Mit Konflikten umgehen – Teil 2 (Changebrief 97)

In der letzten Kolumne konnten Sie bereits einiges über Konfliktkosten, Konfliktarten und Konflikteskalation sowie erste Schritte bei der Vorgehensweise im Konflikt erfahren, nachdem wir beschrieben haben, wie man Konflikte am besten erkennt.

Wir werden heute tiefer in die Konfliktlösung einsteigen und den einen oder anderen Stolperstein zur Seite legen, bevor wir dazu kommen, wie man Konflikte am besten von vornherein vermeidet.

Konfliktanalyse
Wir gehen davon aus, dass es mit zu den wichtigsten Aufgaben von Führungskräften gehört, Konflikte anhand der entsprechenden Signale zu erkennen (Quelle: https://nexthealth.de/mit-konflikten-umgehen-teil-1-changebrief-96/) und zur Lösung beizutragen, wenn man sie denn nicht im Vorhinein vermeiden konnte. Der erste Schritt in Richtung Lösung ist eine gründliche Konfliktanalyse, der Sie sich bei erkannten Konflikten mit folgenden Fragen nähern können:

  • Welche Akteure sind in den Konflikt verwickelt?
  • Wie ist der Konflikt entstanden (Entstehungsgeschichte, wann begonnen, wie lange, schon „chronifiziert)?
  • Worum genau geht es (Konfliktart – Sach-, Werte-, Beziehungskonflikt)?
  • Wer will was erreichen (Bedürfnisse, Interessen, Ziele etc., nur zwei Konfliktpartner, oder mehrere)?
  • In welcher Eskalationsstufe befindet sich der Konflikt (auf der Skala von Glasl von 1-9, ist Selbstlösung noch möglich (bis Stufe 5), Mediation notwendig, oder eine Instanz „von außen“)?
  • Ist der Konflikt heiß oder kalt (energiegeladen, laut, aufbrausend, oder eher schwelend, zurückgezogen, wortlos)?
  • Welche Strategien verfolgen die Konfliktpartner (siehe unten)?

Eine Kernfrage ist dabei, um was es den Konfliktbeteiligten eigentlich jeweils geht im Sinne von nicht befriedigten Bedürfnissen. Je klarer Sie das herausarbeiten, je mehr Ansatzpunkte für mögliche beide zufriedenstellende Lösungen stehen zur Verfügung.

Konfliktstrategien
Konflikte verursachen immer Stress, und wir Menschen reagieren auf Stress im ersten Moment mit „Notprogrammen“ (Stressmuster), die je nach Menschentyp und Temperament unterschiedlich sein können. Sobald wir in psychische Turbulenzen geraten, tendieren wir im Wesentlichen in Richtung Angriff, Flucht oder Totstellen. Zum Angriffsverhalten gehört kämpfen, Andere beschimpfen, abwerten, bedrohen usw.. Wir vermeiden, uns auf Verständnis einzulassen und gemeinsam Lösungen auszuhandeln. Zu Flucht vor Auseinandersetzung passt, die Dinge zu schlucken, sich klein machen, alle Schuld auf sich nehmen, sich mies und wertlos fühlen. Wir schieben scheinbar objektive, vielleicht auch moralische Argumente vor, suchen Ausreden und klammern eigene Bedürfnisse aus. Totstellen führt dazu, Konflikte zu vermeiden oder überhaupt wahrzunehmen, nicht hinzuschauen, nicht zu bewegen. Wir lenken vom Thema ab, sind unehrlich freundlich und tun so, als ob nichts wäre. Wenn wir Stressmanagement-Trainings geben, beispielsweise im Business-Retreat (www.nexthealth.de/business-retreat/), dann sind erlernbare Techniken zum Verbleiben im Zustand der inneren Gelassenheit wesentlich. Je gelassener Sie „trotz“ der widrigen äußeren Umstände und auf Sie einwirkenden Stressoren innerlich bleiben, je weniger greifen die o.g. Notprogramme und Sie erhalten sich Ihre maximale Flexibilität, im entscheidenden Moment das zu tun oder zu sagen, was am ehesten zielführend ist.

Zu den typischen Konfliktstrategien gehören daher Flucht (s.o.), sich machtvoll durchsetzen wollen, indem man die Initiative ergreift, argumentiert (siehe auch oben: „Angriff“), Nachgeben (der Klügere gibt nach, die eigenen Interessen vernachlässigen um des „lieben Friedens willen“), die Dinge regeln wollen (Verabredungen treffen und festhalten, ggf. auch mit Dritten (Mediator, Anwalt etc.), Kompromisse finden (jeder gibt ein wenig nach, man trifft sich auf der Mitte, doch oft ist die Lösung nicht die beste) und schließlich – der Königsweg – die Integration. Hier geht es darum, den berühmten „dritten Weg“ zu finden, eine echte Lösung, die allen Beteiligten Vorteile bringt und niemanden von beiden verlieren lässt. Solche integrativen Konfliktergebnisse sind häufig wirksam, reinigend und nachhaltig, man kann von echten „Früchten“ aus der Konfliktbewältigung sprechen, die der ansonsten eher stachlige Konflikt hervorgebracht hat. Voraussetzung ist, dass beide Konfliktpartner an einer solchen Lösung wirklich interessiert sind und es nicht vordergründig um das Beschädigen oder Besiegen des Anderen geht.  

Konfliktlösung
Für die praktische Vorgehensweise einer Konfliktlösung hatten wir in der letzten Kolumne schon das sog. „STABEN“- Modell erwähnt (https://wordpressstorageaccount.blob.core.windows.net/wp-media/wp-content/uploads/sites/679/2018/07/Conflict-Resolution-Process-Resolution-Wkst.pdf?msclkid=fdbab824d04711ec9c1f7c8fc4b7b2fa). Die sechs Buchstaben stehen für folgende Begriffe: Source (Quelle), Time&Place (Ort und Zeit), amicable (freundlich und freundschaftlich), Behavior (Verhalten), Emotion (Gefühl), Needs (Bedürfnisse).

