Der NextHealth Change-Brief Nr. 17
Mit Werten führen
Das mit den Werten ist so eine Sache. Die ersten Gedanken zu Werten haben oft etwas mit wertvoll, Wertentwicklung, Wertschöpfung und Unternehmenswert zu tun, also mit materiellen Werten. Geschaffen werden diese von Menschen im Unternehmen, die in der Regel nach ihren eigenen Motiven und nach dem entscheiden, was ihnen wirklich wichtig ist. Dies lässt schon vermuten, dass Unternehmenserfolg, Unternehmenswerte und persönliche Werte etwas miteinander zu tun haben, so gelangen wir von den monetären zu den ideellen Werten. Wir halten das Wertethema im Unternehmen für ein außerordentlich wichtiges, denn hier entscheidet sich häufig Erfolg oder Misserfolg – und sowohl gute Führung als auch Strategie basieren letztendlich auf Werten, wenn sie wirklich wirksam sind und die Menschen im Unternehmen bewegen.
„Hier entscheidet sich häufig Erfolg oder Misserfolg“
Mit den Werten ist es ein wenig wie mit der Zeit. „Was ist also die Zeit? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es, wenn ich es aber einem, der mich fragt, erklären sollte, weiß ich es nicht.“ (Augustinus von Hippo, Philosoph und Kirchenlehrer 354-430).
Nach dem Unternehmenskulturmodell von E. Schein (Abb.1) finden sich Werte in der mittleren Ebene, unterhalb der wahrnehmbaren Elemente von Unternehmenskultur (was man sehen, hören, fühlen kann…) und oberhalb der tiefen und letztlich bestimmenden Ebene der Überzeugungen und Glaubenssätze. Diese tiefste Kulturebene ist in der Regel unbewusst und unbekannt, hemmt die Entwicklung oder fördert sie und ist tief im Unterbewusstsein des Unternehmens mit seinen Mitarbeitern verankert, im Fachjargon auch „belief system“ genannt. Hofstede spricht auch von der „kollektiven Programmierung des Geistes“ eines sozialen Systems. Neue Mitarbeiter bekommen das leicht zu spüren, vieles ist ihnen fremd, so manches „Fettnäpfchen“ wird betreten, bis sie ihren eigenen mehr oder weniger bedeutsamen Beitrag zum Wandel der Kultur ihres neuen Unternehmens geleistet haben und sich im Übrigen langsam an die bestehende Kultur unbewusst anpassen. Was zuerst noch auffällt, wir zunehmend in das eigene Denken und Verhalten assimiliert.
Die Werteebene in der Mitte des Kulturmodells von E. Schein ist teils bewusst, teils unbewusst. Bei dem bekannten Anteil handelt es sich um die beispielsweise in Leitbildern proklamierten Werte wie Ehrlichkeit, Effizienz, Transparenz etc., meist gibt es allerdings auch einen unbekannten, der in Dokumenten, im Handeln oder Nicht-Handeln der Mitarbeiter und Führungskräfte in verschiedenen Situationen, der Kommunikation etc. zum Tragen kommt. Dieser unbewusste Anteil der Werte ist oft noch spannender, vor allem wenn man weiß, dass die Werte eines Menschen letztendlich entscheidend dafür sind, was er oder sie tut oder nicht, wie Entscheidungen ausfallen und wohin die persönliche Reise geht. Wenn wir im Coachingkontext oder in Unternehmenskulturworkshops direkt nach Werten fragen, dann ist oft erst einmal Stille im Raum. Es ist unklar, was Werte überhaupt sind, was sie bedeuten und welche denn tatsächlich in der eigenen Persönlichkeit oder in der Kultur des Unternehmens verankert und bedeutsam sind.
Werte und Glaubensätze/Überzeugungen prägen die subjektive
Wahrnehmung von Wirklichkeit einer Person oder der Individuen eines
sozialen Systems. Sie sind das, was ihre Welt im innersten zusammenhält,
das Fachwerk ihrer Persönlichkeit. Wenn man nach Definitionen sucht,
wird man z.B. bei Wikipedia fündig:
Wertvorstellungen oder kurz Werte sind Vorstellungen über
Eigenschaften (Qualitäten), die Dingen, Ideen, Beziehungen u. a. m. von
Einzelnen (sozialen Akteuren) oder von sozialen Gruppen von Menschen
oder von einer Gesellschaft beigelegt werden, und die den Wertenden
wichtig und wünschenswert sind.
