Der Wert, einmal weniger oder etwas ganz anderes zu tun (Changebrief 109)

Der Tag heute war für uns einmal wieder „one of thouse days“, wie auch Sie selbst diese Tage wahrscheinlich nur allzu gut aus Ihrem fordernden Job kennen. Gestern ist es spät geworden, weil noch ein Termin für heute vorzubereiten war. Und dennoch klingelte früh der Wecker und es reihte sich Telefonat an Besprechung, dazwischen gab es Mitarbeiterthemen und IT-Probleme zu lösen. Der Chef eines Partnerunternehmens rief gleich morgens um 0800 Uhr an, um ganz wichtige Infos auszutauschen und ein Kunde wollte zwischendurch sofort einen Coachingtermin vereinbaren, ein anderer einen Teamworkshop besprechen. Der gestern vorzubereitende Termin, eine Programmkommissionssitzung für die anspruchsvolle Großveranstaltung XPOMET (lwww.xpomet.com) fand dann natürlich auch noch via Teams statt und der Tag verging, als würde die Zeit nur so davonrennen und wir hinterher.

Wie entspannt war es dann am Abend, gemeinsam im Garten den Teich zu gärtnern und ein Staudenbeet von sog. Unkraut zu befreien. Wir dachten dabei an das Konzept von Welt und Gegenwelt, über das vor vielen Jahren Hans-Dieter Hermann, seit 2004 renommierter Sportpsychologe der deutschen Fußballnationalmannschaft, bei einer Festrede anlässlich der K3 Konsenskonferenz eines von uns begleiteten Strategieprozesses der Universitätsmedizin Leipzig sprach. Die Kernaussage war, dass dann, wenn der berufliche Alltag voller Anspannung, reichlich Arbeit, Erfolgs- und Termindruck sowie internem und externem Wettbewerb wäre, man zur Erholung etwas ganz anderes tun sollte. Er meinte damit eine sich möglichst vom sonstigen Alltag unterscheidende Gegenwelt, die andere Inhalte haben und nach anderen Gesetzmäßigkeiten ablaufen sollte. Als Gegenbeispiel nannte er Führungskräfte, die immer 120 % geben und in der Freizeit Regattasegeln gehen. Wer von Ihnen schon einmal Blauwassersegeln genossen hat, kann sich vorstellen, dass man bei Wind und Wellen gut abschalten könnte. Doch viele Freizeitsegler sind ambitionierte Regattasegler und stellen sich in der Freizeit demselben Druck und Wettbewerb wie im Berufsleben. Das mag sich vielleicht zunächst gut anfühlen, doch mehr vom Selben bringt mehr vom Selben, in diesem Fall nur mit anderen Mitteln.

In einer echten Gegenwelt würde man sich einmal wirklich Zeit nehmen, in Ruhe und ohne Eile den Gedanken nachgehen oder einfach nur die Landschaft und das Meer genießen. Das klingt gut, doch ist gar nicht so einfach. Wer hat nicht schon selbst erlebt, dass nach anstrengenden Monaten und viel Vorfreude auf den Urlaub die aufgestaute Welle einen erst einmal „von hinten“ überrollt und man gleich zum Urlaubsbeginn krank wird oder in den ersten Tagen so gereizt und im alten Trott ist, dass an Abschalten nicht zu denken ist – oft zum Leidwesen der beiwohnenden Familie.

Als wir vor einiger Zeit auf dem Rückweg von einem Urlaub aus Übersee waren und ein falsches Computerupdate weltweit für Chaos sorgte, hatten wir das Glück, in der Flughafenlounge in Amsterdam einen Arbeitspsychologen kennenzulernen und konnten das Thema miteinander gründlich vertiefen. Wir waren ganz überrascht, aus welcher Quelle Herr Herrmann seinerzeit mit seinem Begriff der Gegenwelt damals in Leipzig geschöpft hatte.

Der Psychologe erläuterte uns, dass eigene „Welt“ sich im psychologischen Sinne auf die bewusste Realität bezieht, in der ein Individuum lebt. Diese besteht aus der äußeren sogenannten Wirklichkeit mit der materiellen und sozialen Umgebung, in der Menschen interagieren, arbeiten und leben einschließlich der damit verbundenen gesellschaftlichen Normen, kulturellen Werte und den eingenommenen Rollen. Diese Welt umfasst auch die bewusste Ebene des Menschen mit dem Teil des Geistes, der durch rationale und bewusste Gedankenprozesse geprägt ist.

