Selbstführung für Führungskräfte und Mitarbeitende (Changebrief 104)

„Nur wenige Führungskräfte sehen ein, dass sie letztlich nur eine einzige Person führen können und auch müssen. Diese Person sind sie selbst.“ Dieser Satz ist ein Zitat von Peter Drucker, einem bekannten Ökonomen und Managementberater, nach dem gute Führung immer auch von der Selbstführung abhängt. Wir möchten die Adressaten des Zitates von Führungskräften erweitern auf jeden Menschen und im Unternehmenskontext auf jede/n Mitarbeitende/n. In Zeiten flacher Hierarchien, agiler Arbeitsmethoden und selbstorganisierter Teams verschwimmen die Grenzen zwischen führenden und geführt werdenden Menschen immer mehr und auch die entsprechenden Rollen wechseln situationsspezifisch regelmäßig, manchmal sogar täglich je nach Teamzugehörigkeit oder Projekt. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an Menschen in Unternehmen, das Tempo nimmt zu und gleichzeitig die Informationsflut mitsamt den verwendeten Informationskanälen. S. Rödiger und L. Fütterer postulieren treffend, dass die größte Chance der Digitalisierung darin liegt, dass wir Wissen schnell und intelligent mit dem anderer verknüpfen können. Das größte Risiko ist, dass wir die Kontrolle über die eigene Aufmerksamkeit, Präsenz und Erreichbarkeit verlieren (Quelle: „Aufladen durch Achtsamkeit“. ManagerSeminare Heft 303, Juni 2023, S. 50-58). Hinzu kommen wahrgenommene Bedrohungen in verschiedenen Formen, denen man sich ausgesetzt fühlt (Klima, Inflation, Kriegsgefahr etc.). Das andauernde Arbeiten am Limit kombiniert mit mehr oder weniger gerichteten Ängsten führt bei manchen Menschen zu schlaflosen Nächten und Denkblockaden, die die subjektive Belastung nur noch vergrößern und Resultate vermindern und letztlich den einen oder anderen zu Angststörungen, Depressionen oder zum sog. Burnout-Syndrom führen.

Eine der wichtigsten Kompetenzen, um bei all dem den Kopf weiter oben halten zu können, ist die Selbstführungskompetenz. Arbeitspsychologisch ist dies eine reflexive Fähigkeit, in der gegebenen Situation das eigene Können, Denken, Fühlen und Handeln zielführend wahrzunehmen und steuern zu können.  Dies setzt die Fähigkeit zur Selbstreflexion voraus. Dabei handelt es sich um einen Prozess, in dem ein Mensch sich selbst und seine Denkstrukturen beobachtet, analysiert und erforscht, daher steht bei den Subkompetenzen die Selbstwahrnehmung an erster Stelle. Viele Burn-Out Patienten berichten, dass im Zuge der sich verstetigenden Abwärtsspirale vor dem Zusammenbruch das Empfinden für sich selbst mehr und mehr verloren ging und man am Ende nur noch funktionierte, bevor dann irgendwann gar nichts mehr ging.

Uns wundert nicht, dass der von uns seit mehr als 10 Jahren regelmäßig durchgeführte Business Retreat (https://nexthealth.de/business-retreat/)  immer mehr Beachtung findet, denn hier geht es um alle sieben Subkompetenzen für Selbstführung, weshalb sich dieser Retreat eigentlich um ein Führungsseminar zur Stärkung der Selbstführungskompetenz handelt. Im Einzelnen handelt es sich um Selbstwahrnehmung, Achtsamkeit, Flexibilität, Selbsterkenntnis, Beziehungsfähigkeit, Selbstverantwortung und Selbstfürsorge.

