Der NextHealth Change-Brief Nr. 27
Die wichtigsten Prinzipien eines wirksamen Change-Managements – Strategien für erfolgreiche Veränderungsprozesse im Krankenhaus
Change-Management bedeutet, Veränderungsprozesse auf Unternehmens- und persönlicher Ebene zu planen, zu initiieren, zu realisieren, zu reflektieren und schließlich zu stabilisieren. Dabei spielen auch Verhaltensmuster, Emotionen und persönliche Einstellungen der Beteiligten eine große Rolle, es „menschelt“ also sehr. Vorausgesetzt, dass man grundsätzlich Menschen führt und Systeme managt, dann hat man es beim Change-Management immer auch mit Führung zu tun. Da auch während der alltäglichen Führung in der Regel Ziele zu erreichen sind, die ein Delta zum Ist-Zustand aufzeigen, sind die Prinzipien von Führung im Change-Prozess nicht wesentlich andere als die der Führung im Allgemeinen. Der Fokus dieses Beitrages liegt dabei auf dem übergeordneten Change-Management-Prozess unter Berücksichtigung wichtiger Aspekte von Führung im Change-Kontext.
Dringlichkeit empfinden und kommunizieren
Gewohnheiten und eingefahrene Rituale sind wichtige Verhaltensmuster, die grundsätzlich sinnvoll sind, weil sie oft Energie und Zeit sparen helfen. Man spricht gerne von der Komfortzone, in der Menschen sich sicher und kompetent fühlen. Neues ist für viele angstbehaftet und verlockend zugleich. Nur dann, wenn sowohl die Führungskräfte als auch die Mitarbeiter die Dringlichkeit von Veränderung empfinden, werden sie auch genug Energie dafür aufbringen. Ansonsten ist der Widerstand gegen den Wandel, das Festhalten an alten Mustern, die Angst, alte Gewissheiten und liebgewordene Gewohnheiten verlernen zu müssen, einfach zu groß.
Eine starke Veränderungskoalition schaffen
Größere Veränderungen werden nur möglich, wenn eine entscheidende Führungsgruppe gemeinsam und konsequent an einem Strang zieht. Nur dann kann das Führungsteam andere überzeugen und adäquat mit den unweigerlich auftretenden Widerständen umgehen. Es hat sich daher bewährt, in einer Vorphase des Change-Prozesses im kleinen Führungskreis die angestrebte Veränderung mit allen Konsequenzen – auch dem zu erwartenden Gegenwind – im Rahmen eines Teamcoachings vorweg zu nehmen. Dabei ist zu klären, wie weit man tatsächlich gemeinsam kommen will und kann. Stellen sich dabei zu große Meinungs- oder Werteverschiedenheiten heraus, ist es manchmal besser, den Prozess gar nicht erst zu beginnen – oder kritisch das Führungsteam als solches zu hinterfragen oder die Veränderungsschritte klein zu halten. Bei dieser Gelegenheit kann das „Change-Team“ auch auf die zu erwartenden typischen Phasen der Veränderung mit den damit verbundenen teilweise sehr intensiven Emotionen vorbereitet werden. Nach dem Modell der US-amerikanischen Psychiaterin E. Kübler-Ross, das von R. B. Lacoursiere zu den „vier Phasen der Veränderung“ adaptiert wurde, folgt der Orientierung und Verwirrung (1) zu Beginn der Veränderung die Frustration mit viel Widerstand (2), um nach dem „Tal der Tränen“ – der Entscheidungs- und Beschlussphase (3) – endlich der vierten, produktiven Phase mit Zuversicht, Freude und dem Enthusiasmus (4) Raum zu geben.
Generell ist es für wirksame Veränderungendurch diese Phasen hindurch wichtig, die Unterstützung der nächsten Ebene zu erhalten. Im Krankenhaus sind dies die Chefärzte, die Pflegeführungsebene sowie die führenden Köpfe der Servicebereiche. Es ist das Mittel der Wahl, klare und ehrliche Angebote seitens der obersten Führungsebene zu unterbreiten, sich an dem Veränderungsprozess mit seinen Zielen und Maßnahmen aktiv und gestaltend zu beteiligen.