Werte können persönliche Werte (z. B. Vertrauenswürdigkeit, also was man an jemandem schätzt), materielle Werte (z. B. Geld, Macht, Eigentum), geistige Werte (Weisheit), religiöse Werte (Glaubensfestigkeit) oder sittliche Werte (Treue) sein.
Die Abbildung 2 beschreibt anschaulich, wie man Werte beispielsweise im Coachingkontext erkennt und was sie auszeichnet. Werte sind oft unspezifisch formuliert und substantiiert (Liebe, Vertrauen, Ehrlichkeit), doch wenn Sie im Gespräch auf diese Ebene kommen, dann sind die Menschen be- und gerührt, was man an non-verbalen Signalen und der Körperphysiologie bemerkt (Hautrötung, Augen weiten sich und beginnen zu glänzen, die Tonalität ändert sich etc.). Werte sind immer positive Beweggründe, Kraft- und Sinnquellen. Wir sprechen gerne von „Vitaminen der Seele“, allerdings nur, wenn die Werte wirklich gelebt werden.
Werte zeichnen sich durch Kriterien aus, und zwar durch Erläuterungskriterien und durch deren relative Bedeutung zueinander. Wenn zwei Menschen Freiheit als Wert für sich reklamieren, dann heißt das noch lange nicht, dass beide dasselbe damit meinen. Der eine möchte tun und lassen können was er möchte, sein eigener Chef sein und sich auch partnerschaftlich nicht binden. Der andere möchte mit seinem festen Partner die Welt bereisen und hasst es, jeden Tag am selben Schreibtisch zu sitzen. Es ist also wichtig, in Gruppen oder in Unternehmen die wichtigsten Werte zu identifizieren, passende, definierende Kriterien zu finden und den gemeinsamen Nenner dieser Kriterien herauszuarbeiten. Oft formulieren wir auch Gegenwerte mit entsprechenden Antikriterien, um über diese provokante Polarität noch mehr Klarheit darüber zu erlangen, worum es bei den eigentlichen Werten im Unternehmen wirklich geht.
Werte definieren – und offen leben!
Richard Löwenthal hat einmal gesagt: „Werte kann man nur durch Veränderung bewahren“. Das klingt widersprüchlich, und doch ist viel Wahres daran. Wir können von einem Fall aus der Coachingpraxis berichten, wo der Coachee sich über Jahre vom Wert „Pflichterfüllung“ getrieben eine konfliktreiche Welt im privaten und beruflichen Kontext aufgebaut hat, darunter leidet und dann erkannte , dass der weitere wichtige Wert „Ehrlichkeit“ auch sich selbst gegenüber gelten muss. Diese Bedeutungsverschiebung machte den Weg frei zu vollkommen wertebasierten wesentlichen Veränderungen, die ganz von innen heraus unterstützt waren und damit außerordentlich wertvoll – und wirksam waren.
Wenn Werte im Unternehmen definiert sind oder auch einfach nur offen
gelebt werden, dann sind die Führungskräfte auch in diesem Punkt
wesentliche Vorbilder. In keinem anderen Bereich als den Werten werden
Abweichungen von Mitarbeitern stärker bemerkt und als unehrlich
empfunden, was Demotivation und Frustration mit sich bringt. Der
Umkehrschluss liegt nahe: Wenn Sie für sich ganz persönlich und für Ihre
Abteilung oder Ihr Unternehmen die wichtigsten Werte identifiziert und
mit Bedeutung aufgeladen haben und Ihre Ziele und Ihr Verhalten mit
dieser Wertebasis einhergehen, dann führt das zu großer Motivation.
Gemeinsam gelebte Werte helfen dabei, mit den Menschen im Unternehmen
Sinn zu stiften, erfolgreich zusammenzubleiben und vieles zu erreichen.
Dr. Stefan Drauschke, November 2013
Erschienen in der KMi-Kolumne, Klinik Markt inside 22/2013