Wir möchten gleich zu Beginn betonen, dass wir hier nicht den Schuldbegriff in juristischer oder strafrechtlicher Sicht meinen und auch nicht diskutieren wollen, das ist eine ganz andere Baustelle. Es geht vielmehr um das Miteinander der Erwachsenen. Bereits in der Kolumne „Die Spiele der Erwachsenen“ (Quelle: Die Spiele der Erwachsenen (Changebrief 99) – NextHealth) gehen wir auf das Dramadreieck mit den drei Polen Verfolger, Retter und Opfer ein, was i.d.R. mit wechselseitigen Abwertungen verbunden ist (ich bin ok, Du nicht) und auch im Sinne der beliebten „Täter-Opfer-Spielen“ das Schuldthema berührt (beispielsweise: Wenn du nicht wärst…).
Wie oft hört man es oder ist selbst der Ansicht, dass der eine oder die andere „Schuld“ sei an etwas, das nicht gut gelaufen ist oder einen selbst belastet. Es kommen dann Vorwürfe und Schuldzuweisungen, die häufig nicht zur Lösung beitragen, sondern sich auf die Beziehung belastend auswirken. Doch Hand aufs Herz: Es geht doch nicht darum, wer Schuld hat, sondern wer verantwortlich ist – und das ist nicht dasselbe!
Verantwortung zu übernehmen bedeutet, sich sichtbar zu machen und Verantwortung ist gewissermaßen ein Ausdruck von „Erwachsen sein“, an Stelle von sich weg zu ducken.
Als Arbeitgeber stellen wir leider fest, dass die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen bei Bewerbern tendenziell eher abnimmt und häufig einer „freizeitorientieren Schonhaltung“ gewichen ist. In bestimmten Berufsgruppen ist die Nachfrage am Arbeitsmarkt so hoch, dass die Gehälter auf einem Niveau angelangt sind, dass diese sich einerseits kaum refinanzieren lassen und andererseits manche Arbeitnehmende dazu verleiten, nur noch mit 30 Stunden Teilzeit arbeiten zu wollen. Begründet wird das mit dem Wunsch nach „Work-Life- Balance“ und mehr Freizeit. Der Schriftsteller und Zyniker Ambrose Bierce schrieb dazu passend: „Verantwortung ist eine abnehmbare Last, die sich leicht dem Schicksal, dem Glück, dem Zufall oder dem Nächsten aufladen lässt“.
Doch wir wollen nichts verallgemeinern, auch heute noch finden wir immer wieder für GÖK Consulting Consultants und für die ViVental GmbH Therapeuten, die sich außerordentlich engagieren und auch Leitungsaufgaben – und Verantwortung – wahrnehmen wollen. Und damit ist ganz natürlich verbunden, dass manches Vorhaben funktioniert und erfolgreich ist, und manches auch nicht. Sind diese Menschen dann „schuld“?
Wir möchten vor diesem Hintergrund noch einmal die Begriffe Schuld und Verantwortung aus systemischer Sicht nicht nur linear, sondern auch mit zirkulären Zusammenhängen betrachten.
Schuldig sein bedeutet, dass jemand als Ursache eines Problems oder einer negativen Situation etikettiert wird. Schuld ist oft mit einer Art von Verurteilung verbunden und fixiert auf die Vergangenheit und auf das, was falsch gelaufen ist. Binäre Begriffspaare wie „falsch und richtig“ sowie „gut und schlecht“ werden im systemischen Kontext aus gutem Grund nicht verwendet, man spricht hier eher von viabel im Sinne von gängig. Was gut ist oder nicht ist letztlich kontextabhängig. Ein eleganter Handstand in der Turnhalle ist hervorragend, in der belebten Fußgängerzone an der Schaufensterscheibe einer Bank komplett unpassend. Jemand hat hier etwas Falsches, d.h. nicht in den Kontext passendes getan und nicht das gewünschte Ergebnis erzielt, und dieser Person wird nun häufig Schuld zugeschrieben. Dabei geht es auch um moralische Bewertungen bei der Frage um Zuweisung von Schuld oder Unschuld.
Dabei ist die Zuweisung von Schuld oft unproduktiv und führt dazu, Menschen in defensives Verhalten zu drängen, um das zu vermeiden, was man im Nachhinein als Fehler beschreibt. Dies blockiert wiederum das Verständnis für den größeren Zusammenhang, nimmt Mut und hemmt Entscheidungsfreude sowie die Übernahme von Verantwortung. Dies zu klären ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine lösungsorientierte Fehlerkultur!
Verantwortung tragen hingegen bedeutet, eine Rolle oder Aufgabe in einem größeren System bewusst zu übernehmen – unabhängig davon, ob man an der Entstehung eines Problems beteiligt war oder nicht. Verantwortung konzentriert sich weniger auf die Vergangenheit und mehr auf die Gegenwart und Zukunft. Es geht darum, konstruktiv zu handeln und Lösungen zu entwickeln, an Stelle einer überlangen Problemanalyse und Fehlersuche – oder gar der Suche nach den Schuldigen. In systemischer Sicht bedeutet Verantwortung, seinen Beitrag im System komplexer Zusammenhänge anzuerkennen und sich zu fragen: „Was kann ich tun, um diese Situation positiv zu beeinflussen, auch wenn ich nicht der Verursachende war?“. Auch die Frage nach dem eigenen Anteil an nicht gewünschten Ergebnissen – an Stelle von Schuld – steht für die Übernahme von Verantwortung.
