei die Fremd- und Eigenwahrnehmung von Führungskräften: Wie eine Untersuchung von StepStone zeigt, finden 97 Prozent der Vorgesetzten, dass sie die Arbeitsleistung von Mitarbeiter:innen genügend würdigen. Das sehen nicht alle Arbeitnehmer:innen so. Denn nur 57 Prozent stimmen dieser Einschätzung zu. Selten gingen die Vorstellungen von Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen so weit auseinander. Vor allem Vorgesetzte, die bisher einen eher autoritären, strengen oder konservativen und von Hierarchie geprägten Stil bevorzugt haben, kollidieren mit Arbeitnehmer:innen, die Empathie, Offenheit und Flexibilität von ihrer „Chefetage“ fordern (Quelle: Pela, Patricia; Dr. Zimmermann, Thomas. StepStone GmbH. „Erfolgsgeheimnis Team“, März 2019. Aufgerufen am 14.05.2024).

Doch welcher Führungsstil ist der Richtige? In die heutige Zeit dürfte der sog. transformationale Führungsstil am besten passen, während der transaktionale Führungsstil auch noch immer weit verbreitet ist.

Transaktionale Führung wirkt etwas anachronistisch, wird oft von Führungskräften als effektiv beschrieben und konzentriert sich auf den Austausch von Ressourcen zwischen dem Führenden und den Geführten. Hierbei werden Belohnungen und Bestrafungen verwendet, um Leistung und Motivation zu fördern und um gesetzte Ziele besser zu erreichen. Die Beziehung zwischen den Führenden und den Geführten wird als Transaktion betrachtet, bei der die Ziele der Einzelnen mit den Zielen der Organisation in Einklang gebracht werden.

Im Gegensatz dazu zielt transformationale Führung darauf ab, die Motivation und Leistung der Mitarbeiter:innen zu steigern, indem Führung und Führungskräfte deren  Werte, Bedürfnisse und Verbundenheit zum Unternehmen ansprechen. Transformational Führende inspirieren ihre Mitarbeiter:innen durch Vermittlung einer gemeinsamen Vision und schaffen eine Atmosphäre des Vertrauens und des Respekts. Sie setzen hohe Standards und ermutigen ihre Mitarbeiter:innen, diese Standards zu übertreffen, indem sie sie unterstützen, coachen und entwickeln.

Im Vergleich ist transaktionale Führung vor allem auf Ziele und Konsequenzen ausgerichtet. Bei Zielerfüllung gibt es Belohnungen etwa durch Boni, bei Verfehlung folgen Nachteile oder Bestrafungen, während transformationale Führung langfristige Veränderungen und persönliches Wachstum anstrebt, indem sie auf intrinsische Motivation und die Entwicklung einer gemeinsamen Vision setzt.

Abb. 1: Führungsstile und Krankenstand korrelieren (Quelle: eigene Darstellung (Drauschke/Drauschke/Albrecht (Hrsg.). Changemanagement und Führung im Gesundheitswesen. Seite 77. Medhochzwei Verlag GmbH, 2019, Heidelberg).

Nicht selten treffen wir auch heute noch die Laissez-faire-Führung an, die von den Geführten vor allem viel Vertrauen und gute Nerven erfordert, denn solche Chefs geben weder detaillierte Vorgaben noch Feedback, sie lassen die Mitarbeiter:innen machen ohne Kontrolle und ohne Konsequenzen. Interessant ist, dass der Krankenstand in Unternehmen bei Laissez-faire-Führung im Vergleich zur transformationalen und transaktionalen Führung am höchsten ist (Quelle: Zwingmann u. a.: Studie zu Gesundheit und Führung: Is transformational leadership healthy for employees? A multilevel analysis in 16 nations. 2014).

Systemisch betrachtet ist Führung immer ein von außen beobachtbares Konstrukt. Führung geschieht, wenn man einer Führungskraft folgt. Ob die Ursache darin besteht, dass der Führungsstil für die Geführten passend ist, oder Vertrauen und Sympathie gegenüber der Führungskraft besteht, oder Angst vor negativen Konsequenzen vorherrscht, oder dass die Geführten dieses oder jenes ohnehin tun wollten, ist prinzipiell gleich. Jemand wird also nur dann zu einer Führungskraft, wenn Mitarbeiter:innen ihr folgen. Die Kernfrage zur Stärkung von Führungskraft im Sinne des kategorischen Imperativs von Kant ist doch, wie Sie sich auf eine Art und Weise so verhalten, dass die Wahrscheinlichkeit steigt, dass man Ihnen folgt. Hierfür ist Flexibilität und gleichzeitig Authentizität gefragt – ein scheinbarer Widerspruch, den individuell aufzulösen Ihre Wirksamkeit als Führungskraft mit Sicherheit maßgeblich wachsen lässt. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg dabei, diese Gedanken in Ihrem Umfeld bei Ihrer Führungsaufgabe in die Tat umzusetzen, und zwar ganz unabhängig davon, welcher Generation Sie oder Ihre Mitarbeiter:innen angehören.

Pia Drauschke und Stefan Drauschke