"Wir für Demmin"

Ein systemisches Strategie-und Changeprojekt in der Praxis

„Wir für Demmin“ ist der Titel eines gelungenen Strategie- und Changeprojekts im Kreiskrankenhaus Demmin. Dabei ging es nicht nur um pekuniäre, sondern auch um strukturelle, kulturelle und qualitative Veränderungen mit Neuausrichtung von Kliniken, Abteilungen und Strukturen in allen Bereichen. Ein Strategieprojekt mit den Mitarbeitern umzusetzen und durch Transparenz, Konsequenz und Mitwirkung volles Einvernehmen für die Neuerungen zu entwickeln, ist Ziel des einmal ganz anders durchgeführten systemischen Changemanagements in Demmin. Mittlerweile schreibt das Kreiskrankenhaus wieder schwarze Zahlen.

Das Kreiskrankenhaus Demmin ist ein Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung, mit 193 vollstationären Betten und 10 tagesklinischen Betten für Rheumatologie. Mit der Gebietsreform 2011 wurden ca. 20% des ehemaligen Landkreises Demmin an den Landkreis Vorpommern-Greifswald abgespalten. Insgesamt kam es seit 2011 zu einem erheblichen Fallzahlenrückgang. Die Erlöse gingen von 2010 bis 2013 um 2,7 Mio. € zurück. In dieser kritischen Lage erfolgte 2013 die Umwandlung des Eigenbetriebs in die Kreiskrankenhaus Demmin GmbH. Der alleinige Gesellschafter ist der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte. Aufgrund des Erlösrückgangs stellten sich Verluste in Millionenhöhe ein und das Kreiskrankenhaus befand sich Ende 2013 in einer wirtschaftlichen Krise. Im Januar 2014 wurde daher von der neuen Geschäftsführung ein umfassender Sanierungsplan erstellt mit dem Ziel, bereits in 2014 ein ausgeglichenes Ergebnis anzusteuern. Gleichzeitig sollte das Haus wettbewerbsfähig und zukunftssicher aufgestellt werden.
Die drei Schwerpunkte im Sanierungsplan zur Ergebnisverbesserung sind die üblichen „Verdächtigen“:

–    Steigerung der Fallzahlen, des Case-Mix und damit der Erlöse
–    Anpassung der Personalkosten an die jeweilige Leistungssituation
–    Senkung der Sachkosten und  Optimierung der Prozesse

Im klinischen Bereich wurde demzufolge die Subspezialisierung von Abteilungen geplant, insbesondere in der Inneren Medizin und unter anderem die Gründung eines MVZ. Im Bereich der Sekundär- und Tertiärprozesse standen geeignete Controllinginstrumente zur Steuerung der Kliniken mit Einrichtung von Controllingkonferenzen und fallbegleitendem Codieren auf dem Plan, sowie ein neues, konsequentes MDK-Management und -Monitoring durch das Medizincontrolling. Auch eine QM Zertifizierung nach DIN ISO 9001 war vorgesehen. Es wurden Maßnahmen zur Personalkostensenkung ergriffen, zu denen ebenso strukturelle Maßnahmen wie Haustarifverträge, ein neues Dienstplanmodell für die Pflege, die Einführung eines Mitarbeiterpools wie auch die Umstrukturierung von Arbeitsprozessen für mehr Effizienz gehören. Für die Sachkostenreduzierung standen nicht nur Einkaufsmaßnahmen und die Überprüfung sämtlicher Dienstleistungsverträge/Mietverträge auf dem Plan, sondern auch die sich als äußerst effizient und lukrativ erwiesene Reduktion der Energiekosten durch Investition in ein Blockheizkraftwerk – ein zweites BKHW ist bereits bestellt.

Systemisch-Strategie-Changemanagement

Doch was bedeutet vor dem Hintergrund der ausgereiften Sanierungspläne der im Untertitel des Projektes genannte Begriff „systemisch“ –  und was hat das eigentlich mit Strategieentwicklung zu tun- und was Strategie mit Changemanagement?