Wenn wir selbst Konfliktpartner sind oder als Coach solche begleiten, dann würden wir folgende Vorgehensweise empfehlen. Nachdem Sie die Konfliktanalyse so gut es geht erledigt haben und über reichlich Informationen zum Konfliktpartner und zum Konflikt an sich verfügen, gilt es, persönlich ins Gespräch zu kommen. Bitte glauben Sie nicht, dass man das per E-Mail probieren sollte oder am Telefon. Wählen Sie Zeit und Ort so, dass es für Sie gut passt – und auch für Ihren Gesprächspartner.

Als Gesprächskonzept empfehlen wir L.Ö.S.E.N (Quelle: Paul Lahninger, Reise zur Lösung. 3. Aufl., managerSeminare Verlag: 2018). Die fünf Buchstaben stehen für „Lass Dir Zeit“, „Öffne die Ohren“, „Sag es als Bitte“, „Erfindet Lösungen“ und „Neu entscheiden“.  

Lass Dir Zeit: Ein lösungsoffener, freundschaftlicher Gesprächsanfang ist wichtig und eine ungestörte Atmosphäre. Sagen Sie etwas Positives, bedanken Sie sich für die Zeit, die Sie miteinander für dieses wichtige Thema aufbringen und bleiben Sie freundlich und geduldig. Wenn man die vier Ich-Zustände der Transaktionsanalyse heranzieht, dann sind Sie ganz klar bei „Du bist OK, und ich bin OK“.
Öffne die Ohren: Bevor Sie über sich und Ihr Anliegen sprechen, stellen Sie Fragen und hören erst einmal zu. Worum geht es dem Konfliktpartner, was ist wichtig, was kritisiert sie/er etc.? Jetzt erfahren Sie noch mehr aus der Welt des Anderen und sammeln „Material“ für mögliche Lösungen. Wenn dann vieles gesagt ist, dann äußern Sie sich.
Sag es als Bitte: Diese Formulierung hat ihren Urspruch in der gewaltfreien Kommunikation nach M. Rosenberg und meint die Abgrenzung zur Forderung. Bitten kann man ausschlagen, Forderungen nicht. Sprechen Sie über das, was Ihnen wichtig ist, kritisieren Sie das Verhalten des Konfliktpartners (nicht seine Werte, sein Können oder gar seine Glaubenssätze), formulieren Sie Bedürfnisse und drücken ehrlich Ihre Emotionen aus und um was es Ihnen im Kern geht.
Erfinde Lösungen: Nun ist es so weit, das Eis sollte gebrochen sein und Sie können gemeinsam mit Ihrem Konfliktpartner nach möglichen Lösungen suchen und Ideen entwickeln. Vielleicht bauen Sie sogar ein kleines Reframing ein, indem Sie Ihren Gesprächspartner einladen, mit Ihnen in die Rolle eines kleinen Beraterteams zu gehen, die gerade alles angehört haben und nun ganz neutral überlegen, was man alles machen oder regeln oder neu gestalten könnte, um auf einen guten Weg zu kommen. 
Neu entscheiden: Wenn nun alle Ideen und Gedanken auf dem Tisch liegen, dann ist es Zeit, möglichst gemeinsam eine Entscheidung für eine hoffentlich echte und integrative Lösung zu treffen. Es geht darum, dass alle Beteiligte mit der Entscheidung gut leben und ein Teil davon sein können. Nur dann hat die Lösung erfahrungsgemäß Bestand.  

Konfliktprophylaxe
Der beste Konflikt ist der, der gar nicht erst stattfindet. Wenn wir in Organisationen und Teams tätig sind, dann befassen wir uns häufig zunächst mit der gemeinsamen Definition von klaren und anschlussfähigen Zielen, arbeiten Werte mit Kriterien heraus, formulieren „Spielregeln“ für den Umgang miteinander oder Führungs- und Kommunikationsgrundsätze und klären wichtige Managementprozesse wie Strategieentwicklung, Reviews, Entscheidungs- und Investitionsprozesse sowie Regeln für das Projektmanagement. Wenn diese Arbeit möglichst partizipativ vollbracht ist, dann sind schon zahlreiche Quellen für spätere Konflikte versiegt, denn der Mediationsprozess über das Finden und die Zustimmung zu gemeinsamen Grundlagen der Zusammenarbeit hat bereits stattgefunden und so manche Konflikte sind vorweggenommen worden. Wenn dann noch die Teammitglieder oder Führungskräfte ihre (Sozial-)Kompetenzen in wirksamer, wertschätzender Kommunikation und Konfliktmanagement gestärkt haben, steht dem gemeinsamen Erfolg mit dem Fokus auf das Erreichen der gesteckten Ziele nichts mehr im Wege!

Und wenn wir nun erreicht haben, dass Sie ein wenig „hungrig“ nach den nächsten Konflikten in Ihrem Umfeld Ausschau halten und das gute, kribbelnde Gefühl verspüren, Ihr Wissen auch anzuwenden und zu guten Lösungen zu gelangen, dann haben wir als Autoren eines unserer Ziele erreicht. Gerne können wir auch gemeinsam das Managen von Konflikten einmal zusammen erproben, sei es gleich „im Feld“ oder besser erst einmal im Trainings- oder Coachingkontext. Denn es gilt noch immer, dass der Unterschied zwischen Theorie und Praxis in der Praxis größer ist als in der Theorie!

Pia Drauschke und Stefan Drauschke, Berlin im Mai 2022