Metaziele und Voraussetzungen klären
Es hat sich in unserer Change-Praxis außerordentlich bewährt, noch vor den inhaltlichen Aspekten der Veränderung, wie Zielen und Zukunftsvorstellungen, zu klären, welche Vorteile und welcher Nutzen von einer gelungenen Veränderung zu erwarten sind und welche Voraussetzungen für eine wirksame Veränderung für wichtig gehalten werden. Bei diesem Schritt werden sehr viele Informationen über ansonsten stillschweigende Voraussetzungen, geheime Spielregeln und Zustände, die man im Unternehmen haben oder am liebsten loswerden möchte, bekannt.
Den Strategierahmen und Inhalte festlegen
Menschen entscheiden sich nur für Veränderungen, wenn sie sich diese vorstellen können. Das bedeutet, sie müssen ihnen innerhalb ihres eigenen „Denkrahmens“ angemessen und verständlich vermittelt werden. Das Erarbeiten und Festlegen von vorstellbaren Zielen und Maßnahmen gehört also immer in das erste Drittel eines gelungenen Change-Prozesses, nachdem Metaziele und Voraussetzungen geklärt sind. Je mehr die Mitarbeiter im Unternehmen selbst an der Planung und Umsetzung beteiligt werden, desto größer ist ihre Akzeptanz gegenüber Maßnahmen, die den gemeinsamen Vorstellungen entspringen.
Systemisch arbeiten
Der Mensch ist keine Maschine, bei der eine lineare Ursache-Wirkungs-Beziehung herstellbar ist, sondern ein komplexes System mit ebenso komplexen Selbststeuerungsmechanismen. Besonders in der sozialen Interaktion mit anderen Menschen nimmt Kommunikation eine Schlüsselrolle ein: Wenn Sie die Kommunikation im System verändern, dann verändert sich auch das System als solches. In Unternehmen wird häufig zu viel informiert und zu wenig kommuniziert. Führung im Change-Kontext lebt von wirksamer, offener und vor allem dialogischer Kommunikation.
Eine wichtige Metastrategie für erfolgreichen Wandel besteht darin, Transparenz herzustellen, Konsequenzen sicherzustellen und Mitwirkung zu ermöglichen. Wenn im System klar ist, wer die „rote“ und wer die „grüne“ Laterne hat, dann wird sich Veränderung schon deswegen einstellen, weil keiner für alle erkennbar gerne das Schlusslicht bilden möchte, was Bewegung zur Folge hat. Es hat sich weiterhin bewährt, im Change-Prozess für die ebenfalls oben erläuterten vier Phasen des Change neben dem gültigen Organigramm eine schnelle und systemische Change-Struktur aufzubauen, die wir die „vier Schichten für wirksame Veränderung“ nennen. Danach ist der innerste Kern, auch Kreis 1 (K1) genannt, die Veränderungskoalition und der zweite Kreis (K2) eine passend besetzte Arbeitsgruppe bestehend aus wandlungsaktiven Mitarbeitern, Experten und konstruktiven Kritikern. Der dritte Kreis (K3) sind berufsgruppenübergreifend die Führungskräfte der Ebenen 1-3, die zur Mitgestaltung von Zielen und „Zukunftskonstrukten“ eingeladen werden, und der vierte Kreis (K4) stellt das ganze System dar, und zwar berufsgruppen- und hierarchieübergreifend. Im K4 werden Zielvorstellungen kommuniziert und gemeinsam an Umsetzungsmaßnahmen gearbeitet.
