Die Führungskraft 4.0 und das „Generationenproblem“ (Change-Brief Nr. 67)

Die Führungskraft 4.0 und das „Generationenproblem“

Wie oft hat man schon Studien und Veröffentlichungen gelesen über die
verschiedenen Generationen im Arbeitskontext von den „Baby-Boomern“ aus
den 1960iger Jahren bis zu den Generationen X, Y und Z (die „Digital
Natives“) mit ihren Bedürfnissen, Besonderheiten und Konfliktpotentialen
unter- und miteinander.

Ja, alle genannten Generationen haben nicht den Zweiten Weltkrieg und
zum Glück auch keinen anderen Krieg hier erlebt. Die Grundbedürfnisse
der Maslow-Bedürfnispyramide wie Ernährung und Sicherheit sind
weitgehend befriedigt in unserem Land und die zunehmende Digitalisierung
beeinflusst das Kommunikations- und Arbeitsverhalten mehr und mehr. Wer
mit dem Smartphone sozusagen auf die Welt oder zumindest in das
Jugendalter gekommen ist, hat zu modernen Medien ein anderes und
deutlich natürlicheres Verhältnis als Leute früherer Generationen, die
diese Errungenschaften eher als Mittel zum Zweck betrachten. Doch
spätestens, wenn Sie in der Bahn sitzen und sich umschauen und
wahrnehmen, wie mindestens 90 Prozent aller Fahrgäste aller Altersstufen
gebannt auf ihre Smartphones starren und dort bewegte Bilder oder Fotos
anschauen, Texte lesen oder Nachrichten schreiben – anstatt sich zu
unterhalten oder die Gegend oder die Muße zu genießen – wird klar, dass
sich doch einiges geändert hat in den letzten Jahren. Oder ist gerade
das vielleicht normal?

„Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben. Sie ist böse,
gottlos und faul. Sie wird niemals so sein, wie die Jugend vorher und es
wird ihr niemals gelingen, unsere Werte zu erhalten.“

Das ist nicht eine Headline eines konservativen Provinzblattes, sondern
die Inschrift auf einer babylonischen Tontafel, die mind. 3.000 Jahre
alt ist. Und wenn ein Problem bereits seit 3.000 Jahren besteht, ohne
dass es eine Lösung zu geben scheint, gibt es vielleicht gar keine
Lösung! Diese schöne Geschichte gibt der geniale Paul Watzlawick zum
Besten auf einem Vortrag „Wenn das Problem die Lösung ist“ in Stuttgart
im Jahr 1987 (auf youtube zu finden). Die gute Nachricht und dazu
passende Botschaft aus der Neuzeit liefert eine Studie der Initiative
Neue Qualität der Arbeit (INQA) des Bundesarbeitsministeriums für Arbeit
und Soziales „Wertewelten Arbeiten 4.0“, die Anfang 2016 vorgestellt
wurde. Diese räumt auf mit den weit verbreiteten Vorurteilen zu den
benannten Generationen. Die INQA hatte 1.200 Tiefeninterviews mit
Beschäftigten aller Altersgruppen durchgeführt und kommt zu folgendem
Kernergebnis: Das Klischee-Denken über die jeweiligen Generationen und
ihre Wertevorstellungen ist nicht nachvollziehbar. Viel eher sind
stattdessen die individuellen Wertvorstellungen eines jeden Einzelnen
ausschlaggebend dafür, wie Arbeitnehmer ihre Arbeitswelt bewerten – und
nicht der sozialdemografische Background: „Der Mensch bleibt Mittelpunkt
– bei allem technischen Fortschritt“.

Innerhalb der Befragung zeichneten sich sehr unterschiedliche
Wertewelten ab, die die Pluralität der Erwerbstätigen illustrieren. So
wurden ein großes Sicherheitsbedürfnis, der Wunsch nach Freiheit und
Flexibilität und die Suche nach Sinn oder die Vereinbarkeit von
Privatleben und Beruf häufig genannt. Diese Vielfalt der Wertewelten
verdeutlicht anschaulich die Notwendigkeit nach individuellen Lösungen.
In der modernen Arbeitswelt funktioniert das alte Prinzip
„one-size-fits-all“ nicht mehr. Auch aktuelle Semesterarbeiten
(Sommersemester 2017) im Modul „Führungspsychologie“ im Masterstudium
Wirtschaftspsychologie der FOM in Berlin zum Thema „Generationen und
Führung“ bestätigen diesen Eindruck. Die Erkenntnis wurde auch hier
deutlich, dass in allen Generationen individuell sehr unterschiedliche
Menschen verortet sind und kein Unternehmen sich klischeehaft auf die
Besonderheiten einzelner Generationen einstellen kann. Es gibt nicht das
Führungs- oder Personalentwicklungsmodell für die Generation X, Y oder
Z, sondern Führung ist und bleibt ein individuelles Phänomen zwischen
Führenden und Geführten.

