Geduld (Changebrief 82)

Geduld – eine lohnenswerte Tugend:

Es wird eine schöne Geschichte um Til Eulenspiegel erzählt, die wir hier sehr frei wiedergeben wollen. Eulenspiegel war eines Tages zu Fuß auf dem Weg nach Hameln und eine Kutsche mit zwei rassigen Pferden und einem peitscheschwingenden Kutscher brauste heran. Der Kutscher hielt neben ihm an und fragte, ob es hier nach Hameln ginge und wie lange es noch bis dorthin dauerte. Eulenspiegel dachte kurz nach und antwortete: „Wenn Du langsam fährst, eine halbe Stunde, wenn Du schnell fährst, zwei Stunden“. Der Kutscher schaute etwas verdutzt und lies die Peitsche niederknallen und trieb die Pferde eilig voran. Nach einiger Zeit des Weges sah Eulenspiegel schon von ferne eine Kutsche etwas schief am Wegesrand stehen. Er kam näher und erkannte, dass eine Achse gebrochen war. Der Kutscher kniete neben dem Malheur mit einem Werkzeug in der Hand und war ganz rot vor Anstrengung und Ungeduld im Gesicht. Er erkannte Eulenspiegel und fuhr ihn an, dass es sicher noch stundenlang dauern würde, bis die Achse repariert wäre. Da antwortete Eulenspiegel ganz ruhig: „Ich sagte doch, wenn Du schnell fährst, brauchst Du zwei Stunden. Der Weg ist so schlecht und voller Schlaglöcher, dass die Achsen das schnelle Fahren nicht vertragen. Währest Du langsam geblieben, dann wärst Du schon dort“.

Ein japanisches Sprichwort lautet „Wenn Du es eilig hast, dann gehe langsam!“ Wir betonen das gerne gerade am Beginn und im Verlauf von anspruchsvollen Changeprozessen, denn hier wäre Eile oder gar Aktionismus ein Garant für das Scheitern. Wir erinnern an die „Vier Phasen der Veränderung“ (Quelle: Changemanagement und Führung im Gesundheitswesen, Drauschke, Drauschke, Albrecht, medhochzwei Verlag, 2016, Seite 108-120) bestehend aus der Irritation (1), der Frustration (2) mit dem Klären von Widerständen und Einwänden, dem Zögern (3) mit der so wichtigen Entscheidung der Beteiligten dafür oder dagegen und der erst dann nachfolgenden guten Energie auf dem neuen Weg (4). Diese vier Phasen gilt es im eigenen System zu erkennen und mit dem passenden Führungsstil zu durchleben mit den Menschen im Unternehmen (Dirigieren (1), Dirigieren/Sekundieren (2), Sekundieren (3) und dann an langer Leine laufen lassen(4)). Die Wellenlänge und Amplitude dieser vier Phasen mag unterschiedlich sein, doch es wird so gut wie nie eine Phase übersprungen, egal wie eilig Sie es haben. Alles braucht seine Zeit, im Gegenteil, wenn dieser Grundsatz ignoriert wird und der dritte Schritt vor dem zweiten gegangen werden soll, dann wird es nicht funktionieren. Ungeduld und Aktionismus sind die wichtigsten Gründe neben mangelnder oder unehrlicher Partizipation, dass ein hoher Prozentsatz von Changeprozessen scheitert oder diese ohne Ergebnis im Sande verlaufen. Jedes dieser Negativerlebnisse im kollektiven Gedächtnis der MitarbeiterInnen lässt einen nachfolgenden Change umso schwerer werden. Es lohnt sich also, einmal innezuhalten und die gewünschte oder notwendige Veränderung gut geplant und mit Geduld, Vertrauen, Achtsamkeit und zahlreichen aufrichtigen Feedbackschleifen in angemessener Zeit zu durchlaufen.

Wie geduldig sind Sie?     

