Mit Fragen Führen

Der NextHealth Change-Brief Nr. 14

Mit Fragen Führen (Teil 1)

„Wer fragt, der führt“ ist ein altes Sprichwort, das man gut und gern auch umdrehen kann: Wer führt, der fragt  Fragen stellen hat immer auch mit Ausübung von Macht zu tun, und bei der Begegnung von Menschen werden meist diejenigen zuerst Fragen stellen, die einen machtvolleren, höheren Rang bekleiden, sei es formal oder informell. Für die Wirksamkeit ist entscheidend, welche Art von Fragen in welchem Kontext gestellt werden und vor allem, wie sie gestellt werden.

Eines Tages im abgedunkelten Besprechungsraum des Krankenhauses beim Strategiemeeting: Die ganze Führungsrunde, der ärztliche Direktor, der kaufmännischen Direktor, die Pflegedienstleitung, verschiedenen Stabsstellen und der Geschäftsführer sitzen am Tisch. Der Leiter der Unternehmens- und Organisationsentwicklung hält einen kurzen Powerpointvortrag über die erwartete, fachspezifische Fallzahlentwicklung im nächsten Jahr auf der Basis von regionalen Patienten-, Zuweiser- und Inzidenzanalysen. Er prognostiziert eine moderate Fallzahlsteigerung von 4 % bei gynäkologisch- onkologischen Fällen für das Haus – die hier eine besonders wichtige Rolle spielen. Kurzes Schweigen, alle schauen auf den Geschäftsführer. Dieser runzelt die Stirn, erhebt die Stimme und fragt schroff und ganz direkt „Wie kommen Sie denn auf 4 % ? In vergleichbaren Regionen werden mindestens 10 Prozent erwartet !“

Was ist wohl der Zustand und der interne Dialog des so befragten Vortragenden: „Habe ich alles bedacht, wo könnten Fehler sein, er glaubt mir nicht, er traut mir nichts zu …“. Im Stress geht es jetzt nur noch um Verteidigung und Rechtfertigung und nicht mehr um einen offenen, wertschätzenden, konstruktiven Dialog mit guten Argumenten, neuen Ideen und Handlungsoptionen.

In einem anderen Haus eine vergleichbare Szenerie: Auch hier findet ein Strategiemeeting statt, der Vortrag ist ein ähnlicher, nur geht es hier um prognostizierte Fallzahlen und Budgets für Gefäß- und Myokardinfarktpatienten. Nach dem letzten Chart wird der Raum wieder hell, der Geschäftsführer lockert seine Krawatte, nippt an seinem Kaffee und beginnt: „Vor einer Woche war ich auf einem VKD-Kongress, auf dem ähnliche Ausführungen gemacht worden sind. Hier ging man allerdings von 5-8 Prozentpunkten höheren Prognosen aus. Ich meine auch, dass vielleicht noch mehr Patienten ihren Weg zu uns finden können. Darf ich Sie fragen, welche Daten und Trends Sie zu Grunde gelegt haben und wie Sie zu Ihrer Einschätzung für die Zukunft kommen?“

Wie würden Sie sich hier als Befragter fühlen? Jetzt beginnt eine gute Diskussion, jeder kann seinen Standpunkt und Methodik erklären, Wertschätzung und ein faires Miteinander bestimmen die Kommunikation. Was ist anders? Der zweite Geschäftsführer verfügt über die gleiche formale Macht wie der erste, doch er stellt die Macht zugunsten eines guten Dialoges bewusst zurück. Die Mittel hierfür sind einfach, doch lassen Sie uns der Sache etwas systematischer auf den Grund gehen. Zum einen gilt wie bei jeder Art der Kommunikation, dass die Wirkung der Kommunikation zu ca. 10 % vom Inhalt bestimmt ist und zu ca. 30 % von der Struktur der Sprache. Es gibt eine längere Vorrede vor der eigentlichen Frage und es ist eine Frage nach der Frage vorangestellt (darf ich Sie fragen …).

     
Ca. 60 % wirkt das, was wir im Fachjargon „State“ nennen, der emotionale Zustand, der sich vor allem körpersprachlich und über die Tonalität ausdrückt. Die Frage kommt nicht sogleich wie ein kurzer Knall aus dem Nichts, sondern es gehen eine Pause und Gesten wie das Lockern der Kleidung oder das Kaffeetrinken voraus und das Ganze wirkt eher interessiert kollegial als bedrohlich fordernd, auch wenn wir unseren zweiten Geschäftsführer nicht selbst hören und sehen konnten. Was können Sie tun, damit Sie mit Ihren Fragen zu guten Ergebnissen führen und nicht versehentlich in einen Verhörmodus geraten. Wie können Fragen so gestellt werden, dass sie zu offenen Antworten und Überlegungen einladen bei Stärkung des für die Mitarbeiter oder Kollegen so wichtigen Selbstwertgefühls?

