Betriebliches Gesundheitsmanagement – eine Führungsaufgabe?!

BGM ist in aller Munde, Stichworte wie demographischer Wandel, Mitarbeiterattraktivität, Burn-Out oder Bore-Out, Präsentismus oder Absentismus beschäftigen uns Führungskräfte und Mitarbeiter auch im Gesundheitswesen mehr und mehr. Und nun sind wir nicht nur für unser Unternehmen, für die Strategie mit Zielen und Maßnahmen, für gute Führungskultur und gute Ergebnisse verantwortlich, sondern auch noch für die Gesundheit unserer Mitarbeiter und Kollegen?

Dass der Begriff „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ zunehmend an Bedeutung gewinnt, fällt schon durch das ständige Erwähnen bei Kongressen, in Publikums- und Fachzeitschriften auf. Eine aktuelle Studie von 2012 beschreibt, dass im deutschsprachigen Raum 73 Prozent der Firmen die steigende Relevanz von Betrieblichem Gesundheitsmanagement (BGM) erkannt haben, in 2007 waren es nur 52%. Schon 1997 wurde die luxemburgische Deklaration veröffentlicht. Danach sind gesunde und qualifizierte Mitarbeiter sowohl in sozialer als auch in ökonomischer Hinsicht wesentliche Voraussetzung für den Erfolg in der Europäischen Union. Im Juli 2012 ist sogar eine spezielle DIN, und zwar die DIN SPEC 91020, zum Thema BGM erschienen.

Krankenhausunternehmen mit ihren diversen Berufsgruppen sind hier genauso betroffen wie andere, die Krankheits- und Ausfallquoten sind in manchen Bereichen zweistellig, und neue Stellen bleiben nicht selten unbesetzt. Es geht um die Steigerung und den Erhalt der Mitarbeitergesundheit, die Arbeitgeberattraktivität und um die Leistungsfähigkeit des Unternehmens mit seinen Mitarbeitern an sich. Vor dem Hintergrund der aktuellen demographischen Entwicklung mit immer mehr älteren Menschen und das „Nachwachsen“ neuer Generationen mit anderen Ansprüchen an das Leben ist dies eine große Herausforderung.

Der Gesundheitsbegriff schließt die psychosoziale Gesundheit mit ein. Es ist dabei zu beachten, dass die Bedeutung von wertschätzender Umgangskultur, Übernahme von Verantwortung und Vergütung, die (Lebens-) Balance von Freizeit, Familie und Arbeit sich im Laufe der Generationen mehr und mehr verschoben hat.Für ein umfassendes betriebliches Gesundheitsmanagement sind also folgende Ansätze zu verknüpfen:

  • Verbesserung der Arbeitsorganisation und der Arbeitsbedingungen
  • Förderung einer aktiven Mitarbeiterbeteiligung (top down und bottom up)
  • Stärkung der persönlichen Kompetenzen im Unternehmen

Es ist leicht zu erkennen, dass bei dieser Betrachtungsweise BGM nicht für sich als solitäres Arbeitsfeld steht, sondern einem ganzheitlichen Ansatz folgen sollte, in dem BGM ein wichtiger Teil von Strategie, Arbeitsorganisation und Führung ist.

Ich betone das so deutlich, weil ich in Gesprächen mit Geschäftsführern und Verantwortlichen immer wieder feststelle, dass man sich nun auch noch dem Thema „BGM widmen müsse“ und den häufig entstandenen „Wildwuchs“ aus Betriebssportinitiativen, Rückenkursen und Yogagruppen zu einem Konzept machen wolle – anstatt es in die anderen zentralen Ansätze von Führung und Unternehmensorganisation als ein Aspekt neben anderen zu integrieren. Mich erinnert das an die Diskussion um das Thema Prozessmanagement, wo auch die Aspekte von Qualität (Qualitätsmanagement), Sicherheit (Risk-Management), Effizienz und Evidenz häufig in verschiedenen Organisationseinheiten parallel nebeneinander mit viel Aufwand und wenig Wirkung auf rundum gute Prozesse mit teilweise antagonistischen Ansätzen verfolgt werden.