Zunächst beschreibt „systemisch“ im kybernetischen Sinne, das in einem System mit verschiedenen aktiven Elementen eine große Menge von Rückkopplungsschleifen existieren, durch die keine linearen Ursache-Wirkungsbeziehungen mehr beobachtbar sind. Man spricht im systemischen Kontext nicht von „gut“ oder „schlecht“, sondern kontextabhängig von passend oder gängig – im Fachjargon von viabel – oder nicht gängig beziehungsweise unpassend. Verhalten von Menschen in sozialen Systemen wie einem Unternehmen ist also nie für sich genommen falsch oder richtig beziehungsweise gut oder schlecht, sondern führt eher zu einem gewünschten Ergebnis oder nicht, und zwar immer in Relation zu gesetzten Zielen in gegebenen Kontexten. Weiterhin verfügen Systeme über eine ganze Reihe von Selbststeuerungsmechanismen und neigen dazu, von selbst immer wieder in stabile Zustände zu gelangen.Um konstruktiv zu sein sollten diese Zustände geeignet sein, mit den gewünschten oder notwendigen Ergebnissen einherzugehen

Transparenz, Konsequenz und Mitwirkung

Wenn Menschen sich in einem gemeinsamen Prozess ein gemeinsames, attraktives Wirklichkeitskonstrukt erschaffen und sich hierzu – auch emotional – entscheiden, entwickelt dieses Konstrukt ein beträchtliches Potential, sich tatsächlich zu verwirklichen. Eine gute Strategie ist so ein Wirklichkeitskonstrukt. Wenn man jetzt noch ergänzt, dass dann, wenn man die Kommunikation in einem System (in der Organisation) verändert, sich auch das System an sich verändert, ist die oben gestellte Frage schon beinahe beantwortet. Es geht also darum, gemeinsam mit den Mitarbeitern im Unternehmen auf der Basis einer vorgegebenen Richtung und von
Leitplanken (hier: das Sanierungskonzept und die Vorgaben des Gesellschafters) einen attraktiven zukünftigen und für alle vorstellbaren Zustand zu entwickeln. Wenn die Mitarbeiter sich dafür auch emotional entscheiden, dann werden sie alles daran setzen, diesen Zukunftsentwurf Wirklichkeit werden zu lassen. In diesem Sinne ist eine klare Strategie mit smarten Zielen und Maßnahmen eine Teilmenge des Changemanagements, denn ein Mensch wird sich nur für etwas Neues entscheiden, wenn er es sich auch vorstellen kann und damit eher „gute Gefühle“ verbindet. Das Neue muss im wahrsten Wortsinne innerhalb des eigenen Denkrahmens sein, um Akzeptanz zu finden. Eine wirksame Metastrategie für Veränderung (siehe Abb. 1) ist das Herstellen von Transparenz, das Sorgen für Konsequenz und das Ermöglichen von Mitwirkung. John Kotter hat dabei schon seit langem postuliert, dass wirksame Veränderung Emotion und Irritation braucht, also einen Prozessmusterwechsel, um aus den eingefahrenen Gleisen herauszukommen und Neues zu ermöglichen.


Abb.1: Eine wirksame Metastrategie für Veränderungen

Wie lief es in Demmin?

Um Mitwirkung in größeren Systemen zu ermöglichen, haben wir in Demmin mit dem Vierschichtenmodell® der Veränderung gearbeitet. K1 war der Lenkungskreis, K2 die berufsgruppenübergreifend besetzte Arbeitsgruppe einschließlich Betriebsrat, K3 die Gruppe der Führungskräfte Ebene 1-3 zuzüglich weiterer Leistungsträger und K4 der hierarchie- und berufsgruppenübergreifende Querschnitt durch das ganze Krankenhaus (s. Abb. 2, Seite 59). Es galt, mehr dialogisch zu kommunizieren und nicht nur zu informieren. Wir starteten im Januar und Februar 2015, um im K2 vor dem Hintergrund der gegebenen Dringlichkeit eine Veränderungskoalition zu schmieden. Es wurden sowohl strategische Stoßrichtungen für das Haus definiert als auch der Changeprozess als solcher entworfen und abgestimmt. Im Ergebnis dieser beiden effektiven Workshops war klar, in welche Richtung die Reise führen würde und wie wir vorgehen wollten (Abb. 3).