Die Gegenwelt beschreibt oft eine tiefere, unbewusste Ebene der menschlichen Psyche mit der inneren Realität und den unbewussten Teilen des Geistes, einschließlich unterdrückter Wünsche, verdrängter Erinnerungen oder Persönlichkeitsmerkmale, unbewusster Konflikte etc… Träume und Fantasien würden dabei oft als Tor zur unbewussten Gegenwelt dienen und können Symbole und Szenarien enthalten, die Hinweise auf unbewusste Prozesse und Sehnsüchte geben.

Wichtig und uns in Erinnerung bleibend war die Aussage, dass eine gesunde Psyche ein Gleichgewicht zwischen der bewussten Welt und der unbewussten Gegenwelt fordert. Ein zu starkes Fixieren auf eine der beiden kann zu psychischen Störungen führen, während ein harmonisches Zusammenspiel zwischen Welt und Gegenwelt entscheidend für das Wohlbefinden ist.

Nun haben wir besser verstanden, was eigentlich hinter dem Konzept der Gegenwelt von Herrn Herrmann steht. Der erholsame Wert einer Gegenwelt kann vielfältig und tiefgreifend sein. Es geht um Stressabbau und Entspannung, gerne auch einmal verbunden mit einer (zeitweisen) Flucht aus der sog. Realität. Die Gegenwelt bietet eine Möglichkeit, dem Alltagsstress und den Anforderungen des täglichen Lebens zu entfliehen. Neben „wirklichen“ Rückzugsorten wie der gemütlichen Fahrtenyacht, dem Häuschen in der Toskana oder dem Surfspot in der Karibik kann auch ein mentaler Rückzugsort helfen, sich zu entspannen und inneren Frieden zu finden. Nicht umsonst genießen Achtsamkeit (Selbstführung für Führungskräfte und Mitarbeitende (Changebrief 104) – NextHealth) und Meditation aktuell große Aufmerksamkeit in der Führungsetage.  Diese inneren Räume können Sicherheit und Geborgenheit bieten, abseits von äußeren Belastungen. Die Gegenwelt ist oft eine Quelle der Inspiration für kreative Tätigkeiten wie Schreiben, Malen, Musik und andere künstlerische Ausdrucksformen. So haben wir beide im letzten Urlaub Bilder restauriert, eine von uns eher künstlerisch, einer eher handwerklich. In der Gegenwelt können neue Perspektiven und Lösungsansätze für Probleme gefunden werden, die im bewussten, alltäglichen Zustand nicht zugänglich sind. Wenn man sich bewusst mit den Metaphern seiner Gegenwelt befasst, kann man tiefere Einsichten in die eigenen Wünsche, Ängste und Motive gewinnen. Dies fördert die Selbstreflexion und kann zur persönlichen Entwicklung beitragen. Uns wurde damit auch ein wichtiger Effekt bewusst, der den von uns zweimal im Jahr durchgeführten Business Retreat (Business Retreat – NextHealth) so wertvoll sowohl für uns als auch für unsere Gäste macht, weil dort genau diese Aspekte bedient werden.

Doch der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist in der Praxis größer als in der Theorie. Als es dann zum Ende des Gespräches operativ wurde und thematisiert wurde, ob man denn auch im Urlaub erreichbar sein sollte und hier und da seine Mails abruft, da schieden sich die Geister ein wenig. Es gibt zwischen schwarz und weiß bzw. zwischen Welt und Gegenwelt noch ein paar Grautöne. Wir beide haben uns ganz wohl damit gefühlt, auch im Urlaub ab und zu die Mails zu checken und hier und da mit unseren Leistungsträgern in Verbindung zu stehen – wenn auch deutlich weniger intensiv als im beruflichen Alltag und immer wohldosiert. Der Gedanke, nach 2 Wochen nach Hause zu kommen und 1000 Mails im Posteingang zu finden, erscheint uns deutlich stressiger als im Großen und Ganzen auf dem Laufenden zu bleiben und dann ganz entspannt laufen, surfen und schwimmen zu gehen. Die Dosis macht das Gift, und hier muss jede und jeder selbst für sich entscheiden, wie die Gegenwelt so ausgestaltet wird, dass sie tatsächlich Gegenwelt bleibt und Erholung möglich macht, während man seiner Verantwortung gerecht wird, die man in diesem Leben in seinen Rollen übernommen hat. Dass man auch diese Rollen ändern kann, steht dabei auf einem anderen Blatt und weist den Weg ins Coaching (Layout ku\all\51 (nexthealth.de)), über das wir uns auch gerne austauschen können.     

Viel Erfolg beim Erkunden Ihrer Gegenwelt, damit Sie in Ihrer Welt noch lange erfolgreich und zufrieden wirksam sein können.

Pia Drauschke und Stefan Drauschke