Eine kleine Nachdenkerei „zwischen den Jahren“ (Change-Brief Nr. 70)

Ist die Welt nun gut oder schlecht? Eine kleine Nachdenkerei „zwischen den Jahren“

Die Zeit zwischen den Jahren, eigentlich schon vom 21. Dezember bis zum 6. Januar, wird schon seit langem als eine ganz besondere empfunden. Es ist nicht nur, dass die Sonne am 21.12. am tiefsten steht und die Tage ab dann wieder stets ein wenig länger werden, sondern wir befinden uns nach dem keltischen Jahreskreis in der Jahresnacht. Seit alten Zeiten gelten diese Tage und Nächte als heilig, es fanden vermehrt Riten und Bräuche statt und man nennt die Nächte vom 21. Dezember bis zum 6. Januar auch Rauhnächte. Der Name kommt vom „Rauke gehen“ und meinte das Räuchern der Räume mit Weihrauch, Wacholder und Beeren, um die Infektionsgefahr zu reduzieren und Unheil abzuwehren. In diesen Zeiten wird seit jeher gedeutet und orakelt und die „Sehenden“ nehmen in Anspruch in dieser Zeit besonders empfindsam zu sein.

Unsere Welt ist sicher in den letzten Monaten weder friedlicher noch sicherer geworden, wenn man an Trump, Brexit, Nordkorea, Katalonien, AFD und andere Phänomene dieser Zeit denkt. Vieles ist einfach ärgerlich oder beängstigend, und gleichzeitig gibt es immer wieder wunderbare Geschichten von Großmut und Nächstenliebe. Einige haben wir selbst erlebt, über manche gelesen. Hier folgt nun eine kleine Auswahl für Sie.

Den Schrankenschlüssel hat nun ein anderer – oder was es mit der Klaukultur in Berlin auf sich hat

Wir wohnen in Berlin in unserem Haus am See in einer Art Wohnpark neben einem größeren Haus mit zahlreichen Wohnungen, deren Autostellplätze außerhalb des Geländes liegen. Eine Schranke trennt die gesamte Anlage vom öffentlichen Straßenland ab und nur wenige verfügen wie wir über den Schrankenschlüssel. Diesen kann man nicht abziehen, wenn die Schranke noch offen ist, damit er nicht so leicht vergessen werden kann. Neulich waren wir sehr in Eile und besuchten jemanden in einer der Wohnungen – und ließen die Schranke versehentlich offen stehen mitsamt dem noch steckenden Schlüssel. Unser Auto stand am Wegesrand in Sichtweite der Schranke und als wir 10 Minuten später wieder herauskamen war die Schranke geschlossen und kein Schlüssel mehr da. Jeder sah unser Auto dort deutlich sichtbar stehen und jeder im Wohnpark kennt das Auto und uns – und dennoch war die Anziehungskraft des begehrten Schlüssels größer als die Ehrlichkeit. Wie diebisch doch manche Menschen sind, und was hört man nicht überall von großen und kleinen Räubereien. Der Einzelhandel fordert derzeit gerade hohe Strafen für Ladendiebe, die ihrem Treiben offenbar inzwischen bandenmäßig und im großen Stile nachgehen mit hohen Verlusten für die Geschäfte. Dabei liegt es doch auf der Hand, dass wenn in einer Stadt permanent geklaut wird die wechselseitige Rücksicht verloren geht und das eher die sozial Schwachen trifft. Vor diesem Hintergrund ist ein Test erwähnenswert, den im Jahr 2013 Journalisten der Zeitschrift Readers Digest durchführten. Sie legten in 16 verschiedenen Städten Europas jeweils 12 Portemonnaies aus und verglichen die Quoten der wieder abgegebenen Geldbörsen. Berlin lag mit 50 % Rückgabequote immerhin im Mittelfeld, Schlusslicht war Lissabon, wo nur eine von den 12 Brieftaschen wieder auftauchte – und dann auch noch von holländischen Touristen wiedergebracht. Den ersten Platz belegte Helsinki mit 11 von 12 abgegebenen Brieftaschen. Menschen sind also nicht per se diebisch, es scheint darauf anzukommen, wie die Gesellschaft geprägt ist. Nun ja, Finnland, kalt und im Winter dunkel, da hält man wohl zusammen.

Ganz anders ist es sicher in Amerika, wo viele Gegenden schon nach Verbrechen klingen, oder nicht? Da lohnt es sich folgende Geschichte zu lesen:

Obdachloser holt Frau Benzin von seinen letzten 20 Dollar (veröffentlicht in verschiedenen Medien am 23.11.2017)