Großgruppenarbeit im Change anwenden
Wenn Sie mit den K-Kreisen interaktiv arbeiten möchten, insbesondere mit K3 und K4, dann stoßen übliche Workshopmethoden schnell an ihre Grenzen. Es gibt eine ganze Reihe von praxiserprobten und inzwischen weltweit verbreiteten Großgruppenformaten, mit denen man mit 40 bis 1000 (!) Teilnehmern produktiv und interaktiv arbeiten kann. Beispiele hierfür sind die Impulskonferenz (Open Space Technology), die Zukunftskonferenz (Future Search), das World-Café und viele andere mehr. Der Vorteil ist, dass man sich einen Raum schafft, in dem man gemeinsam sozusagen am „offenen Nervensystem“ der Organisation arbeitet.
Es geht dabei immer um das Einladen der „kollektiven Intelligenz“, um noch mehr gute Ideen und Lösungen zu generieren, es geht um die Gruppe an sich, denn Entscheidungen, die in einer Gruppe in einem ehrlichen interaktiven und emotionalen Prozess getroffen werden, haben auch für die einzelnen Gruppenmitglieder oft hohe Verbindlichkeit, und es geht auch darum, Menschen zu gewinnen, die im weiteren Change-Prozess bereit sind, mehr Verantwortung zu übernehmen (sog. Change-Agents). Insofern ist Großgruppenarbeit ein wesentliches Element für erfolgreiche Veränderung.
Glaubenssätze in der Unternehmenskultur
Für den ehemaligen MIT-Professor E. Schein wird der wahrnehmbare Teil der Kultur eines Unternehmens (was Sie hören, sehen, fühlen können) von der meist unbewussten Ebene der Werte (was den Menschen im Unternehmen wichtig ist) und von den Überzeugungen und Glaubenssätzen (was die Menschen glauben, was für sie wahr ist) gespeist. Im Change-Management geht es immer auch darum, auf dieser tiefen und unbewussten Ebene zu arbeiten. Wenn Menschen im Unternehmen glauben würden, dass das Klinikum auf keinen Fall untergehen kann, egal welche Resultate erwirtschaftet werden, dass es sowieso egal ist, was die „da oben“ sagen und – was immer man tut oder nicht tut – es sowieso keine wirklichen Konsequenzen gibt, dann wird ein aktives Change-Management schwierig werden. Um diese Glaubenssätze wirksam zu verändern, setzt man die oben beschriebene Metastrategie ein (Transparenz, Konsequenz, Mitwirkung) und es ist wesentlich, dass die Führungskräfte Versprechen machen – und diese auf jeden Fall halten. In der Folge wird sich mit der Zeit das Glaubenssystem verändern. Man wird glauben, dass sowieso etwas geschieht, wenn „die da oben“ etwas ankündigen, dass es Konsequenzen gibt und es sich lohnt, mitzuwirken und mitzugehen. Erst dann gelingt Change im System Ihres Unternehmens tatsächlich und nachhaltig.
Zusammenfassung und ein Experiment wagen
Die aus unserer Praxis der Veränderungsbegleitung wichtigsten Prinzipien sind Ihnen nun bekannt. Wenn Sie stets beachten, dass Sie es im Unternehmen i.d.R. mit Menschen zu tun haben, die selbst dem Bedürfnis nachgehen, sinnerfüllt ihre Arbeit zu verrichten und im Grunde genommen – wenn man sie lässt – auch ihren Anteil zum Großen und Ganzen im Unternehmen beitragen möchten, dann werden Sie sicher ein erfolgreicher „Change-Manager“. Und noch ein Tipp für ein kleines (Selbst-)Experiment am Schluss: Selbst dann, wenn Ihre Kollegen und Mitarbeiter anders zu sein scheinen als im vorherigen Satz beschrieben, dann probieren Sie einfach einmal aus – nur für eine gewisse Zeit – anzunehmen, Ihre Mitarbeiter wären so und verhalten Sie sich selbst entsprechend. Seien Sie gespannt auf die bei diesem „Experiment“ gewonnenen Erkenntnisse!
Dr. Stefan Drauschke, Pia Drauschke, Prof. Michael Albrecht, Juni 2014
Erschienen in der Klinik – Wissen – Management, 02/2014