Agile Führung in der VUKA-Welt (Change-Brief Nr. 69)

Agile Führung in der VUKA-Welt

Kaum ein Beitrag über Führung in Management-Magazinen kommt heute ohne die Reizbegriffe „VUKA“ und „agil“ aus. Daher wollen wir diesen Begriffen heute ein wenig auf den Grund gehen und beschreiben, worum es hier eigentlich geht.

VUKA ist eine Abkürzung für Volatilität (englisch: volatility), Unsicherheit (englisch: Uncertainity), Komplexität (englisch: Complexity) und Ambiguität/Ambivalenz (englisch Ambiguity). Der Begriff VUKA wird in der Regel in Zusammenhang mit den Herausforderungen genannt, denen sich Unternehmen in einer zunehmend digitalisierten Welt stellen müssen. An sich stammt er aus der Zeit des kalten Krieges, dort wurde er am  US-Army War College geprägt als Beschreibung der komplexen und “unlogischen” Situation nach dem Zusammenbruch der UdSSR Anfang der 1990er Jahre. Populär wurde er aber erst nach den Terror-Anschlägen von New York und Washington. Wenden wir uns den einzelnen Begriffen zu, die der VUKA-Welt zu Grunde liegen:

Volatilität bezeichnet das Ausmaß von Schwankungen innerhalb einer kurzen Zeitspanne, z.B. von Preisen, Kursen, Zinssätzen oder ganzer Märkte. Der Begriff kennzeichnet damit Zustände, die instabil, unberechenbar und damit nicht vorhersehbar/vorhersagbar sind.

Unsicherheit ist der Zustand mangelnder Kenntnis, der Ungewissheit, der Unklarheit und dem Vorhandensein eines unbekannten Risikos. Unsere Welt ist in der Tat unsicher geworden, wir haben immer weniger Sicherheit darüber, was als Nächstes passiert. Bekannte, bisherige Paradigmen gelten nicht mehr in Politik und Wirtschaft und es ist so gut wie auf nichts mehr Verlass. Vor solch einem Hintergrund ist es nahezu unmöglich, optimale oder beste Handlungsweisen angeben oder längerfristige Strategien zu verfolgen.

Komplexität bezeichnet das Verhalten eines Systems oder Modells, dessen zahlreiche Komponenten auf verschiedenste Weise miteinander in Feedbackschleifen verbunden sind und interagieren können. Dabei folgen sie teilweise eigenen Regeln, während Instruktionen höherer Ebenen unbekannt sind. Es geht um die Vielschichtigkeit und das Ineinandergreifen vieler Merkmale, die verflochten sind. Soziale und biologische Systeme sind in dieser Weise komplex, man spricht im Gegensatz von linearen Ursache-Wirkungsbeziehungen hier von “Kybernetik 2. Ordnung“.

Ambiguität bedeutet Mehr- oder Doppeldeutigkeit eines Sachverhalts, einer Lehre oder sprachlicher Ausdrücke (sog. Homonym). Der Begriff für die entsprechende Eigenschaft „zweideutig“  ist ambiguos oder ambigue. Es ist eine wesentliche Erkenntnis gerade für Führungskräfte, dass die Dinge nicht „so oder so“ sind, sondern meist „so und so“. Zu beurteilen, was „richtig“ oder gerecht ist, bleibt oft eine Frage des Kontextes oder der Perspektive. Auf dieser Grundlage Entscheidungen zu treffen und zu vertreten ist nicht trivial, man spricht im Zusammenhang mit Führung auch von der notwendigen sog. Ambiguitätstoleranz   

Zusammenfassend ist festzustellen, dass schon die einzelnen hier genannten Elemente schwer bis gar nicht zu durchschauen oder zu beherrschen sind. In der VUKA-Welt wirken sie nicht nur einzeln unabhängig voneinander (isoliert), sondern vernetzt und dadurch entsteht eine nicht vorhersehbare und nicht vorhersagbare Gemengelage. Planung wie in der bisherigen eher starren Weise muss in der VUKA-Welt versagen. Damit kann man nur umgehen, indem man „agil“ vorgeht. Im Kontext von Führung und Management umfasst agil die Begriffe Schnelligkeit, Anpassung, Flexibilität, Dynamik, Vernetzung, Vertrauen und Selbstorganisation. Nach dem „agilen Manifest“ (Quelle) umfasst Agilität Haltung und Verhalten und orientiert sich an folgenden Aussagen:

  • Individuen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge
  • Funktionierende „Software“ ist bedeutsamer als umfassende Dokumentation
  • Zusammenarbeit mit dem Kunden und Mitarbeiter ist wichtiger als Vertragsverhandlungen und strikte Weisungen
  • Reagieren auf Veränderungen und Interaktion ist wichtiger als das Befolgen eines vorgefertigten Plans.

