Gedanken über die Motivation mit Sinn und Verstand (Changebrief 100)

Der Begriff „Motivation“ enthält das „Motiv“, darunter versteht man im allgemeinen Beweggründe, etwas zu tun oder zu lassen. In der Literatur oder auch in der klassischen Musik werden einzelne, in sich geschlossene, bedeutungstragende Elemente des Inhalts oder der Melodie, die immer wieder aufgegriffen werden, als Motive bezeichnet. Im übertragenen Sinne kommt das den Werten nahe, die wir Menschen in uns tragen und die entscheidend dafür sind, was wir tun und wie wir selektiv wahrnehmen und entscheiden und handeln. Motivieren ist das Verb dazu und schon die kurze Einleitung lässt klar werden, dass man andere Menschen kaum motivieren kann, sondern nur sich selbst. Allerdings funktioniert es oft sehr gut, andere zu demotivieren, wie man es im betrieblichen Alltag mit nicht motivierten und/oder toxischen Führungskräften nur allzu oft erleben kann.

Ist Motivation vielleicht ansteckend?

Doch vielleicht lässt sich davon ableiten, dass Motivation auch ansteckend sein könnte? In einem unserer Gesundheitszentren haben wir eine hochmotivierte Führungskraft gewinnen können, und siehe da, seit diese da ist und das ganze Unternehmen in Bewegung bringt, blühen ihre MitstreiterInnen im Zentrum plötzlich auf und auch als unmotiviert geltende, langjährige MitarbeiterInnen zeigen ein ganz anderes Engagement. Dieser Effekt ist bis in die anderen drei Standorte positiv spürbar. Das beweist uns wieder einmal, dass Menschen nicht so oder so sind, sondern sich verhalten. Und Verhalten ist ziemlich flexibel.

Sinn und Motivation

Wir postulieren schon lange, dass Menschen „in unserer Welt“ Sinnsuchende sind. Beispielsweise können attraktive Zukunftsstrategien auf einer gemeinsamen Wertebasis Sinn stiften und dadurch Menschen motivieren, die ausgewiesenen Ziele zu verfolgen, insbesondere, wenn sie an der Entwicklung der Strategien mit ihren Zielen und Maßnahmen beteiligt gewesen waren im Sinne von gelebter Partizipation.

Viktor Emil Frankl, Wiener Neurologe, Psychiater und Philosoph und der Begründer der Logotherapie, hat einmal gesagt „Es liegt im Wesen des Menschen, dass er nach Sinn fragt“. Für Frankl ist der Mensch ein zum Sinn strebendes Wesen. Darauf baut auch die von ihm begründete Logotherapie auf, eine Art Sinn-Lehre gegen die Sinn-Leere. Man sollte dazu wissen, dass Frankl einer der wenigen KZ-Überlebenden mit erlebten Höllenqualen in vier unterschiedlichen Konzentrationslagern war und seiner gesamten Verwandtschaft beraubt wurde. Dennoch hat er seinen Glauben an die Sinnhaftigkeit menschlichen Seins und Tuns bewahrt. Dabei sagte Frankl „Sinn kann nicht gegeben, sondern muss gefunden werden“. Es geht also nicht darum, dass ein Unternehmen durch große „Purpose-Projekte“ künstlich Sinn erzeugt und unter den Mitarbeitenden verteilt, sondern dass diese selbst in den Angeboten ihrer Umgebung Sinn erkennen. Dabei kann man auch in vermeintlich sinnloseste, schwierigste Umstände Bedeutung, Sinn und Zweck hineindeuten. Nietzsches berühmtes und von Frankl oft zitiertes Wort „Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie“ steht im Fokus seines Lebenswerkes. Frankl sagt weiter „Selbst ein Leben, das wir anscheinend vertan haben, lässt sich noch rückwirkend mit Sinn erfüllen, indem wir gerade durch diese Selbsterkenntnis über uns hinauswachsen.“
Für Frankl steht das Glück nicht im Zentrum menschlicher Existenz. Schmerz, Trauer und Leid gehören für ihn dazu und sind unvermeidlich. Es geht vielmehr darum, sich in den Dienst einer Sache oder einer Person zu stellen und nicht wie das Tier seinen Instinkten zu folgen. Dabei ist Freiheit für Frankl nur die eine Seite der Medaille – Verantwortung ist die notwendige andere. Nur dem Menschen, der weiß, wofür er gut ist, geht es gut. Spannungsvermeidung, „Dauerhappiness“, ein bequemes Leben im Schongang gehen für Frankl wider die menschliche Natur. Frankl sagt „Der Mensch braucht Spannung“, die für Motivation sorgt. Und weiter „Wenn das Leben überhaupt einen Sinn hat, muss auch Leiden einen Sinn haben. Es kommt nicht darauf an, an was man leidet, sondern wie man es auf sich nimmt.“ „Anscheinend verträgt der Mensch auf Dauer die absolute Unbeschwertheit im psychologischen Sinne ebensowenig wie die absolute Schwerelosigkeit im physikalischen Sinne, und anscheinend kann er im sinnlosen Raum ebensowenig wie im luftleeren Raum existieren.“

Deutlich vor Frankls Zeiten hat kein anderer als Johann Wolfgang Goethe folgendes verfasst:


In dem Augenblick,
in dem man sich endgültig einer Aufgabe verschreibt,
bewegt sich die Vorsehung auch.
Alle möglichen Dinge,
die sonst nie geschehen wären, geschehen
um einem zu helfen.
Ein ganzer Strom von Ereignissen wird in Gang gesetzt
durch diese Entscheidung
und sie sorgt zu den eigenen Gunsten
für zahlreiche unvorhergesehene Zufälle,
Begegnungen und materielle Hilfen,
die sich kein Mensch vorher je erträumt haben könnte.
Was immer Du kannst oder Dir vorstellst,
dass Du es kannst,
beginne es.
Kühnheit trägt Genie,
Macht und Magie in sich.
Beginne jetzt!