Kate McClure aus New Jersey blieb mit ihrem Auto auf einer Schnellstrasse bei Philadelphia stehen, weil ihr das Benzin ausgegangen war. Zufällig hielt sich am Ort des Geschehens ein Obdachloser auf. Der Mann, der sich Johnny Bobbitt Jr. nannte, bot ihr an, zur nächsten Tankstelle zu laufen, weil die Gegend „nicht sicher sei“. Er riet ihr dringend, ihr Auto von innen zu verriegeln und auf ihn zu warten. Er kaufte von seinen letzten 20 Dollar Sprit für die Frau und schenkte ihr den Treibstoff, damit sie weiterfahren konnte. Die Frau war fassungslos und hat sich tausendfach revanchiert. Da sie an jenem Tag kein Bargeld dabei hatte, um ihm den ausgelegten Betrag zurückzuzahlen, fuhr sie an den Tagen danach zu Bobbitt und gab ihm das Geld und Kleidung, doch das reichte ihr nicht. Es klingt wie ein Weihnachtswunder: Kate McClure hat mehr als 60.000 Dollar für den obdachlosen Mann gesammelt, der ihr zuvor mit seinem letzten Geld Sprit für ihr liegengebliebenes Auto gekauft hatte. Sie habe die Online-Spendensammlung auf „Gofundme.com“ Anfang November gestartet, erklärte Kate McClure. Mittlerweile hätten fast 2000 Menschen etwas beigetragen, weil sie von dem Großmut des Obdachlosen fasziniert waren. Das nun gesammelte Geld soll laut McClure dazu verwendet werden, dem 34-Jährigen eine langfristige Unterkunft zu sichern. „Ich wünschte, ich könnte mehr für diesen selbstlosen Mann tun“, schrieb McClure auf der Webseite der Spendensammlung. Sie denke, alles, was Bobbitt brauche, sei eine Starthilfe. Sie hoffe, mit dem gesammelten Geld könne sie ihm diese geben.
Das ist doch wirklich eine schöne, wahre Geschichte, es gibt das Gute im Menschen also doch noch!

Wie hätte man helfen können?

Ein anderes Schicksal nahm ein Obdachloser im Norden von Berlin, den wir seit längerem jeden Morgen beim Laufen am Eingang zum U-Bahnhof Tegel sehen konnten, wie er unter einer Menge Decken und manchmal auch einem Schirm unter freiem Himmel schlief. Im November wurde es dann oft schon so kalt, dass wir uns fragten, wann er denn eine Bleibe mit einem festen Dach über dem Kopf ansteuern würde. Dazu kam es leider nicht mehr. Eines Tages fanden wir am U-Bahnhof anstelle des Mannes eine Ansammlung von Blumen und Kerzen wieder, die aufmerksame Anwohner dort hinterlassen haben im Andenken an ihn. Wir beide haben uns oft gefragt, was wir wohl für den Mann hätten tun können. Ging es um Geld, das vermutlich schnell in harte Getränke getauscht worden wäre, oder um Nähe, um Arbeit? Wir haben keine echte Antwort gefunden, außer dass wir glauben, dass manche Menschen sich aufgegeben haben und dann auch nicht mehr bereit sind, echte Hilfe zur nachhaltigen Veränderung anzunehmen. Die Glaubenssätze und inneren Programme sind dann stärker als jeder Impuls von außen. Wärmebusse und Notunterkünfte alleine scheinen also noch nicht die Lösung zu sein, obwohl es sie in Berlin gibt in vermutlich ausreichender Zahl.

Ist die Welt nun gut oder schlecht? Sie ist gut und schlecht, je nach Perspektive und Moment! Was kann man also tun in dieser Welt voller Widersprüchlichkeiten, Bedrohungen, Problemen und Egoismus ebenso wie Nächstenliebe, Zutrauen und Selbstlosigkeit? Wir meinen die Antwort ist einfacher als viele glauben: Wenn man andere so behandelt wie man selbst behandelt werden möchte, wenn man Verschwendung achtsam vermeidet, den Augenblick dankbar annimmt, auf das Geben und nicht nur das Nehmen achtet und dafür sorgt, sich selbst und anderen mit guten Gefühlen und Absichten zu begegnen. Auch wenn Sie all dies beachten, macht man auch nicht immer alles „richtig“, doch man hat schon sehr viel für diese Welt mit ihren Bewohnern getan und letztlich auch für sich selbst. Schlechte Gefühle schaden demjenigen der sie hat, und daher lohnt es sich, für mehr bessere Gefühle zu sorgen bei sich selbst und auch bei anderen. Ganz nebenher haben Sie mit guten Gefühlen auch einen besseren Zugang zu Ihren inneren Ressourcen und werden es schaffen, die durchaus vorhandenen Probleme und Herausforderungen noch besser zu meistern. Herr Prof. Ruckriegel, der in der Hochschule Nürnberg über Glück forscht, hat jüngst in seiner Weihnachtskolumne folgenden Ratschlag gegeben: Leben Sie im Hier und jetzt und nicht in der Vergangenheit, vergleichen Sie sich nicht ständig mit anderen und sehen Sie das Glas nicht halb leer sondern halbvoll. Auf jedes schlechte Gefühl sollten mindestens drei gute folgen!

In diesem Sinne war es uns ein Anliegen diese Zeilen für Sie während der Rauhnächte aufzuschreiben und wünschen Ihnen von ganzem Herzen einen guten Rutsch in ein hoffentlich friedliches, lehrreiches, erfolgreiches und schönes neues Jahr 2018 !

Ihre Pia Drauschke und Stefan Drauschke
Berlin, den 25. Dezember 2017