Nicht zu zaghaft zu fragen ist wichtig, damit Sie Ihre eigene Autorität nicht untergraben. Wenn Sachverhalte nicht konsequent hinterfragt werden, bleiben Ergebnisse und Probleme im Unklaren. Häufig ist dies ein Zeichen dafür, dass Führungskräfte mit der eigenen Macht hadern oder damit nicht umgehen wollen oder können. Die Folgen sind erheblich, Autorität und Respekt gehen verloren und es wird immer schwieriger, unbequeme Fragen zu stellen und als Führungskraft die Oberhand zu behalten, abgesehen von drohenden unzureichenden Resultaten.

Umgekehrt ist es genauso fehl am Platze, der geliehenen Macht mit drängenden und bohrenden Fragen im Stil eines Verhörs Ausdruck zu verleihen. Auch bei Zeit- und Ergebnisdruck führt das oft in die Sackgasse, weil die Mitarbeiter dicht machen, oder die Vorbereitungszeiten exorbitant verlängert werden aus Angst vor Blamage und Gesichtsverlust. Die Mitarbeiter werden womöglich farblose Ja-Sager, sie weichen elegant aus oder gehen in den Widerstand bzw. in die innere Kündigung. Beides ist nicht gut für Hochleistungsorganisationen, die Patienten bestens versorgen wollen oder im Wettbewerb mit sehr guten Ergebnissen zu bestehen haben.

Bevorzugen Sie eher offene Fragen? Achten Sie darauf, eher offene als geschlossene Fragen zu stellen. Offene Fragen sind nicht nur mit Ja oder Nein zu beantworten und üben weniger Druck auf den Befragten aus als geschlossene Fragen. Letztere sind dann passend, wenn alle Informationen auf dem Tisch liegen und nur noch kurz und knapp zu entscheiden ist.

Die Fragesätze dürfen ruhig ein wenig länger sein. Sehr kurze Fragen wirken eher aggressiv und bedrohlich und sind offene Machtdemonstrationen. Wenn jetzt noch ein „warum“ folgt, dann wird es wirklich kritisch, weil der Befragte Auskunft geben muss über sein innerstes Werte- und Glaubenssystem und oft Erklärungsnot entsteht. Seien Sie also sehr vorsichtig mit „Warum- Fragen“, die nur selten im Firmenkontext wirklich angemessen sind. Machen Sie zwischen den Fragen Pausen, sonst wirken diese wie ein ausfragendes Stakkato, was den Druck erheblich erhöht. Ich-Botschaften (ich war auf einer VKD-Tagung …, ich meine, dass … ) sind Selbstauskünfte und Ich-Bezüge des Fragenden, was einladend wirkt, Hintergründe offenlegt und häufig im besten Sinne Betroffenheit erzeugt – ganz ohne Widerstand. Der Verweis auf eigene Gedanken ist eine Selbstoffenbarung mit implizitem Antwortappell, der eine Erwiderung geradezu herausfordert. Körpersprachlich unterscheidet man Hochstatussignale von Tiefstatussignalen. Sich kerzengerade aufzubauen vor dem Befragten und von oben herab zu fragen schüchtert eher ein und könnte ein „Zumachen“ des Befragten provozieren. Ein Meister der Tiefstatusfragen ist der Fernsehkommissar Columbo. Erinnern Sie sich, wie er nach dem Befragen des Verdächtigen schon aus der Tür heraus war, die Abwehrschilder des Gesprächspartners ziehen sich erkennbar zurück, alles steht auf „Entwarnung“ – und dann dreht sich Columbo im Gehen noch einmal überraschend um, mit leicht gebeugter Haltung und etwas gesenkter Stimme, und er stellt die alles entscheidende Frage, die die Abwehrsysteme des Befragten glatt unterläuft, die Wahrheit ans Licht bringt und den Fall löst. Nun passt diese sogenannte. „Columbo- Technik“ nicht so sehr in den vertikalen, eher in den lateralen Führungskontext (siehe Führen im Wandel: Führung von unten – oder von der Seite, KMi 16/2013), doch zeigt sie in übertriebener Klarheit, wie sehr es auf die Körpersprache ankommt, um Wirkung zu erzielen – und sie funktioniert wirklich.

Auf die verschiedenen Fragetypen und insbesondere auf systemische Fragen möchten wir als systemische Coaches und Veränderungsbegleiter in der nächsten Kolumne intensiver eingehen, denn hier liegt viel Interessantes für die Wirksamkeit von Kommunikation verborgen. Für dieses Mal möchten wir festhalten, dass analog des ersten „metakommunikativen Axioms“ von P. Watzlavick „man kann nicht nicht kommunizieren“ für Fragen gilt, dass man mit Fragen nicht nicht Macht ausüben kann. Und um so mehr Sie diese Macht im Sinne eines guten Miteinanders in Ihrem Unternehmen einsetzen, desto eher werden Sie damit auch nachhaltig und mit Freude gute Ergebnisse erzielen.

Dr. Stefan Drauschke, September 2013

Erschienen in der KMi-Kolumne, Klinik Markt inside 18/2013