Der NextHealth Change-Brief Nr. 13
Führung von unten – oder von der Seite
Warnung: Wenn Sie Chef(in) aus einer höheren Führungsetage sind, ist diese Kolumne unter Umständen nicht für Sie geeignet – sie enthält Hinweise, wie Sie „von unten“ geführt werden könnten!
Bereits in der letzten Ausgabe, in der wir unseren Zweifeln an einer streng differenzierten Fach- und Führungskarriere Ausdruck verliehen haben, wurde deutlich, dass Führung auch ohne geliehene Macht möglich und oft auch notwendig ist. Je nach Position und Situation heißt das dann „Führen von unten“ oder von der Seite, hierfür gibt es sogar den Fachterminus der „lateralen Führung“. Wenn schon keine formale Macht im Spiel ist, wie geht das dann, andere „nur“ mit wirksamer Kommunikation zu führen?
Eines vorweg, auch Führung mit formaler Macht hat mit wirksamer Kommunikation zu tun, denn die zu Führenden entscheiden immer selbst, ob sie folgen oder nicht, formale Macht hin oder her. Und bei der aktuellen Arbeitsmarktsituation kann man sich gleich die Frage stellen, wo angesichts der Nachfrage und der Angebote die „Macht“ eigentlich anzutreffen ist.
Doch zurück zum Thema. Unter Führung versteht man üblicherweise, dass ein Vorgesetzter einem nachgeordneten Mitarbeiter sagt, was er wie zu tun hat – und dieser die Weisung ausführt. Wenn er oder sie nicht folgt oder die Ergebnisse dauerhaft nicht erreicht, sind negative Konsequenzen zu befürchten, wenn alles klappt, könnte es Lob, Anerkennung oder Belohnungen in Form von Tantiemen, Kinogutscheinen etc. geben. Welche Möglichkeiten für „Führung von unten“ sind denkbar, wenn diese auch von „oben“ gewünscht ist?
Partizipation
Wenn Verantwortung tragenden Mitarbeitern Raum und Möglichkeiten gegeben wird, konstruktiv auf Entwicklungen und Entscheidungen Einfluss zu nehmen und eigene Ideen einzubringen, dann spricht man von Partizipation. Diese wirkt motivierend und kann Ergebnisse durch kollektive Intelligenz und Perspektivwechsel positiv beeinflussen. Es ist wichtig, den Rahmen und die Leitplanken der Mitwirkungsmöglichkeiten „von oben“ zu definieren und die Mitarbeiter zur Mitwirkung offen einzuladen. Es stehen neben den täglichen bilateralen Begegnungen und Gesprächen reichlich interaktive, kreative Workshop- und professionelle Gruppenformate zur Verfügung, um Partizipation in die Führungskultur eines Unternehmens aktiv zu integrieren. Voraussetzung ist, dass die Vorgesetzten akzeptieren, dass Mitarbeiter besonderes Wissen und Erfahrungen haben, die als „Schätze“ genutzt und in die Unternehmensentwicklung integriert werden können. Den Mitarbeitern sind regelmäßig Rückmeldungen zu geben, welche Anregungen auf welche Weise Berücksichtigung gefunden haben. Machtbekundungen „von oben“ sind in solchen gemeinsamen kreativen Prozessen möglichst zu unterlassen, während die Entscheidung über die Annahme oder Nicht-Annahme der Anregungen der Mitarbeiter selbstverständlich bei den Chefs bleibt.
Welche Möglichkeiten stehen Mitarbeitern immer offen, um mit Führung „von unten“ selbst wirksam zu werden? Wie können Kollegen oder Mitarbeiter in Stabspositionen nach oben oder zur Seite Einfluss nehmen?
Wirksame Kommunikation
Die Bedeutung von Wahrnehmungsfiltern und Beziehung
Jeder, der kommuniziert, möchte direkt oder indirekt auf seine Kommunikationspartner Einfluss nehmen und Wirkung erzielen. Die Möglichkeiten hierfür sind breit gefächert und immer kommt es darauf an, dass eine gute Beziehung zwischen Sender und Empfänger im Gespräch besteht – im Fachjargon „Rapport“ genannt. Weiterhin müssen die wirkungsrelevanten Inhalte die Wahrnehmungsfilter des Empfängers so passieren, dass die Wirkung am ehesten der gewünschten Intention entspricht. Hierfür ist es wichtig, den Gesprächspartner gut zu kennen und die einen oder anderen Muster zu durchschauen. G. Z. Laborde hat diese Eigenschaft „sensorische Sinnesaufmerksamkeit“ genannt.
Um welchen Wahrnehmungstypus handelt es sich, ist der Kommunikationspartner eher visuell, auditiv oder kinästhetisch orientiert, was man an verwendeten Worten und Begriffen, der Sprachgeschwindigkeit und durch die Körpersprache erkennen kann. Welches sind die Stärken und Vorlieben, was ist ihm wirklich wichtig (Werte), was macht er gerne, was lehnt er ab, was verärgert ihn. Auf welchem Ohr hört er am ehesten (Schulz v. Thun), ist es eher das Sachohr, das Apellohr, das Beziehungsohr oder das Selbstkundgabeohr, das er präferiert?
