Das Ego und seine Tücken

Der NextHealth Change-Brief Nr. 23

Das Ego und seine Tücken – Die Führungskräfte und ihr „Ich“

Gehören Sie auch zu den Menschen, die viel Verantwortung tragen, ständig Entscheidungen treffen müssen und damit auch über Macht verfügen? Willkommen im Kreis der Führungskräfte, die für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben über ein gesundes und ausreichend großes Ego verfügen müssen. Führungskräfte definieren sich dadurch, dass sie Menschen zu führen haben, meist in Unternehmen  und in der Regel durch wirksame Kommunikation. Auch Krankenhäuser sind Unternehmen, denn es spielt hierfür keine Rolle, ob die Gewinnmaximierung im Vordergrund steht oder die Erfüllung eines öffentlichen Versorgungsauftrages. Und in Krankenhäusern finden sich meist eine ganze Reihe von Menschen mit ausgeprägten Ego-Strukturen, die wir hier einmal näher betrachten wollen.

Ein starker oder ein neurotischer Charakter?
 

Über die Motive und den Charakter von ehrgeizigen Führungskräften kann man „von außen“ nur spekulieren. Ein starkes Ego ist sicher von Vorteil, denn es gilt sich durchzusetzen, Krisen durchzustehen, andere zu überzeugen und mit Widerstand umzugehen.

Doch wo ist die Grenze zur Skrupellosigkeit und Rücksichtslosigkeit, wo beginnt die Blindheit dafür, dass weitermachen gefährlich für sich oder die Organisation oder sogar sinnlos sein kann, wo wird Überzeugung zum „über den Tisch ziehen“ oder der Umgang mit Widerstand zynisch oder zur brachialen Gewalt? Es ist sachlich betrachtet leicht zu verstehen, dass alle diese Überzeichnungen dokumentieren, wie im Grunde genommen positive und hilfreiche Charaktereigenschaften in neurotisch-narzisstisch-egozentrische Persönlichkeitsmerkmale abdriften. Die Grenzen sind dabei sicher fließend und auch von äußeren Umständen beeinflusst. Wenn die Zeiten hart sind, der Druck groß, der Schlaf rar und der innere und äußere Stress hoch, dann kann es jedem „passieren“, in die Übertreibung von an sich positiven  und hilfreichen Persönlichkeitsmerkmalen zu verfallen.

Wir arbeiten in unserer Einzel- und Teamcoachingpraxis öfter mit dem Typologietool Insights-MDI®, das u.a. auf den Lehren von Jung und Marston basiert. Hier werden die Ausprägungen von Introversion und Extroversion auf einer horizontalen Achse sowie die Sach- und die Menschenorientierung auf der vertikalen Achse mit Hilfe eines erprobten psychologischen Tests „gemessen“. Die vier Quadranten zwischen den Achsen werden mit vier Farben gekennzeichnet, nämlich rot/dominant (D) zwischen Sachorientierung und Extraversion, gelb/initiativ (I) zwischen Extraversion und Menschenorientierung, grün/stetig (S) zwischen Menschenorientierung und Introversion und schließlich blau/gewissenhaft (G) zwischen Introversion und Sachorientierung. In einer anderen Version ist dies auch als DISG-Modell bekannt geworden.



Das Insights-Farbrad, INSIGHTS MDI International Deutschland GmbH  by Scheelen AG


Das Tool beschreibt ziemlich treffsicher das menschliche Verhalten und die Stärken sowie die Engpässe von mehr als 60 verschiedenen Typen einzeln oder im Team auf der Grundlage der Kombinationen von „Farbausprägungen“. In diesem Zusammenhang ist interessant festzustellen, dass jemand, der zum Beispiel ein eher dominantes Verhalten zeigt (rot, D) – wenn er unter Druck gerät – dieses Verhalten i.d.R. noch weiter verstärkt und sogar überzeichnet. Sich durchsetzen wird dann schnell zu unter Druck setzen, selbstbewusst Interessen vertreten wird zum egoistischen Durchmarsch. Allerdings ist es äußerst bemerkenswert, dass bei sehr, sehr hohem Druck, beispielsweise bei dem Verlust eines liebenswerten Menschen oder einer starken Verletzung, diese Menschen in der Verhaltensweise ins Gegenteil „kippen“, also beispielsweise von „rot“ auf „grün“, zumindest für eine Zeit. Wir haben erlebt, wie ein oft knallharter und nah am Narzissmus lebender Vorstand weinend und auch ansonsten eine Regression in frühe Kindheitsphasen durchlebend im Auto auf dem Beifahrersitz neben uns saß, nachdem seine Mutter gerade verstorben war – und das war nicht nur ein Ausdruck von Trauer.

