Das Trinkgeld, das ich zu geben pflege, fällt mal üppig mal mager aus. Je nachdem. Das hängt mit der Qualität des Essens zusammen, vor allem aber mit der Art und Weise, wie ich vom Kellner, von der Kellnerin behandelt werde. Es ist ein interessanter Selbstversuch zu beobachten: Wann bin ich großzügig, wann bleibt die Geldbörse verschlossen? Dafür gibt es inzwischen tatsächlich aber auch eine Theorie.
Ein Artikel in der Zeitschrift „Psychologie heute“ stellte die „Kellnerologie“ vor. Er beschrieb, so der Untertitel, „Die Suche nach dem heiligen Gral der Trinkgelder“.
Hat das irgendetwas mit dem Servicealltag im Krankenhaus zu tun? Vordergründig natürlich überhaupt nichts. Direkt übertragbar sind die Befunde allenfalls für die Caféteria. Doch ähnlich wie die Geschichte „Fish“ von Stephen C. Lundin (siehe Rezensionen), die vom speziellen Arbeitsalltag der Fischverkäufer auf ihrem Marktstand des Pike Place Fish Market in Seattle handelt, der damit zu weltweitem medialem und Handelserfolg kam, stellen sich beim Lesen dieses Artikels sehr schnell Ideen für den eigenen Bereich ein. In der Fachsprache nennt man das „modellieren“. Man könnte es auch „Stehlen“ nennen, oder professioneller: Übertragung erfolgreicher Strategien als Lernmodell.
Aber zum Fallbeispiel:
Was tut der gewitzte Kellner, um mehr Trinkgeld zu bekommen? Studien in den USA haben herausgefunden, dass es bestimmte Mechanismen gibt, die Gäste zu reichlicher Gabe von Trinkgeld verführen. Michael Lynn, Professor für Kommunikationsforschung an der Cornell School of Hotel Administration im Bundesstaat New York, hat sie in den „10 Geboten der Kellnerologie“ zusammengefasst. Ob alle diese Tricks auch in Deutschland funktionieren, belegt keine Studie, aber den einen oder anderen der folgenden Tipps können sich KellnerInnen hierzulande sicherlich auch zu Nutze machen. Kursiv in Klammern finden Sie von mir noch die eine oder andere Anmerkung.
Die 10 Gebote der „Kellnerologie“:
1. Kleide dich ungewöhnlich:
Wer als Individuum wahrgenommen wird, z.B. durch ein ungewöhnliches Accessoire, bekommt 17% höhere Trinkgelder.2. Stell dich den Gästen mit Namen vor:
Das funktioniert auch umgekehrt, indem man den Gast mit Namen anredet, wenn dieser z.B. mit Kreditkarte bezahlt hat.3. Verkaufen, verkaufen, verkaufen:
In den USA liegt das Trinkgeld bei 15-20% der Rechnungssumme. Schafft man es also, dass die Gäste einen Aperitif, mehrere Getränke und vielleicht noch ein Dessert zu sich nehmen, steigt automatisch das Trinkgeld.4. Geh am Tisch in die Hocke:
Das kann man vor allem in preiswerteren Restaurants oder Kneipen anwenden, um die körperliche Kongruenz zu den Gästen zu erhöhen. Außerdem wird so leichter Augenkontakt aufgenommen und die Gesichter kommen sich näher (außerdem ist es ein Tiefstatussignal, ähnlich wie der berühmte Fernsehkommissar Columbo dies häufiger erfolgreich verwendet).5. Berühre deine Gäste:
Eine kurze, wie zufällige Berührung an der Schulter, die höchstens 2-4 Sekunden dauert, kann das Trinkgeld um bis zu 16% steigern. Der Gast fühlt sich besser bedient, der Kellner scheint ihm sympathischer, auch wenn er die Berührung gar nicht bewusst wahrnimmt (Achtung, ist je nach Typus deutlich mehr oder weniger geeignet, Kinästheten sind in diesem Punkt sehr sensibel).6. Wiederhole jede Bestellung wortwörtlich:
Das kann das Trinkgeld verdoppeln (nennt man in der Fachsprache auch „parot-phrasing“ – oder Papageiensprache).7. Arbeite mit Kreditkartenlogos:
Die Rechnung in einem Umschlag zu präsentieren, auf dem das Logo der Kreditkarte zu sehen ist, kann bis zu 22% mehr Trinkgeld führen.8. Lächle so breit du nur kannst:
Ein besonders breites Lächeln mit offenem Mund wirkt besser als ein nur angedeutetes Lächeln (deutliches Signal an die Spiegelneurone des Gegenüber).9. Prophezeie tolles Wetter:
So wird der Kellner als Überbringer guter Nachrichten wahrgenommen und dafür belohnt (im besten Sinne Botschafter und Botschaft verwechseln).10. Schenk den Gästen Schokolade:
Quelle: Psychologie heute, November 2009, S. 8-9
Fügt man der Rechnung ein Geschenk hinzu, kann das Trinkgeld bis zu 21% höher ausfallen. Wenn man nach der ersten Runde Schokolade kurz darauf wieder zurückkommt und noch ein zweites Stück ausgibt, fühlt der Gast sich als etwas besonderes, dafür revanchiert er sich in den meisten Fällen auch.
Soweit die Tricks des Gastgewerbes. Aber brauchen wir im Krankenhaus Tricks?
Wenn wir einmal die teilweise negative Bedeutung des Wortes „Trick“ beiseite lassen und etwas genauer hinsehen, entdecken wir hinter diesen 10 Punkten ganz einfache Fragen: Was wünscht sich der Gast? Wofür ist er besonders empfänglich? Was macht ihn glücklich und zufrieden? Was überrascht ihn positiv? Wer das weiß und danach handelt, erhält positive Reaktionen: Mehr Trinkgeld in diesem Fall. Vielleicht aber insgesamt auch weniger Beschwerden. Und, wenn es sich um Patienten eines Krankenhauses handelt, könnte es z.B. sogar eine größere Complience sein.
Es geht also vor allem um eine grundsätzliche Einstellung zum Kunden, die sich im Übrigen auch auf andere Mitarbeiter im Krankenhaus, den Kollegen, die Kollegin nebenan, externe Partner, Besucher auswirkt.
Wenn Sie also die Bedürfnisse Ihrer Serviceempfänger analysieren, kommen Sie vielleicht auch auf Ideen, wie sich die Kellnerologie auf Ihr Haus und Ihre Servicebereiche übertragen lässt.
Und noch ein Einsatzgebiet empfehle ich für diesen Praxistipp. Geben Sie ihn (ohne diesen letzten Absatz bitte) Ihren Serviceverantwortlichen in den verschiedenen Tertiärbereichen oder den für die Patientenbetreuung Zuständigen zum Lesen in die Hand und testen Sie die Reaktion. Wer wird ihnen den Artikel kopfschüttelnd zurückgeben und wer von selbst auf den Gedanken kommen, dass es sich hier um eine interessante Metapher handelt, aus der man eine ganze Menge Anregungen entnehmen kann? Auch das kann noch eine interessante Erkenntnis sein.
Dr. Stefan Drauschke