Man führt Menschen – und managed Systeme. Führung hat also immer mit Menschenführung zu tun. Das gilt auch im Gesundheitswesen und ist eine komplett berufsgruppenübergreifende Aussage. Wenn man diese einleitenden Sätze wörtlich nimmt, dann haben die Prinzipien guter Führung nicht nur mit dem Führen von Mitarbeitern zu tun, sondern auch mit dem sogenannten „lateralen Führen“. Darunter versteht man Führung ohne geliehene Macht, gegenüber Kollegen oder seinem Chef oder gar Patienten bestimmte Dinge zu tun oder zu lassen.
Führung bedeutet, mit wirksamer Kommunikation zu entscheiden und zu verbinden
Auf den Punkt gebracht, ist Führung nichts anderes als wirksame Kommunikation. Wirksam meint, dass die Kette von „ich meine etwas“ zu „ich sage etwas“ zu „mein Gegenüber hört es“ zu „mein Gegenüber versteht es“ zu „mein Gegenüber ist einverstanden“ bis zu „mein Gegenüber entscheidet es zu tun – und tut es“ ununterbrochen funktioniert. Dabei ist Kommunikation natürlich keine Einbahnstraße, sondern erfolgt i.d.R. dialogisch – und es gibt viele Stolpersteine, die sowohl beim Sender als auch beim Empfänger liegen können. Gute Führung hat also auch damit zu tun, mit wenig Friktionen und hohem Einverständnis miteinander gute Ergebnisse zu erzielen. Hierfür müssen Verbindungen geschaffen werden: Ziele mit Maßnahmen, Menschen im Unternehmen mit Zielen und den damit verbundenen Aufgaben, Menschen im Rahmen der Arbeitsteilung und Delegation zwischen und in Abteilungen mit anderen Menschen ….Auf diesem Weg sind ständig Fragen zu stellen und Entscheidungen zu treffen, wie„sind wir auf dem richtigen Weg?“, „genügen die Ergebnisse?“, „verfolgen wir dieses oder jenes Ziel?“, „haben wir die richtigen Mitarbeiter?“. Das Entscheiden macht Führung oft unbequem, denn sich für etwas zu entscheiden, wie schon der Wortstamm ausdrückt, bedeutet sich gegen etwas anderes zu entscheiden, das eine also vom anderen abzutrennen – und auch danach zu handeln.
Gute Führung kann man lernen, wenn man das möchte, und das ist gerade in Krankenhäusern als Expertenorganisationen wichtig, weil hier naturgemäß sehr viel Wert vor allem auf Fachkompetenz im Primärberuf gelegt wird.
„Doch ein guter Arzt oder eine gute Pflegekraft ist noch lange nicht automatisch auch eine gute Führungskraft, ebenso wie hohe Fachkompetenz allein noch nicht zum Erfolg führt.“
Führung im systemischen Kontext betrachten
Führung von Menschen findet in komplexen Systemen statt, was bei der Beschreibung und Entwicklung von Führungskultur wesentlich ist, damit sich tatsächlich „etwas bewegt“. Systemische Modelle gehen davon aus, dass wie bei lebenden Systemen Ursachen nicht unmittelbar eine spezifische Wirkung hervorrufen, sondern eher komplexe und nicht-lineare Wirkungszusammenhänge bestehen. Frühere Führungsmodelle haben sich nach den Regeln der Kybernetik erster Ordnung an mechanischen Maschinen und linearen Ursache-Wirkungs-Mechanismen orientiert und gelten heutzutage im Führungskontext als weitgehend überholt. Linear wäre, dass nach Drücken eines bestimmten Knopfeseine bestimmte Reaktion geschieht, und zwar immer wieder. Der Mensch ist keine Maschine, und während das Menschenbild des Taylorismus im letzten Jahrhundert Fließbandarbeit hervorgebracht hat, liegen modernen Führungsphilosophien andere, positivere und selbstbestimmte Menschenbilder,wienach der Theorie Y nach Mc Gregor, zu Grunde.
„Hier gilt die Annahme, dass Menschen von selbst Sinn suchen und motiviert ihrer Arbeit nachgehen.“
Führungskräfte, die dies glauben und ihre Mitarbeiter fordern und fördern, werden häufig die Erfahrung machen, dass ihre Mitarbeiter sich tatsächlich entsprechend ihrer Grundannahme verhalten. Das Gegenteil zu glauben (Theorie X) führt häufig zu der gegenteiligen Beobachtung; dies ist ein gutes Beispiel von der dem systemischen Denken innewohnenden Annahme der beobachterabhängigen, subjektiven Wirklichkeit.