Ein gutes integratives Modell für umfassendes BGM ist das „Haus der Arbeitsfähigkeit“ von J. Ilmarinen, das mit vier Etagen die verschiedenen Ansatzpunkte für die Verbesserung der Arbeitsfähigkeit zeigt, die umso besser wirksam sind, je abgestimmter sie im Rahmen eines Gesamtkonzeptes gesetzt werden.

Die oberste (Chef-)Etage: Strategie, Führung, Arbeitsumgebung und -organisation

Die oberste Etage beherbergt die Themen Führungsverhalten und Strategieklarheit sowie Arbeitsgestaltung und Arbeitsumgebung. Sie beeinflussen nach Ilmarinen zu mehr als 60 Prozent die Arbeitsfähigkeit!

Führung mit ambitionierten und erreichbaren, klar definierten und messbaren Zielen einer klaren Strategie auf allen Hierarchieebenen ist das Mittel gegen die „Beschleunigungsfalle“. Die Menschen im Unternehmen wissen, was zu tun ist und warum sie es tun, und die Arbeitskraft kann auf die langfristigen Ziele ausgerichtet werden. Das ist natürlich nicht primär ein BGM-Ziel, sondern an sich essentiell für den Erfolg des Unternehmens und führt zum Erhalt der Mitarbeitergesundheit, wenn es richtig und mit Augenmaß umgesetzt wird. Es lohnt sich demnach zu prüfen, ob und wie ausgeprägt eine artikulierte Strategie mit definierten Zielen und Maßnahmen im Unternehmen vorhanden ist und wie sie in der täglichen Arbeit operationalisiert wird. Zudem ist die Etablierung von Strukturen und Prozessen mit einer gewissen Durchlässigkeit für Optimierungsideen „von oben und von unten“ zu betrachten, die letztlich die konsequente Maßnahmenumsetzung zur Zielerreichung und fortwährende Verbesserung sicherstellen.

Bezogen auf die Arbeitsorganisation im Hinblick auf betriebliches Gesundheitsmanagement ist zu überprüfen, inwieweit ein dokumentiertes Verfahren zur Ermittlung und Bewertung von Gesundheitschancen und -risiken vorliegt und wie systematisch diese erkannten Möglichkeiten durch konkrete Maßnahmen in die Geschäftsprozesse und Strukturen umgesetzt werden. Ein Unternehmen mit guter Führung ist i.d.R. attraktiver als andere und erwirtschaftet mit seinen Mitarbeitern bessere Ergebnisse. Viele Studien haben gezeigt, dass eine wertschätzende Führungskultur mit den harten Unternehmenskennzahlen wie EBT, EBTA, ROI etc. eng korreliert. Nur was bedeutet „gute Führung“ und ist diese Bedeutung auch zwischen den Führenden und den Geführten geklärt, sind die Kompetenzen bei den Führungskräften vorhanden, um gutes Führungsverhalten zeigen zu können? Gibt es ein explizites und kommuniziertes Wertebild, das aufzeigt, was im Unternehmen wirklich wichtig ist und nach welchen Kriterien die Werte beschrieben werden können? Kennen die Mitarbeiter ihre Aufgaben und die gewünschten Ergebnisse, so dass sie ihre Arbeitskraft eindeutig und klar danach ausrichten können?

Hier ist zu prüfen, wie weit und systematisch diese Aspekte im betrieblichen Alltag ausgeprägt sind beispielsweise durch das Vorhandensein sowie die Verwendung von geeigneten und standardisierten Instrumenten wie Führungsleitlinien, Kompetenzmodellen und Kompetenzprofilen, 360°-Feedbacks, Mitarbeitergesprächen, Entwicklungsplänen, spezifischen Führungstrainings etc..

Die erste und zweite Etage: Werte, Einstellung, Motivation sowie Qualifikation, Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten

Diese beiden Etagen sprechen vor allem die Mitarbeiter an, die mit ihrer eigenen Haltung, ihrem Wissen und ihrem Können ebenfalls wesentlich zur Arbeitsfähigkeit im Unternehmen betragen. Eines unserer größten und am weitesten fortgeschrittenen Führungskulturprojekte in der Tilak (Tiroler Landeskrankenanstalten GmbH) mit mehr als 7000 Mitarbeitern ist genau aus Aspekten der oberen drei Etagen entstanden. Ein TOP-Thema in der Tilak ist betriebliches Gesundheitsmanagement, und die Geschäftsleitung hat davon abgeleitet entschieden, sich frühzeitig mit „guter und gesunder Führung“ zu befassen, denn hier sah sie die Basis für Mitarbeitergesundheit und hat konsequent den Fokus darauf gelegt, während nahezu zeitgleich eine Unternehmensstrategie entwickelt wurde (F&W 5/2012).