Abb.2: Vierschichtenmodell der Integration – oder die Violine hat vier Saiten
Abb.3: Der Strategieprozess im Kreiskrankenhaus Demmin

Noch im Februar fand dann die erste K3-Zukunftskonferenz statt mit mehr als 60 Teilnehmern. Für das KKH Demmin war das die erste interaktive Großgruppenkonferenz überhaupt. Entsprechend groß war die Skepsis bei den eingeladenen Führungskräften. Man war sich unsicher, ob das nur eine „Verkaufsveranstaltung“ der Geschäftsführung mit zwei Moderatoren sein sollte, oder ob wirklich die Möglichkeit für echte Mitwirkung bestehen würde. In der Zukunftskonferenz, die dem Konzept von Marvin Weisbord und Sandra Janoff folgt, wird die Ausgangslage mit der entsprechenden Dringlichkeit von der Geschäftsführung kommuniziert und die Teilnehmer
arbeiten mit emotionalen und rationalen Methoden an der Ist-Beschreibung aus ihrer Perspektive weiter. Auf dieser Basis und den klar vorgegebenen strategischen Stoßrichtungen wurden von den Teilnehmern in verschiedenen Workshops am ersten Tag klare Ziele und praxisnahe Zielelemente entwickelt und bereits am zweiten Tag ebenso konkrete Umsetzungsmaßnahmen. Es folgten zwei K2-Workshops mit reger Beiteiligung. Auf der Grundlage der Ergebnisse der Zukunftskonferenz wurden die strategischen Ziele nach den Dimensionen der Balanced Scorecard in zwei Sprachebenen ausformuliert und geschärft. Erste Kennzahlen hat die Gruppe entwickelt und eine für das Haus passende Vision und Mission mit dem Zielhorizont 2020. Zur Halbzeit haben wir diese Ergebnisse den K3-Teilnehmern in einer kurzen und intensiven Konferenz nochmals vorgestellt. Die Teilnehmer zeigten sich davon begeistert, was aus „ihren“ Inhalten geworden ist. Diese Zwischenabnahme war wichtig, um mit den Ergebnissen in den großen K4 zu gehen, den wir in Form einer eintägigen Open Space Konferenz mit einer dreistelligen Teilnehmerzahl Ende Mai durchführten. Diese Konferenz war für einen Samstag und mit mehr als 120 Teilnehmern sehr gut besucht. Im Ergebnis waren nicht nur die ausformulierten Ziele allen Mitarbeitern bekannt, sondern wir haben auch mehrere Hundert Umsetzungsmaßnahmen zusammentragen können.

Abb.4: Die Strategie für alle sichtbar

Roadmap für die kommenden Jahre

Der Nachhall zu dieser Veranstaltung war im Hause außerordentlich positiv. Mit Unterstützung des begleitenden Consultingteams und hauseigenen Fachleuten sind dann in der zweiten Projektphase alle laufenden und neuen Maßnahmen zu integrierten Projektsteckbriefen zusammengefasst worden. Diese wurden in weiteren zwei K2-Workshops intensiv diskutiert und dann im K1 entschieden. Auf diese Weise entstand eine Roadmap im Sinne eines strategischen Planes mit einer ganzheitlichen Projektlandschaft, die die Projektaktivitäten der nächsten Jahre planbar und übersichtlich beschreibt. In einer K3-Konsenskonferenz Anfang Juli haben wir dann den Teilnehmern die finalen Ergebnisse detailliert vorgestellt, abschließend noch einmal kritisch gewürdigt und dann in Form einer persönlichen Unterschrift feierlich besiegelt. Die Vision, Mission und die strategischen TOP-Ziele sind im Haus jederzeit öffentlich einsehbar (s. Abb. 4, Seite 60). Die wichtige positive Wirkung auf die Unternehmenskultur ist an den Rückmeldungen aus der Teilnehmermenge ablesbar. Sie waren zum gesamten Strategieprozess durchweg sehr wertschätzend. Manche Mitarbeiter, die erkannt haben, dass der klar beschriebene, eingeschlagene Weg nicht der ihre ist, haben das Haus inzwischen verlassen. Dafür konnte das Krankenhaus Demmin neue Leistungsträger gewinnen, die zur transparent beschriebenen Strategie passen und bereits begeistert mit der Umsetzung begonnen haben. Die Qualität der Diskussionen in den Betriebsversammlungen und Arbeitsgruppen ist gestiegen und konstruktiver geworden. Selbst die wirtschaftlichen Ergebnisse und Leistungszahlen haben sich messbar zum Positiven verändert, das Haus schreibt jetzt (Ende 2015) wieder schwarze Zahlen. Der Strategieprozess hat sich sozusagen schon während der Prozessphase für das Unternehmen bezahlt gemacht, und der positive Trend geht ungebrochen weiter. Nach der Strategie ist vor der Strategie: Gemäß dem bekannten Plan-Do-Check-Act Zyklus befindet sich das Unternehmen nun im strategischen Prozess, der dauerhaft anhalten wird und Teil der Unternehmenskultur geworden ist.