Die Verschiebung vom „Schuldigen suchen“ hin zu „Verantwortung übernehmen“ ist zukunftsgerichtet und öffnet den Raum für Dialog, Verständnis und Lösungen im System. Es ermutigt die Beteiligten, sich nicht auf Fehler zu fixieren, sondern aktiv und konstruktiv an Veränderungen mitzuwirken. So entsteht eine dynamische Beziehung zwischen den einzelnen Teilen des Systems, die darauf abzielt, das Gesamtsystem zu verbessern. Das ist der Stoff, aus dem erfolgreiche und sich wechselseitig befruchtende Teams gemacht sind.
Nachdem wir uns mit den beiden Hauptworten Schuld und Verantwortung befasst haben, möchten wir noch die damit verbundenen Verben „entschuldigen, verzeihen und vergeben“ näher betrachten. Sie sind im deutschen Sprachgebrauch eng miteinander verwandt, haben jedoch feine Unterschiede in ihrer Bedeutung und im Kontext der Anwendung.
Entschuldigen meint wörtlich „sich von der Schuld freimachen“ bzw. selbst eine Entschuldigung anbieten. Diese Floskel wird oft für leichtere Vergehen oder kleinere Unhöflichkeiten verwendet und ist eher eine formelle Geste, die ausdrückt, dass man sein Fehlverhalten anerkennt und um Nachsicht bittet. Oft wird das Wort in alltäglichen Situationen verwendet und drückt nicht unbedingt eine emotionale Tiefe aus. So sagt man „bitte entschuldigen Sie“, wenn man an anderen vorbeigehen möchte, um sich den Weg zu bahnen. Der Fokus liegt also mehr auf der gesellschaftlichen Form und weniger auf innerer Reue.
Anders ist das Verb „verzeihen“ zu verstehen. Das Wort „verzeihen“ steht in seiner sprachlichen Entwicklung mit der Geste des „Nicht-mehr-mit-dem-Finger-Zeigens“ in Verbindung. Das Wort „verzeihen“ stammt aus dem Althochdeutschen „firzeihhen“, was „etwas übersehen, nachsehen“ bedeutet. Das althochdeutsche „zeihhen“ oder „ziehhen“ bedeutet „zeigen“ oder „hinweisen“, und hat denselben Stamm wie das moderne „zeigen“. In seiner ursprünglichen Bedeutung hieß „verzeihen“ also sinngemäß „nicht mehr zeigen“, „nicht mehr anklagen“ oder „über ein Vergehen hinwegsehen“. Es geht darum, jemandem ein Fehlverhalten nachzusehen oder nach einem Fehler wieder wohlwollend zu sein und die Beziehung wieder verbessern zu wollen.
Kommen wir zum bedeutsameren Begriff des Vergebens. Der Vergebende entscheidet sich bewusst dazu, das Fehlverhalten hinter sich zu lassen und auf eine positive Weiterführung der Beziehung hinzuwirken. Vergeben meint, jemandem endgültig von der Schuld zu entbinden oder einen tiefen, erlösenden Akt zu vollziehen. Vergeben hat oft eine spirituelle oder moralische Konnotation und wird eher in schwerwiegenden Situationen verwendet, in denen tiefes Leid oder ernsthafte Schuld im Spiel ist. Vergeben impliziert, dass man die vermeintliche Schuld des anderen vollständig loslässt. Vergeben geht über das einfache Verzeihen hinaus und trägt eine endgültigere, tiefere Bedeutung.
Doch wofür haben wir Sie zu diesem kleinen Ausflug in das Themenfeld der Schuld und des Entschuldens eingeladen? Wir plädieren dafür, Verantwortung zu übernehmen und Dinge zum Besseren voranzubringen. Dabei können unerwünschte Wirkungen und Nebenwirkungen erzeugt werden, die im Nachhinein als Fehler bezeichnet werden. Es ist weit verbreitet, Schuldige zu suchen, auch um vom eigenen Versagen abzulenken. Doch Schuld zu übernehmen oder anderen „überzuhelfen“ bringt niemanden weiter und schon gar nicht einen selbst. Schuld wiegt schwer, wie eine 10 kg Eisenkette um den Hals, nimmt Lebens- und Entscheidungsfreude und behindert den Zugang zu eigenen Ressourcen. Eigentlich geht es doch vielmehr darum, aus vergangenem Verhalten mit seinen erkannten Folgen zu lernen, um es in Zukunft besser zu machen. Wenn andere auf Sie zukommen, um Ihnen „Schuldketten“ um den Hals zu legen, dann weichen Sie am besten elegant aus und lassen den anderen vorüberziehen. Und sollten Sie bereits die eine oder andere „Schuldkette“ tragen, so trauen Sie sich, diese abzulegen und warten Sie nicht darauf, bis andere Ihnen verzeihen oder vergeben, während dies durchaus wünschenswert ist. Vergeben Sie anderen lieber selbst und erleben Sie, was für eine wunderbare Entlastung damit für Sie verbunden ist.
Pia Drauschke und Stefan Drauschke