Eine der wichtigsten hatten wir bereits erwähnt, die Selbstwahrnehmung. Wir beide nennen die Implementierung dieser Kompetenz gerne die „Installation des inneren Beobachters“. Können Sie sich vorstellen, sich im Gespräch mit einem Gesprächspartner zu befinden und gleichzeitig neben dem Gesprächsinhalt wahrzunehmen, in welchem Sprechtempo dieser redet, auf die Körperhaltung zu achten und vielleicht sogar herausfinden, ob dieser eher auf dem visuellen, auditiven oder kinästhetischen Sinneskanal empfängt und sendet? Und dies ist nur eine Auswahl von Wahrnehmungen, die neben dem sprachlichen Inhalt interessante Informationen bereitstellen, mit denen man in Folge umgehen kann. Gleichzeitig ist es hilfreich, im Gesprächs- oder Verhandlungsverlauf die eigenen Gefühle und Gedanken aus einer übergeordneten Perspektive wahrzunehmen, ohne gleich jedem inneren Impuls Folge zu leisten. Auf diese Weise gelingt es, nicht über jedes „Stöckchen zu springen“, das einem der Gesprächspartner oder man sich selbst hinhält. Dies steigert die eigene Flexibilität ungemein, weil reflexartiges und damit – ggf. von außen oder von innen –  induziertes Verhalten variabel bleibt und damit Reiz-Reaktionsmuster unterbrochen werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Möglichkeit sinkt, von jemandem mit ausgeprägtem Instinkt für die empfindlichen eigenen „Knöpfe“ manipuliert zu werden. Im Retreat spielen der Kontakt mit dem inneren Beobachter in Verbindung mit Werten und Glaubenssätzen eine maßgebliche Rolle. Es geht darum, die eigenen Ziele und Pläne auch mit dem eigenen, unbewussten „Betriebssystem“ zu reflektieren, um herauszufinden, wohin die Reise des Lebens am besten geht und wo sich das eigene „True North“ befindet. Die Folge ist, nicht immer wieder „aus Versehen“ gegen dieselbe Wand zu laufen oder ähnliche (negative) Erfahrungen in neuen Kontexten immer wieder erleben zu müssen. Und wenn wir schon die Kompassnadel und das Bild von der Wand im Kopf haben, dann fällt uns die Metapher von Steven Covey ein, nach dem viele von uns mit viel Elan die Erfolgsleiter des Lebens emsig hochkraxeln, um dann eines Tages festzustellen, dass diese an der falschen Mauer gelehnt hat!

Doch kommen wir zurück zur Gesprächssituation. Wenn im Verlauf des Gespräches die eigenen Werte und Überzeugungen in Ihrem Kopf innere Botschaften absetzen und Sie diese achtsam wahrnehmen – ohne zu werten und ohne gleich willenlos sich selbst Folge zu leisten – dann steigert die Selbstwahrnehmung auch die Selbsterkenntnis. Feedback anzunehmen, das Wahrnehmen der eigenen Stärken und Schwächen, der Bedürfnisse und Werte sowie der Abgleich von Selbst- und Fremdbild führen zu Selbsterkenntnis. Gleichzeitig ist dies auch die Währung, mit der Sie auf die Beziehungskonten der Menschen in Ihrem Umfeld einzahlen. Feedback anzunehmen, ohne dies gleich umzusetzen oder sich zu rechtfertigen, stärkt die Beziehung zum Feedbackgeber. Feedback gleich mit einem Gegenvorwurf zu kontern oder sich reaktant zu zeigen, schwächt Beziehungen. Damit kommen wir zu einer weiteren Subkompetenz von Selbstführung, der Beziehungsfähigkeit. Hier geht es um das konstruktive und empathische Interagieren mit dem eigenen Umfeld, das einerseits hilft, eigene Ziele zu erreichen und andererseits Konflikten vorbeugt und zur Konfliktlösung beiträgt. Wenn Sie sich für andere interessieren und herausfinden, worum es den Menschen in Ihrem Umfeld geht, was deren Bedürfnisse, Ziele, Gefühle und Sorgen sind, dann fällt es immer leichter, anschlussfähige Lösungen sowie gute, tragfähige Beziehungen zu generieren.