Marita Bloy
Pflegedirektorin  
Was hat der Strategieprozess schon bis heute gebracht?
Allen ist klar wohin die Reise geht und das Verständnis für Veränderung ist gewachsen. Der Prozess ist positiv besetzt, der Glaube an das Machbare ist entstanden, die Kommunikation ist insgesamt viel offener geworden.
Was war das Besondere an dem Strategieprozess?
Wir haben wirklich alle zusammen gute Ideen entwickelt. Man konnte konkrete Fragen stellen und die Antworten in seine Überlegungen als Führungskraft mit einbeziehen. Ich habe viele Mitarbeiter im Strategieprozess anders, besser kennengelernt.
Pivat-Doz. Dr. med. habil. Lutz Wilhelm  
Ärztlicher Direktor  
Was hat der Strategieprozess schon bis heute gebracht?
Die Kommunikation ist insgesamt offener und besser geworden, auch für Ideen und innovative Gedanken. Es ist allen nun klarer, wohin es geht und wie die Prioritäten sind. Es ist jetzt wichtig, die Strategie im Auge zu behalten! 
Was war das Besondere an dem Strategieprozess?
Die Vorgehensweise, wie Mitarbeiter einbezogen werden können mit
sehr aktiver Teilnahme in einem definierten Rahmen, war neu für uns. Es war faszinierend, wie sich die Strategie von K2 über K3 und K4 immer weiter entwickelt hat und wie wir die Mitarbeiter dann tatsächlich mitgenommen haben. Harte Arbeit war immer mit viel Freude miteinander verbunden; eine interessante Erfahrung für die Zukunft.
Sandra Siemianowski
Betriebsratsvorsitzende  
Was hat der Strategieprozess schon bis heute gebracht?
Die Inhalte der Strategie sind noch sehr präsent, auch im betrieblichen Alltag. Die Kommunikation über alle Berufsgruppe ist offener geworden, man informiert sich untereinander, die internen Wege z.B. bei Anträgen sind kürzer geworden. Durch Kommunikation und Informationen nach außen z.B. durch Presse ist der Belegungsanstieg deutlich spürbar. 
Was war das Besondere an dem Strategieprozess?
Wir hatten dabei erstmals das deutliche Gefühl, dass alle an einem Strang ziehen. Der Wille zusammen die Ziele umzusetzen war spürbar.

Positive Rückmeldungen auf „Wir für Demmin“ aus drei verschiedenen Bereichen der Mitarbeiterschaft.

Autoren:
Dipl. Vw. Pia Drauschke, Dr. med. Stefan Drauschke, Kai Firneisen (Geschäftsführer Kreiskrankenhaus Demmin)
KU Gesundheitsmanagement, Dezember 2015, Seite 58 bis 61, www.ku-gesundheitsmanagement.de
Für weiterführende Literaturhinweise stehen Ihnen die Autoren gern zur Verfügung, E-Mail: info@nexthealth.de