Weiterhin besteht das System im Unternehmen aus Führenden und zu Führenden. Nur wenn alle Beteiligten in guter Verbindung bleiben, wird den Führenden auch gefolgt. Wir gehen so weit zu behaupten, dass dann, wenn Ihnen als Führungskraft nicht mehr gefolgt wird – und Folgen ist eine freiwillige Entscheidung der Geführten – Sie in Wirklichkeit gar keine Führungskraft mehr sind. Die Menschen kommen zu einem attraktiv scheinenden Unternehmen und verlassen im Kündigungsfall ihren Chef. Danach ist gute Führung auch eine wichtige Grundlage dafür, Mitarbeiter als attraktiver Arbeitgeber für das Unternehmen zu interessieren und langfristig zu halten, wenn es die für das Unternehmen „richtigen“ Mitarbeiter sind.
Mitarbeiter partizipieren lassen
Jedes wirklich erfolgreiche Unternehmen, wozu auch Krankenhäuser gehören, verfügt über eine klare Strategie, ein straffes Umsetzungskonzept, eine dazu passende Unternehmenskultur und eine geeignete Struktur. Wenn die Unternehmensstrategie möglichst unter Mitwirkung der Führungskräfte und weiterer Leistungsträger entschieden wurde, ist es auch sinnvoll, die Soll-Führungskultur als Verhaltensrichtlinie in Form von Führungsgrundsätzen gemeinsam zu entwickeln und zu konsentieren. Wenn dies erfolgt ist, können Kompetenzprofile für die wichtigsten Führungsfunktionen auf der Basis eines einheitlichen, unternehmensspezifischen und berufsgruppenübergreifenden Kompetenzmodells beschrieben werden.
Auf diese Weise wurden in einem unserer Führungskulturprojekte in einem Großklinikum mit mehr als 6.000 Mitarbeitern eine Führungsleitlinie mit sieben konkreten, verhaltensorientierten Führungsgrundsätzen und ein spezifisches Kompetenzmodell, basierend auf drei Kompetenzfeldern und 19 dazugehörigen explizit ausformulierten Kernkompetenzen, erarbeitet. Dazu wurden berufsgruppenübergreifende Projektgruppen gebildet und Führungskonferenzen mit mehr als 100 Führungskräften abgehalten.
Zwei Jahre nach der Strategiefestlegung fand eine Großgruppenkonferenz mit mehr als 600 Teilnehmern statt, die unter anderem dem Strategiereview diente. Dabei konnten wir auchherausfinden, was die Mitarbeiter, die geführt werden, unter guter Führung verstehen, und diese Erkenntnisse in die Führungsleitlinie mit einfließen lassen.
Das Modell sollte individuelle, soziale sowie führungsrelevante Fach- und Methodenkompetenzen berücksichtigen und die Kernkompetenzen enthalten, die für das in der Führungsleitlinie relevante Führungsverhalten erforderlich sind. Diese Kompetenzprofile können dann nachfolgend als Grundlage für Zielvereinbarungen, Qualifikationsmaßnahmen und für die Auswahl von Führungskräftendienen und damit die gezielte Entwicklung der Führungskultur voranbringen.
Detaillierte Kompetenzprofile für mehr als zehn verschiedene Führungsfunktionen legen darüber hinaus die gewünschte Ausprägung der Könnensstufen fest, die im Kompetenzmodell in drei Levels von Basisausprägung bis zum Experten gründlich ausformuliert und beschrieben worden sind,u.a. als Grundlage für Trainingsmaßnahmen.
Werte und Haltung entscheiden
Die Haltung und das Werte- und Menschenbild (s.o.) prägen die Führungskraft, über die jemand mit Führungsaufgaben verfügt. Hier entscheidet sich, ob jemand die Führungsrolle als eigenen „Rollenhut“ neben dem des Experten überhaupt anerkennt und auch für sich annimmt. Wir sprechen hier von Rollenklarheit, die auch sonst im Leben von uns verlangt wird. Wir sind mit einer gewissen Selbstverständlichkeit Chefarzt, Vater oder Mutter, Ehemann oder Ehefrau – und vielleicht auch Führungskraft. Wenn man dies für sich (an-)erkannt hat, dann will man auch gut führen. Bekanntlich kommt vor dem Können das Wollen, und das Können prägt letztendlich das Verhalten.