In seinem letzten Newsletter hat C. Mulzer (Geduld: Wer warten kann, wird belohnt/ Kikidan 47/2019) das Thema Geduld anschaulich beschrieben. Ihnen ist sicherlich schon aufgefallen, dass sich eine Stunde sehr kurz oder sehr lang anfühlen kann. Führen Sie ein gutes Gespräch mit einem interessanten Gesprächspartner verfliegt die Zeit nur so. Warten Sie darauf, dass Ihr verspäteter Flug endlich zum boarding freigegeben wird, fühlt sich eine Stunde manchmal endlos an, wenn Sie keine Gelegenheit haben, die geschenkte Zeit zu nutzen, um Ihre Mails zu checken oder mit Ihren Liebsten zu telefonieren. Ihre Wahrnehmung der Zeit ist also relativ. Noch relativer sind die Bewertungen der Zeitperioden des Wartens auf etwas, das Sie sich intensiv wünschen oder meinen, unbedingt zu brauchen oder umsetzen zu wollen. Stellen Sie sich einmal die Frage, wie geduldig Sie sind oder wie oft Sie die Dinge in Ihrem Leben von jetzt auf sofort wollen? Können Sie abwarten, wenn es etwas länger dauert? Bleiben Sie ruhig, wenn Sie länger auf etwas warten müssen, oder werden dann gleich die nächsten Aktivitäten gestartet?
Wie oft hören wir in Bewerbungsgesprächen die als Stärke verkaufte Schwäche, man sei ungeduldig, weil der Bewerber meint, das gefällt uns als Chefs. Dabei ist gerade Geduld eine große Tugend, wenn es um gute und nachhaltige Ergebnisse geht. Ein altes Wort für Geduld ist Langmut und bedeutet, den Mut zu haben, die Länge von etwas zu ertragen. In unserer schnelllebigen Zeit ist es sicher eine Stärke, das abwarten zu können, was man zeitlich nicht beeinflussen kann oder tunlichst nicht sollte. Ein buddhistischer Mönch verriet Mulzer einmal sein Geheimnis eines ausgeglichenen Lebens: “Ich meine die Fähigkeit, einer Entwicklung zusehen zu können und die Dinge an ihren Platz fallen zu lassen!“ Im “richtigen Leben” gehört allerdings etwas Erfahrung dazu, Hindernisse auf Ihrem Weg, die Sie überwinden können, von den Zeichen zu unterscheiden, die Ihnen zeigen, dass etwas für Sie nicht geeignet ist. 

Geduld und Achtsamkeit

Geduld braucht die Fähigkeit zur Achtsamkeit (Führen im Wandel, Drauschke et al., medhochzwei Verlag, 2013, S. 32-34), und Hetze ist der Feind der Schnelligkeit. Es geht bei Achtsamkeit darum, mit den Gedanken im Hier und Jetzt zu sein und nicht schon während der einen Sache mit den Gedanken bei der nächsten zu sein. Multitasking ist keine Tugend, sondern eine Illusion. Unser Gehirn kann sich nicht zugleich auf mehrere Dinge konzentrieren und zu viel auf einmal über längere Zeit macht letztlich krank. Achtsamkeit heißt auch Wahrnehmung, ohne zu bewerten, obwohl wir geradezu dazu trainiert sind, immer alles gleich zu interpretieren und mit gut oder schlecht abzutun. Systemisch betrachtet gibt es gar kein Gut und Schlecht, weil alles immer kontextabhängig ist. Die Dinge sind dann gängig (viabel), je nachdem, ob es zu einem gewünschten Ergebnis beiträgt oder nicht. Und zu viel auf einmal und zu schnell zu wollen, hilft in der Regel nicht weiter. Das Gras wächst nicht schneller, wenn Sie daran ziehen!

Stellen Sie sich einmal vor, Sie würden einen Führungskulturprozess anstoßen über einen geplanten Zeitraum von 5-6 Monaten mit der Entwicklung eines Wertebildes mit Wertekriterien, einer Führungsleitlinie mit konkret beschriebenem Soll-Verhalten und einem genau dazu passenden Kompetenzmodell mit 15-20 zum Soll-Verhalten stimmigen Kernkompetenzen in drei Kompetenzfeldern, die je mit einem Steckbrief beschrieben sein werden. Eine Arbeitsgruppe von 15-20 Führungskräften ist kontinuierlich mit der Erarbeitung beschäftigt und weiß, dass die Ergebnisse Grundlage sein sollen für einen nachhaltigen Kulturentwicklungsprozess mit Nutzung der entstehenden Ergebnisse. Ein weiteres Resultat des Projektes soll ein konkreter Umsetzungsplan für die 2-3 Folgejahre sein inkl. einem Trainings- und Coachingprogramm. Wenn nun im laufenden Prozess noch vor Vorlage der Projektergebnisse ein weiteres Unternehmen „nebenher“ beauftragt würde für Führungstrainings, weil das Abwarten bis zum Vorliegen der Projektergebnisse zu lange dauert, wäre leicht nachzuvollziehen, dass die Projektgruppe jede Lust und Motivation am Projekt verlieren wird, weil sie sich und ihre Arbeit nicht mehr ernst genommen fühlt. Außerdem sind die Ergebnisse des Prozesses schon entwertet, bevor sie überhaupt vorliegen können.