Abb. Abgrenzung zwischen den Generationen

Ist das nun eine gute oder schlechte Nachricht? Vielleicht wird es
nur ein wenig anstrengender für den einen oder anderen Chef, denn manche
müssen umdenken und sich vom Klischee-Denken lösen. Man braucht nicht
mehr zu probieren, den spezifischen Ansprüchen einer Altersgruppe
gerecht zu werden, vielmehr ist ein neuer eher individueller
Führungsstil gefragt. Es geht darum, flexibel auf die Bedürfnisse der
Mitarbeiter einzugehen, deren unterschiedliche Wertevorstellungen
anzuerkennen und die sich eigenständig am Arbeitsplatz bildenden
Netzwerke zu fördern oder sogar mit der Einrichtung dualer
Betriebssysteme (z.B. mit dem Vierschichtenmodell, Quelle:
Drauschke/ Drauschke/Schade, „Führen im Wandel (2) – Die neuesten
Kolumnen über Kommunikation, Führung und Changemanagement“, 2015,
medhochzwei Verlag GmbH Heidelberg
) aktiv zu gestalten.

Doch was macht die Führungskraft 4.0 heute aus, und worauf sollte sie sich konzentrieren? (Quelle: „Zwölf Thesen zur Führung im digitalen Zeitalter: Was die Führungskraft 4.0 drauf haben sollte“)?
Je mehr sich die Technik weiterentwickelt, umso wichtiger sind soziale
Kompetenzen und Empathie sowie aktive Beziehungsarbeit. Man kann
Menschen nicht alleine über Skype, Trello und E-Mail führen. Letztlich
kommt es auf die Beziehung zwischen Führenden und Geführten an, ob
gefolgt wird oder nicht. Man muss Menschen mögen, kennen und sich
individuell aufeinander einstellen, damit Führung und Bindung im
Zeitalter der sozialen digitalen und analogen Netzwerke noch
funktionieren. Zwang und Druck allein haben weitgehend ausgedient,
nachdem Mitarbeiter sich ihren Arbeitgeber nicht nur aussuchen, sondern
auch vorher über das Netz reichhaltig Insider-Informationen beschaffen
können. Attraktive Ziele, Sinn, spannende Aufgaben und ein sicherer
Arbeitsplatz wirken attraktiv auf viele Menschen. Dabei bleiben
Kontrolle, Nachfragen und Feedback nach wie vor adäquate
Führungsinstrumente. Gleichzeitig ist die Bindung nicht mehr so hoch wie
früher, viele Arbeitnehmer behalten sich jederzeit vor, das Unternehmen
wieder zu verlassen, wenn sie etwas vermeintlich Besseres finden.

Schließlich erzeugt jeder Trend auch einem Gegentrend: Je mehr
Multitasking, Geschwindigkeit, Vernetzung und ständige allgegenwärtige
Verfügbarkeit Einzug in moderne Arbeitswelten halten, umso mehr spielen
plötzlich Achtsamkeit, „Mindfulness“ und Meditation für Manager eine
Rolle und sind in aller Munde. Sie merken schon, was da auf Sie als
Führungskraft zukommt. Auf die nachfolgenden vier Themen würden wir
Ihnen als Führungscoaches raten, sich zu konzentrieren:

  1. Klare Ziele bei partizipativer Strategieentwicklung
  2. Wertschätzendes Feedback immer und überall
  3. Echtes Interesse gepaart mit aktivem Zuhören und hoher sensorischer Sinnesaufmerksamkeit und
  4. Hohe authentische Flexibilität.

Mit diesem Set an Fähigkeiten und Verhaltensweisen sollte es Ihnen
gelingen, stets mit verschiedenen Menschen – auch aus verschiedenen
Kulturen – mit verschiedenen Einstellungen, Haltungen und Bedürfnissen
einen harmonischen „Tanz der Kommunikation“ aufs Parkett zu legen und
damit Ihre Ziele als Führungskraft mit hoher Wahrscheinlichkeit und
miteinander zu erreichen.

Pia Drauschke und Stefan Drauschke, im Juli 2017

Erschienen in: Klinik Markt inside, 14/2017 vom 17.07.2017, Seiten 11-12