Das Ego auf Abwegen

Wenn das Ego beginnt aus dem Ruder zu laufen, sind die für Führungsstärke wesentlichen Individualkompetenzen Introspektion und Reflexivität von großer Bedeutung. Auch die Stärke, kritisches Feedback annehmen zu können, ist sehr nützlich. Wichtige Warnsignale für ein übersteigertes Ego möchten wir Ihnen kurz vorstellen – und was man dagegen unternehmen kann, wenn „man“ es bemerkt.

Langeweile: Höher, schneller, weiter ist die Devise vieler Führungskräfte, keine Herausforderung zu groß, kein Problem zu kompliziert. Das Rad dreht sich immer schneller und die Bodenhaftung wird kleiner. Oft liegt das daran, dass versucht wird, die fehlende Verbindung nach innen mit immer mehr Reizen und Aktivität „im Außen“ aufzufüllen. Doch man wird dann doch irgendwann eingeholt, sei es durch eine reguläre Krankheit oder durch schlimme Unfälle bei spektakulären Hobbies oder die vollkommene Leere im Rahmen des so oft beschriebenen Burnouts. Gegenmittel ist, sich seines eigenen Inventars von Werten und wahren Interessen bewusst zu werden, und diesen konsequent, achtsam und mit genügend Ruhe nachzugehen.

Abwertung anderer: Wir stellen immer wieder fest, dass die Sehnsucht nach Wertschätzung in Organisationen von sehr großer Bedeutung ist. Die Wirklichkeit sieht so aus, dass häufig weder die Menschen wertgeschätzt werden noch die Arbeit anderer. Ein Oberarzt bemerkte jüngst, dass dann, wenn die Chefs sich mit Namen aus dem Tierreich anreden, von Wertschätzung keine Spur mehr vorhanden sein kann (Esel, Blindfisch, Ochse etc.). Die Pflege schimpft auf die Ärzte, die Ärzte fühlen sich von der Pflege bevormundet etc.. Hier wird von eigenen Defiziten abgelenkt, andere werden erniedrigt, um selbst größer zu scheinen. Gegenmittel ist, sich seiner Kommunikation und Gedanken bewusst zu sein und die roten Warnlampen angehen zu lassen, wenn man Abwertung anderer durch sich selbst bemerkt. Dann kann man sich Gedanken darüber machen, über was für ein Menschenbild man verfügt, ob auf diese Weise Lebensqualität bei der Arbeit möglich ist und gute Ergebnisse im Team noch wahrscheinlich sind. Auch ein Perspektivwechsel kann nützlich sein. Viele Führungskräfte arbeiten von Zeit zu Zeit ehrenamtlich in Behinderteneinrichtungen oder Bahnhofsmissionen, um ganz andere Seiten der Gesellschaft kennenzulernen. Je nach Ausprägung ist auch die Inanspruchnahme eines Coaches oder – in Grenzfällen zur Neurose oder gar Psychose – eines Therapeuten sinnvoll!