Johann Wolfgang von Goethe

Sie werden leicht erkennen, dass eine Menge sogenannter Motivationsbücher in der Neuzeit diese Gedanken aufgegriffen haben.

Ein Leitfaden für Motivation für die Praxis

Ferdinand. F. Fournies hat bereits in den späten 80iger Jahren in seinem Werk „Coaching for Improved Work Performance“ (ISBN-13‏:‎ 978-0917472114) eine sehr übersichtliche Fragensammlung erzeugt, mit der Sie sich Zug um Zug befassen können, damit Menschen tun, was ansteht. Diese Vorgehensweise ist so fundamental menschlich, dass sie auch heute noch top-aktuell ist und bei Change-Vorhaben regelmäßig herangezogen werden sollte, und zwar nicht nur bei medizinischem Fachpersonal! Denn wenn Menschen nicht tun, was sie tun sollen, dann hat das vor allem in den nachfolgend aufgeführten 16 Punkten die Ursache, die es zu klären oder aufzulösen gilt:

  1. sie (die Menschen) wissen nicht, was sie tun sollen,
  2. sie wissen nicht, wie sie es tun sollen,
  3. sie wissen nicht, warum sie es tun sollen,
  4. sie denken, sie tun es bereits,
  5. es gibt Hindernisse, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen,
  6. sie denken, es wird ohnehin nicht funktionieren,
  7. sie denken, sie können es besser,
  8. sie denken, etwas Anderes ist wichtiger,
  9. es gibt keine positiven Konsequenzen, wenn sie es tun,
  10. sie werden belohnt dafür, die Aufgabe nicht zu erledigen,
  11. sie werden bestraft dafür, dass sie tun, was von ihnen verlangt wird,
  12. sie erwarten negative Konsequenzen, wenn sie es tun,
  13. ihre schwache Leistung zieht keine negativen Folgen nach sich,
  14. persönliche Beschränkungen halten sie davon ab, die Aufgabe zu Ende zu bringen,
  15. persönliche Angelegenheiten, die ihnen verborgen bleiben, 
  16. es ist unmöglich, die Aufgabe zu erledigen

    Weitere Gründe können sein:
  17. das Ziel oder das Ergebnis ist unattraktiv oder uninteressant
  18. die Tätigkeit ist unangenehm, unattraktiv oder uninteressant
  19. Priorität ist nicht hoch genug
  20. fehlende empfundene Sinnhaftigkeit
  21. Wollen vs. Angst, d.h. die (Lern-) Angst ist stärker als das Wollen
  22. falsche Stimmung oder ungünstiger Zustand
  23. Energie und Kraft fehlen

Wenn Sie diese Fragen aufmerksam durchgehen, dann steckt in jeder Frage bereits ein Lösungsansatz. Manche sind leicht umzusetzen (z.B. 1-4: Erklären, was, wie und warum es zu tun ist bzw. aufklären, dass sie noch nicht tun, was zu tun ist, obwohl sie es glaubten, 9-12: Positive Konsequenzen, wenn sie es tun; negative, wenn sie es nicht tun etc.), bei manchen ist es eher schwieriger (z.B. 5: Es gibt Hindernisse…, 14-15: Persönliche Beschränkungen oder Angelegenheiten oder 16: Unmöglichkeit oder 23: Keine Kraft und Energie). Eine Ableitung sei jedoch schon einmal grundsätzlich empfohlen, die wir bei jeder größeren Aufgabe oder jedem Changeprozess vorab empfehlen und angelehnt an die Fragen „Fournies-Analyse“ nennen: Schreiben Sie die wichtigsten Stakeholder auf, die bei der anstehenden Umsetzung in Frage kommen, und nehmen Sie sich die Zeit, die 23 Fragen im Geiste durchzugehen und daneben zu schreiben, ob die wichtigsten Voraussetzungen erfüllt sein dürften oder wo für Sie als Projektverantwortliche/r oder für andere im System (die Geschäftsführung, andere Verantwortungsträger) Handlungs- und/oder Aufklärungsbedarf besteht. Das mindeste sind jedoch die vier Fragen in der Abb.1.

Abb. 1: Veränderungsmotivation nach Fournies. Quelle: NextHealth GmbH

Wenn ein Mitmachen nur Nachteile mit sich bringt oder gar ein „Nicht-Mitmachen“ Vorteile, dann ist Ihr Vorhaben zum Scheitern verurteilt und Sie müssen sich etwas anderes überlegen. Nur wenn die wichtigsten Beteiligten einen Vorteil davon haben, dass sie es tun, oder wenn sie spürbare Nachteile zu erwarten haben, wenn sie es nicht tun, dann wird das Vorhaben gelingen und ein motiviertes Mitmachen im Sinne von „sie werden es tun“ wird erfolgen (Zeile 1 und 4 in Abb. 1).

Pia Drauschke und Stefan Drauschke Im September 2022