Werte beschreiben, was im Unternehmen die Menschen motiviert etwas zu tun, was sie wichtig finden und was konkret darunter zu verstehen ist. Man sagt, Werte sind „Vitamine der Seele“, wenn sie gelebt werden. In der Praxis sind im Unternehmenskontext maximal vier bis fünf Hauptwerte mit korrespondierenden Antiwerten zu beschreiben, die jeweils mit Wertekriterien zu versehen sind, damit allen klar ist, was hiermit gemeint ist. Die Wertebeschreibungen sind dann gut, wenn die Führungskräfte darin übereinstimmen, dass damit einem neuen Mitarbeiter leicht klarzumachen ist, was im Unternehmen „angesagt“ ist – und was nicht.
Mitarbeiter sinnvoll kontrollieren und Feedback geben
Eine Grundaufgabe von Führung ist delegieren und kontrollieren. Dabei ist in diesem Sinne „Kontrolle“ deutlich positiver besetzt als das Wort es vermuten lässt. Ohne die Resultate der Mitarbeiter zu kennen und zu entscheiden, ob diese genügen oder nicht, können Ziele im Unternehmen nicht erreicht werden. Kontrolle dient der Steuerung im Sinne des Erkennens von Ist-/Sollabweichungen. Wertschätzendes Feedback ist elementar, um diese Erkenntnis dem Mitarbeiter so zurückzumelden, dass er dies annimmt, versteht, einverstanden ist und sein Handeln danach ausrichten kann und will.
„Gutes Feedback ist immer auf der Verhaltensebene zu geben und lässt den Wert der Person stets unangetastet.“
Dabei gilt die Faustformel „sei nicht nett, sei klar!“. Ein Beispiel könnte die Wiedergabe des folgenden fiktivenkritischen Feedbacks sein: „Ich musste feststellen, dass der OP heute wieder nicht wie verabredet um 08:00 so gerichtet war, dass ich mit der Operation des ersten Patienten pünktlich beginnen konnte (Wahrnehmung). Nicht nur mein Team und ich mussten warten, ich sorge mich auch, dass wir auf diese Weise die OP-Auslastung nicht erreichen können (Folge und Selbstaussage zu Gefühl/Bedürfnis). Ich bitte Sie daher dringend darum, Ihre Vorbereitungsarbeiten sodurchzuführen, dass wir ab sofort die Zeiten einhalten werden! (Bitte auf der Verhaltensebene)“
Spekulationen darüber, ob der andere vielleicht unfähig sein könnte, diese Arbeiten richtig durchzuführen oder dies nicht wollte oder kein guter Mitarbeiter sein könnte, entbehren jeder wahrnehmbaren Grundlage, sind immer Urteile von oben herab und geeignet, die Beziehungsebene deutlich zu belasten.
Die Führungskultur und die Mitarbeiter entwickeln
Die Maßnahmen zur Entwicklung der Führungskultur im Unternehmen und der Mitarbeiter an sich sind langfristig wie ein Projekt konkret zu planen. Als „Zutaten“ kommen beispielsweise Führungstrainings, die für die Vermittlung von Basiskompetenzen auch in größeren Gruppen interprofessionell stattfinden können, Coaching und Peercoaching, Wertearbeit, Unternehmenskommunikation, Mentoring, Lerngruppen, kollegiale Fallberatung etc. in Frage. Es gibt vielfältige Möglichkeiten.
Schlussfolgerungen und Beobachtungen
Gute Führung transparent zu machen und gemeinsam zu entwickeln und umzusetzen begeistert viele in Krankenhausunternehmen, wenn sie verstehen, dass es eigentlich darum geht, gemeinsam mit mehr Freude und einer gewissen Leichtigkeit mehr zu erreichen. Widerstand regt sich dabei regelmäßig, weil neue Wege zu gehen auch Angst erzeugen kann und mancher erkennt, dass er sich von liebgewonnenen Verhaltensweisen zu verabschieden hat. Doch am Ende gewinnt meist die Einsicht, dass es richtig und notwendig ist, die Führungskultur zielgerichtet gemeinsam zu verändern, wenn man in dem mit knappen Ressourcen versehenen „Krankenhausmarkt“ auch zukünftig noch erfolgreich Bestand haben möchte.
Dipl. Vw. Pia Drauschke und Dr. Stefan Drauschke, Dezember 2014
Erschienen im Magazin Klinik | Wissen | Management, Oktober 2014, Ausgabe 4