Denkstile erkennen und berücksichtigen
Und nur für die Spezialisten unter Ihnen: Welche Denkstile – im Fachjargon „Metaprogramme“ genannt – sind erkennbar, ist der Kommunikationspartner eher im Detail oder sieht er das Große Ganze (Detail- oder Überblickssortierer), fokussiert er immer auf die Chancen oder auf die Risiken (Worst-Case oder Best-Case-Szenario-Sortierer), denkt er immer eines nach dem anderen oder sind immer viele Themen und Ideen gleichzeitig präsent, wenn er zu Ergebnissen kommen möchte (Sequentialsortierer oder Zufallssortierer), sagt er immer das Gegenteil von dem, was Sie geäußert haben oder stimmt er gerne auch einfach zu (Gegenbeispiel- oder Gleichbeispielsortierer)? Dieses alles liefert Ihnen viele Informationen, die sie darin unterstützen können, eine wirklich gute Kommunikation mit Ihrem Gesprächspartner aufzubauen.
Wertschätzend kommunizieren
Doch achten Sie darauf, die Feedbackgrenze in der Kommunikation möglichst nicht zu überschreiten. Wenn es darum geht, dass Ihr Gegenüber etwas anderes, mehr oder weniger tun soll als bisher, dann bleiben Sie immer auf dieser Verhaltensebene. Alle Fragen und Aussagen Ihrerseits in Richtung Können, Werte, Glaubenssätze oder die Identität des anderen, führen sehr leicht zu Irritationen oder gar zu Verletzungen, die die Kommunikation empfindlich stören können. Dieses Prinzip ist auch Grundlage der sog. wertschätzenden Kommunikation (nach Rosenberg) und basiert u.a. auf dem Modell der „Logischen Ebenen“ (nach Dilts und Bateson).
Mit Fragen führen
Eines der wichtigsten und machtvollsten Führungsinstrumente sind Fragen. Sog. Metamodellfragen sind beispielsweise die gut bekannten W-Fragen, sie helfen auch in Ihrem Sinne zu präzisieren, was gemeint sein könnte, wenn Sie beispielsweise Aufgaben delegiert bekommen. „Was genau wäre für Sie ein gutes Resultat?“ „Was müsste sein, damit Sie wirklich zufrieden sind, was dürfte auf keinen Fall sein?“. Mit den verschiedenen Fragetypen werden wir uns in der nächsten Kolumne noch einmal ausführlicher befassen, denn die Vielfalt und Einsatzbreite sprengt den Rahmen dieser Ausgabe.
Der emotionale Zustand wirkt
Wichtig ist zu wissen, dass der eigene emotionale Zustand mitsamt Ihrer Körpersprache und Tonalität mit mehr als 50 % wesentlich für die Wirkung Ihrer Kommunikation bei Gesprächspartnern ist. Deren Spiegelneurone im zentralen Nervensystem stellen unbewusste, starke Antennen für das dar, was Sie ausdrücken wollen und wie überzeugt Sie selbst sind. Eigene Gefühle, Klarheit, Entschlossenheit und Sympathie kommen genauso bei dem anderen an wie Abneigung, Unsicherheit, Unklarheit oder gar Angst. Wenn Ihre Inhalte passend zu dem von Ihnen eingenommenen emotionalen Zustand sind, steigt die Wahrscheinlichkeit für die Akzeptanz erheblich. Der direkte Kontakt zu Ihren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen führt zu großer Klarheit in der Kommunikation.
Priming geschieht – immer
Bewusst oder unbewusst werden zu vermittelnde Inhalte durch Worte oder bildhaft erzählte Geschichten gebahnt, im Fachjargon auch „Priming“ genannt. In der Didaktik oder im normalen Dialog ist dieser Effekt häufig noch unterschätzt, wie wir an einem Beispiel aufzeigen möchten. In einem Experiment wurden zwei Gruppen von Probanden zwei verschiedene Lückentexte ausgehändigt, die sie vervollständigen sollten. In einem kamen Worte vor wie alt, langsam, gebrechlich, müde, in dem anderen Worte wie agil, jung, lebendig, hellwach etc. Nach dem Formulieren der Texte begann ohne Wissen der Teilnehmer das eigentliche Experiment. Sie wurden nämlich in die Kaffepause entlassen, die in einem Raum stattfinden sollte, der mehr als 40 m entfernt war. Die Wissenschaftler haben nun die Zeit gemessen, die die einzelnen Gruppenteilnehmer für die Wegstrecke gebraucht haben. Die Ergebnisse waren signifikant: Die Teilnehmer der Gruppe, die auf „alt“ geprimt war, braucht im Durchschnitt 20% mehr Zeit für die gleiche Wegstrecke als die andere! Wenn Sie für Ihr Thema verbal einen gut aufbereiteten Boden schaffen, werden Sie umso leichter gemeinsam zu guten Lösungen zu gelangen.
Die gute Absicht ist entscheidend. Doch Achtung: Alles hier Beschriebene stellt nur einen kleinen Ausschnitt für die Anwendung wirksamer Kommunikation dar, die ganz ohne geliehene Macht auskommt. Wir wagen den Vergleich zu einer geschärften Klinge, Sie können damit Brot oder Gemüse schneiden, oder anderen Schaden zufügen. Entscheidend für die Abgrenzung ist allein Ihre Haltung dahinter, die Frage der Wahrhaftigkeit und der Ethik. Haben Sie positive Absichten und wollen gute Ziele im Sinne des großen Ganzen und eines guten Miteinanders verfolgen – oder als Mitarbeiter oder Führungskraft nur die eigenen Interessen zum Nachteil anderer durchsetzen? Gehen Sie davon aus, dass sich zumeist auf einer Ebene der Kommunikation diese Absichten unbewusst mitteilen, so dass wirklich wirksame Führung von unten oder von der Seite vor allem darin ihre Wurzeln findet, zu sinnvollen und für das ganze System vorteilhaften Lösungen beitragen zu wollen.
Dr. Stefan Drauschke, August 2013
Erschienen in der KMi-Kolumne, Klinik Markt inside 16/2013