Aus diesem Projekt ist dann im Rahmen der Umsetzung gemeinsam eine kompetenzbasierte Qualifizierungsoffensive gestartet worden, mit der in kurzer Zeit mehr als 350 Führungskräfte aller Berufsgruppen nach den Grundsätzen des erlebnisorientierten und aktivierenden Lernens in Führungstrainingskonferenzen in einen intensiven Entwicklungsprozess eintreten konnten. Hierdurch bot sich die Möglichkeit, wichtige Führungskompetenzen bei einer großen Zahl von Führungskräften in kurzer Zeit zu stärken und weiter auszuprägen – eine wichtige Maßnahme im „cultural change“-Prozess. Der Teil Individualkompetenz mit dem Fokus auf „Selbstführung“ hat auch Haltung, Werte, Glaubenssätze und Einstellung im Rahmen einer Selbstreflektion zum Gegenstand, der Teil Sozialkompetenz wirksame Kommunikation und Führung und der Teil Fach- und Methodenkompetenz schließlich Arbeitsrecht, Führen mit Zahlen, Strategie und Change-Management. Die Offensive wird ergänzt durch eine Reihe weiterer Trainings und Seminare, die der Vertiefung wichtiger Aspekte dienen.

Das Erdgeschoss: Körperliche, psychische, geistig-mentale Gesundheit

Laut einer wissenschaftlichen Erhebung leiden 62 Prozent der deutschen Arbeitnehmer an körperlichen Beschwerden wie zum Beispiel Rückenschmerzen oder Herz-Kreislaufbeschwerden. Inzwischen sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen die häufigste Todesursache in Deutschland und nach Krebserkrankungen die zweithäufigste bei Arbeitnehmern. Rechtzeitig erkannt und richtig behandelt ist zum Beispiel die Gesundheitsprognose bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich verbesserbar.

Ziel der Stärkung der persönlichen Gesundheitskompetenz der Arbeitnehmer im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements ist daher auf der einen Seite die Erhaltung und Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes (Primärprävention) und auf der anderen Seite die gezielte Verbesserung des Gesundheitszustandes bei vorhandenen Beschwerden bis hin zur Wiederherstellung der Gesundheit (Sekundärprävention). Ein wesentliches Element ist die Sensibilisierung der Mitarbeiter für das Thema Gesundheit, das Erkennen von persönlichen Risikofaktoren sowie ggf. die Einleitung und Begleitung der Krankenbehandlung bei bisher nicht erkannten oder nicht behandelten Krankheiten (Bluthochdruck, Diabetes, Verspannungen usw.) in Kooperation mit dem Betriebsarzt und eigenen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten.

Nicht selten haben die Schuster die schlechtesten Schuhe. Die Chefetagen von Krankenhäusern haben häufig erheblichen Wachstumspotential darin, den Aspekt des BGM unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsfähigkeit und Mitarbeiterattraktivität in Führung, Strategie und Arbeitsorganisation adäquat zu integrieren, anstelle sich über separate BGM-Ansätze zu lange zu viele Gedanken zu machen. Mitarbeitergesundheit ist einerseits ein Wettbewerbsvorteil und anderseits führt sie ziemlich sicher zu besseren Ergebnissen, weil mehr Menschen mit mehr Energie und Freude sich den wirklich wichtigen Aufgaben und Zielen im Unternehmen widmen können. Die BGM-Diskussion birgt also gute Chancen, sich einmal wieder den wesentlichen Aspekten der Führungsarbeit zuzuwenden, die wie so oft nicht dringend, aber dafür umso wichtiger für den Erfolg und gute Unternehmenskultur sind.
 

Dr. Stefan Drauschke, Mai 2013
 

erschienen in der KMi-Kolumne, Klinik Markt inside 10/2013