Starke und sichtbare Statusorientierung: Ein neues Auto, vor allem ein größeres und schnelleres als das vom Kollegen oder vom Chef, eine neue Arbeitszimmerausstattung, aber bitte vom Feinsten, und erst die Uhr am Handgelenk, am besten so „hipp“, dass nur Eingeweihte den wahren Wert erkennen … . Sie als Leser merken schnell, dass hier eher ein schwaches Selbstwertgefühl am Werk ist, das versucht, sich im Außen aufzuplustern, um von den wahren Schwächen im Inneren abzulenken. Doch es ist zwecklos, die anderen spüren es trotzdem. Sich auf Äußerlichkeiten zu stützen hat keinen Sinn, sondern macht es für das um Stärke ringende Selbstwertgefühl immer schlimmer und droht sich zu verselbständigen. Als Gegenmittel hilft, öfter mal in die Einfachheit zu gehen, in einen Retreat, ins Kloster oder in die Wüste. So ganz ohne Äußerlichkeiten beginnen Sie sich endlich wieder selbst zu spüren und Kontakt mit Ihren wahren Werten aufzunehmen. Das führt in der Regel zu gesundem Wachstum und lässt den Unsinn vieler Statuszeichen erkennen.

Das Fenster und Spiegel Prinzip; ich habe es allein geschafft: Jim Collins hat in seinem bekannten Bestseller „Der Weg der Besten“ beschrieben, dass wirklich hervorragende Führungskräfte „aus dem Fenster“ zu ihren Mitarbeitern schauen, wenn etwas sehr gelungen ist und dies dankbar anmerken. Wenn Probleme auftauchen oder etwas schief gelaufen ist, dann schauen sie „in den Spiegel“ und forschen nach dem eigenen Anteil. Menschen mit Egoschwäche, die schon erkennbar eitlen Top-Manager, oft mit Hubschrauber und Megayacht, machen es genau umgekehrt. Wenn es so richtig gut läuft, dann schauen sie in den Spiegel und sind stolz auf sich, was sie alleine geschafft haben und bei Problemen schauen sie aus dem Fenster. Die Unternehmen solcher Führungskräfte sind oft weniger erfolgreich als bei dem zuerst beschriebenen Menschentypus. Gegenmittel ist, öfter mal „Danke“ zu sagen und sich den Glaubenssatz zu vergegenwärtigen, dass immer dann, wenn Ihnen etwas begegnet, das Ihnen nicht gefällt, die Suche nach dem eigenen Anteil (nicht: Schuld) reflexartig starten sollte. Auf diese Weise bleiben Sie im Fahrersitz, laufen nicht Gefahr, Opfer zu werden und erhöhen Ihre Wirksamkeit.

Zurückgezogen im Elfenbeinturm: Menschen mit Ego-Schwäche ziehen sich oft auch von anderen Menschen zurück, um zu versuchen, der vermeintlichen oder wirklichen Bedrohung der eigenen Position zu entkommen. Das Risiko unerwünschter Rückmeldungen sinkt dadurch, andere Meinungen kommen nicht mehr zu ihnen durch und empfangen werden nur noch die bequemen Ja-Sager. Gegenmittel ist, erst Recht den direkten Kontakt zu den Menschen im Unternehmen zu suchen und Konflikte anzugehen, wo sie sich zeigen. Holen Sie sich starke und loyale Persönlichkeiten ins Team. Ebenso die Zugehörigkeit zu interessanten Gruppen auch außerhalb des Unternehmens wie Serviceclubs, Kulturgemeinschaften etc. hilft, regelmäßig Feedback auf Augenhöhe zu erhalten.

Wirkliches Führen gelingt nur, wenn man Ihnen als Führungskraft auch folgt. Wenn diese Verbindung zwischen Führenden und Geführten unterbrochen ist, dann glauben Sie nur noch, Sie seien eine Führungskraft. Und spätestens, wenn der Einsatz von geliehener Macht sein Ende gefunden hat, stehen Sie alleine da.

Dabei ist es so einfach. Führen Sie so, wie Sie selbst am liebsten geführt werden möchten. Mit eigener Bescheidenheit und Achtsamkeit wächst das eigene Ego gesund und ganz von allein. Und obwohl man nicht direkt danach strebte, entwickelt sich die eigene Wirksamkeit im Unternehmen so, dass Sie gemeinsam mit Ihren Mitarbeitern nicht nur viel erreichen können, sondern das auch noch mit einer hohen Lebensqualität bei der Arbeit.
 

Dr. Stefan Drauschke, Februar 2014

Erschienen in der KMi-Kolumne, Klinik Markt inside 4/2014