Eine aktuelle Studie des Instituts für Personalforschung an der Hochschule Pforzheim beschreibt die Rahmenbedingungen, die eine agile Organisation braucht (Quelle: Personalmagazin, Ausgabe 8/2017, S. Fischer, S. Weber, A. Zimmermann – So trägt HR zur Agilität bei). Die Arbeitshypothese ist, dass eine agile Organisation überlebenswichtig für Unternehmen in der digitalen Transformation. Hier werden dem Begriff Agilität vier zentrale Aspekte zugeordnet: Geschwindigkeit, Anpassungsfähigkeit, Kundenzentriertheit und (agile) Haltung/Mindset.

Was Agilität hemmt

Um Agilität auszubilden, braucht es die richtigen Rahmenbedingungen, allen voran bei der räumlichen Gestaltung im Unternehmen, den Strukturen und Prozessen und bezogen auf die Verhaltensweisen und Haltungen der Mitglieder der Organisation. So kann sich keine Agilität entwickeln, wenn Einzelbüros verbreitet und geschlossene Türen üblich sind und wenig oder keine offenen Arbeits- und Kommunikationsflächen existieren. Die Menschen richten ihr Verhalten teilweise nach der Arbeitsumgebung, in der sie sich befinden und verschanzen sich hinter ihren eigenen (Teil-)Aufgaben.

Starke und starre Reporting-Strukturen und damit verknüpfte klassische hierarchische Strukturen gelten als hemmende Faktoren ebenso wie organisatorische Routinen und Gremien sowie manche gesetzliche Regulierung. Selbst die so oft mit Stolz vermerkten klassischen Führungs- und Personalinstrumente wie Zielvereinbarungen und erfolgsabhängige Vergütungssysteme – wenn sie überhaupt vorhanden sind- , müssen neu gedacht werden, damit sie Agilität nicht „aus Versehen“ behindern. Doch letztlich sind es immer die Menschen, auf die es ankommt. Bestimmte Verhaltensweisen von Führungskräften oder Beschäftigten können ein wesentliches Hemmnis für agiles Arbeiten darstellen. Angstkultur gefördert durch fehlende Unterstützung, „Nullfehlertoleranz“ mit Strafandrohung, mangelndes Vertrauen und geringe Transparenz  erschweren agiles Denken und Handeln nachhaltig.

Was Agilität fördert

Die Studie zeigt, dass Nähe, Transparenz und Offenheit die wichtigsten Förderfaktoren sind, die sich wechselseitig bedingen und unterstützen. Räumlich sind offene Flächen von Bedeutung, die eine reibungslose Zusammenarbeit und eine direkte Kommunikation der Teammitglieder unterstützen und ermöglichen. Der Begriff Nähe umfasst einen freundlichen, offenen, respektvollen und wertschätzenden Umgang der Organisationsmitglieder miteinander, und zwar sowohl vertikal im Führungskontext als auch horizontal unter Kollegen oder in Teams. Wichtig sei eine Kultur der Kommunikation auf Augenhöhe mit flachen Hierarchien ohne Silodenken. Transparent sollen vor allem die Strukturen und Prozesse sein, hierzu gehören auch optimierte Schnittstellen, offene Kommunikation und Partizipation und freier Zugang  zu allen relevanten Informationen. Schließlich ist Offenheit ein förderliches Element für die agile Organisation und umfasst Werthaltungen wie Verlässlichkeit, gegenseitiges Vertrauen und Ehrlichkeit. In agilen Unternehmen sind die Beschäftigen neugierig und mutig, neue Dinge auszuprobieren und andere Wege zu gehen.
Natürlich müssen wie immer die Führungskräfte mit gutem Vorbild vorangehen mit ihrem eigenem Verhalten und als Gestalter einer Kultur und eines Umfeldes, das Agilität fördert, während starkes Hierarchie- und Bereichsdenken hinderlich wirkt. Dies mündet in eine veränderte Rolle der Führungskraft, die sich auch als Coach verstehen kann und Mitarbeitende vor allem begleitet und befähigt.

Wenn Sie mehr Agilität in Ihrem Unternehmen wollen, genügt es nicht, nur oberflächliche Veränderungen beispielsweise in der Bürogestaltung vorzunehmen und neue Software anzuschaffen. Es geht vielmehr um eine Kultur der Offenheit und Beweglichkeit auf der Grundlage eines tiefgreifenden (Selbst-) Verständnisses als Führungskraft mit Ihren eigenen Glaubenssätzen, Grundannahmen und Werten. Agilität kann man nicht anordnen, sie folgt von selbst nach, wenn die inneren und äußeren Voraussetzungen stimmen.

Pia Drauschke und Stefan Drauschke im November 2017

Erschienen in: Klinik Markt inside, 20/2017 vom 20.11.2017, Seiten 8-10