Eine weitere Subkompetenz ist, Verantwortung für sich selbst und für sein Handeln zu übernehmen. Hierzu gehört auch, sich nicht mit fremden Federn zu schmücken und zu eigenen Fehlern zu stehen als aktiver Beitrag zu einer lösungsorientierten Fehlerkultur. Besonders wichtig erscheint uns, empfindsam und frühzeitig Täter-Opfer-Dynamiken zu erkennen und daraus auszusteigen, wenn man in das Täter-Opfer-Retter-Dreieck hineingesogen wird (Quelle: Drauschke & Drauschke, Führen im Wandel: „Die Spiele der Erwachsenen“. Kolumne in der Klinik Markt inside 14/2022 vom 25.07.22, 20. Jahrgang, ISSN 1613-0502, S. 11-13). Zur Eigenverantwortung gehört auch, die Kontrolle über die eigene Aufmerksamkeit zu behalten, wobei wir bei der Achtsamkeit sind. Mittelhochdeutsch kommt der Begriff von dem Wortstamm „ahden“, was bewusstes Wahrnehmen mit Sinn und Verstand bedeutet, und zwar ohne Bewertung oder Beurteilung. Das klingt einfach, ist es aber nicht. Probieren Sie einmal, in die Flamme einer Kerze zu schauen und sich bewusst dafür zu entscheiden, das Bild der Flamme auch bei geschlossenen Augen eine Zeit lang zu halten, ohne darüber nachzudenken. Sie werden bemerken, wie die Gedanken dennoch beginnen zu laufen und sich Bewertungen einschleichen, beispielsweise ob das jetzt gut ist oder nicht oder ob es Sinn macht oder nicht. Wahrnehmen ohne Wertung und den Fokus auf Wahrnehmung zu halten, umschreibt den Kern von Achtsamkeit als Subkompetenz für Selbstführung.

Selbstführung bedingt auch, dafür zu sorgen, dass Ihre Batterien i.d.R. über einen guten Ladezustand verfügen und Sie sich – bei allen Aufgaben und Anforderungen – genügend Schlaf, ausreichend Bewegung und eine gute Ernährung gönnen. Insofern ist Selbstfürsorge eine weitere Subkompetenz von Selbstführung, die auch dafür sorgt, dass Sie mit Stress besser umgehen können. Letztlich entsteht Stress in Ihrem Kopf als eigenes Konstrukt der Differenz zwischen einem selbst definierten „Soll“ und einem wahrgenommenen, davon abweichendem und entsprechend negativ bewertetem „Ist“. Hier beginnen die genannten Kompetenzen zusammenzuwirken, was wir am Beispiel eines schwierigen Verhandlungsgespräches aufzeigen wollen: Ihre Selbstfürsorge lässt Sie ausgeruht, gelassen und gestärkt in die Verhandlung gehen. Ihr innerer Beobachter (Selbstwahrnehmung) entdeckt das stressauslösende „Problem“ in Form von Forderungen durch Ihren Gesprächspartner, Ihre Achtsamkeit verstärkt die Sensibilität für Ihre Körpersignale. Ihre Selbsterkenntnis identifiziert das innere Signal als Stimme eines „verletzen“ Wertes, dessen Befriedigung in diesem Moment vielleicht wenig zielführend wäre. Sie verfügen über die Flexibilität, dieses Signal als jetzt nicht handlungsrelevant zu bewerten und Ihre Selbstverantwortung lässt Sie aktiv und zugewandt zuhören sowie freundlich, bestimmt und sachlich auf die Forderung reagieren. Ihr gutes Beziehungsmanagement schafft es, auch in dieser Situation dafür zu sorgen, dass beide Gesprächspartner ein annehmbares Verhandlungsergebnis erzielen und gleichzeitig die Basis für eine tragfähige Geschäftsbeziehung hergestellt ist.

Es lohnt sich also, die eigene Selbstführungskompetenz zu stärken und wir freuen uns darauf, wenn wir Sie hierbei als Coaches mit oder ohne den Business Retreat begleiten dürfen.

Pia Drauschke und Stefan Drauschke, Berlin im Juli 2023