Geduld neu lernen

Sie erinnern sich, wie Sie früher für einen Aufsatz in die örtliche Stadt- oder Universitätsbibliothek gehen mussten und Ihre Wunschliteratur heraussuchten. Wenn Sie Glück hatten, war diese verfügbar, und wenn etwas verliehen war, mussten Sie eben warten. Heute recherchieren Sie alles innerhalb weniger Millisekunden im Internet. Sie bekommen jedes Obst oder Gemüse zu jeder Zeit im Supermarkt und müssen nicht auf die nächste Jahreszeit warten. Mit dem Flugzeug sind Sie in kurzer Zeit an fast jedem Ort der Welt, während das Reisen früher Tage oder gar Wochen dauerte. Wir haben diese Erfahrungen generalisiert: Alles muss jetzt und jederzeit zur Verfügung stehen oder erreicht werden. 

Ein Grund für die eigene Ungeduld sind die elterlichen Antreiber, die wir seit Kindesbeinen verinnerlicht haben (Quelle: Führen im Wandel (2), Drauschke et al., medhochzwei Verlag, 2016, S. 40-42, 73). Das Modell der Antreiber entstammt der Transaktionsanalyse nach E. Berne mit den beiden Eltern-Ichs, dem Erwachsenen-Ich und den drei Kind-Ichs. Ein Antreiber entsteht durch das Aufnehmen von elterlichen Botschaften, wobei hier „Eltern“ auch stehen kann für andere bedeutsame Personen in der Kindheit. Ein Antreiber heißt „Sei schnell“ (weitere Antreiber sind „Mach es allen recht“, „Sei stark“, „Streng Dich an“, „Sei perfekt“). Die meisten von uns haben einen oder mehrere Antreiber so stark ausgeprägt, dass daraus Überzeugungen werden, sogenannte Glaubenssätze, die unbewusst unser Verhalten prägen und auf diese Weise auch zur Unzeit Entscheidungen und Umgangsformen hervorbringen, die der Sache nicht dienlich sind. Doch „man“ kann sozusagen nicht anders, weil es der eigenen Natur entspricht. Ein wichtiger Weg zur Selbsterkenntnis ist, sich dieser Antreiber und Glaubenssätze bewusst zu werden als Teil des unbewussten, wirklichkeitsgenerierenden internen Betriebssystems, wie wir es gerne nennen. Wenn Sie dann noch den „inneren Beobachter“ installiert haben, dann wird es vorkommen, dass Sie den Impuls Ihres Antreibers oder Glaubenssatzes (z.B. „es muss immer alles ganz schnell gehen“, „ich brauche immer alles sofort und gleich“, „langsam ist schlecht und Geduld habe ich keine, und das ist auch gut so…“ etc.) wahrnehmen, doch über die Flexibilität und Freiheit verfügen, dieser inneren Stimme in der gegebenen Situation zu folgen – oder auch nicht. Unser Trainer hat einmal zu uns gesagt, dass derjenige in einer Situation obsiegen wird, der flexibler ist als andere. Die größten Einschränkungen Ihrer Flexibilität kommen aus Ihnen selbst.

Daran zu arbeiten lohnt sich sicher und ist einer der wichtigen Curriculuminhalte beim Ausprägen der Individualkompetenz (Selbstführung), was der Schwerpunkt unseres Business-Retreat Seminars ist.

Halten wir es also am besten mit dem schönen Zitat von Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach: „Wer Geduld sagt, sagt Mut, Ausdauer und Kraft“!

Pia Drauschke und Stefan Drauschke im Dezember 2019