Interview: Changemanagement und Führung im Gesundheitswesen

Sven C. Preusker: Changemanagement – was ist das eigentlich?

Dr. Stefan Drauschke und Pia Drauschke: Wir verstehen darunter das Managen von Veränderungsprozessen in den für  die Veränderung  typischen Phasen, die u.a. Prof. J. Kotter mit seinen acht Schritten plastisch beschrieben hat. Wichtig ist zu unterscheiden das „Managen von Prozessen“ – oder Systemen-  von dem „Führen von Menschen“. Die Mitarbeiter im Unternehmen brauchen im Change-Prozess sehr wohl Führung, doch das ist kein Changemanagement im engeren Sinne.  Hierbei ist eher wichtig, den Veränderungsprozess an sich zu designen, was macht man wann, was zuerst, was dann und in welcher Reihenfolge am besten. Welche Teile des (sozialen) Systems bezieht man in welcher Weise mit ein, wie viel Partizipation möchte man zulassen etc. Aus diesen Überlegungen folgt ein spezifisches Changedesign für ein Changeprojekt, das es ebenso zu steuern und zu managen gilt wie jedes andere Projekt auch. 

Die Führung im Change-Prozess ist zu vergleichen mit Führung in anderen Kontexten, man führt gewöhnlich mit Zielen oder von einem bisherigen Systemzustand in einen neuen. Unser aktuelles Buch, das noch in diesem Jahr im medhochzwei-Verlag erscheinen wird, befasst sich sowohl mit Führung im Change als auch mit Changemangement und wird beide Themenbereiche sowohl theoretisch als auch praktisch vertiefen.

Preusker: Von der Theorie zur Praxis – was ändert sich, wenn Sie mit einer Geschäftsführung, einem Vorstand oder einem Kunden  gearbeitet haben? 

Drauschke: Sie wissen ja, der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist in der Praxis meistens größer als in der Theorie! Doch Spaß beiseite … 

In der Regel sorgen wir dafür, dass ein gemeinsames  Verständnis vom wohin und vom wie aufwächst, und zwar  möglichst unter Beteiligung der Leistungsträger und weiteren Führungskräfte im Sinne eines gemeinsam getragenen Zukunftskonstruktes. Ziele und Maßnahmen stehen fest und es erscheint klar, wie genau der zukünftige Zustand sein wird und vor allem bewerten die Beteiligten diesen Zustand als attraktiv. Allerdings trägt unser Prozessvorgehen auch zur Rollenklarheit bei, wer hat welche Verantwortung bei der Veränderung, was ist der Anteil eines jeden einzelnen. Auch eine Art Mediation ist i.d.R. erfolgt. Wenn die Gruppe daran arbeitet, wie sich das Unternehmen zukünftig ausrichtet, dann polarisiert das auch. Manche Teilnehmer erheben Einwände, dass dieses und jenes nicht passt, oder sie erkennen, dass die eingeschlagene Richtung nichts für sie ist. Die dann von uns gestellte (systemische)  Frage, was sein müsste, damit man wieder voll dabei wäre, führt häufig zu guten neuen Ideen und Perspektiven – oder aber zur Erkenntnis, dass es doch besser ist, lieber zukünftig woanders wirksam zu werden. 

Preusker: Gibt es konkrete Beispiele dazu, die Sie nennen können?

Drauschke: Bei einem Strategieprozess in einer Universitätsklinik sind wir auf der feierlichen Abschlussveranstaltung, bei der die komplette Strategie mit einer Unterschrift der beteiligten ca. 80 medizinischen und nicht-medizinischen Führungskräfte in Kraft gesetzt worden ist, direkt bei einem Glas Sekt von einem Teilnehmer angesprochen worden. Unser Gesprächspartner – eine am Strategieprozess beteiligte Führungskraft – hat erkannt, dass ein Detail in der dritten Zielebene direkt von einer eigenen in den Prozess persönlich eingetragenen Idee stammt. Das fiel ihm auf und war ihm immens wichtig. Hier wurde offenbar die vielen Menschen innewohnende „Selbstwirksamkeitserwartung“ im besten Sinne aktiviert und damit das Commitment für die ganze Strategie unterstützt.  In einem anderen Prozess hatten wir es mit einer ziemlich erbittert Widerstand leistenden Leitungskraft zu tun, die trotz der  wiederholt gestellten Frage, was denn anders sein müsste, damit er wieder ganz an Bord wäre, mit uns in keinen konstruktiven Dialog gekommen ist. Ihm selbst wurde dabei mehr und mehr klar, dass sich sein Umfeld im Uniklinikbetrieb mit seinen aktuellen Anforderungen so sehr verändert hatte, dass es für alle Beteiligten besser wäre, wenn er sich ein neues Wirkungsfeld suchen würde. 

Preusker: „Führen im Wandel“ heißt Ihre Kolumne in der Zeitschrift „Klinik Markt inside“ – was sind die Strömungen im Bereich der Unternehmensführung im Gesundheitsbereich, die diesem Wandel unterworfen sind?

Drauschke: Zunächst ist es der stete Wandel auf der Ebene der TOP-Führungskräfte im Gesundheitswesen an sich. Die Halbwertszeit der Geschäftsführer und Vorstände in deutschen Krankenhäusern und Unikliniken hat sich in den letzten Jahren dramatisch reduziert mit dem Risiko, dass mehr und mehr kurzfristig wirksame Strategien entwickelt und umgesetzt werden und die nachhaltige Entwicklung auf der Strecke zu bleiben droht. 

Wichtige Strömungen sind allerdings vielmehr die eher langfristig zu bearbeitende Arbeitgeberattraktivität und die damit im Zusammenhang stehende Führungskultur im Unternehmen. Beides sind Schlüsselfaktoren für die Wettbewerbsfähigkeit vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und des Generationenwechsels bei den Arbeitnehmern.  Beide Themen sind nur mit längerfristig angelegten Maßnahmen zu verändern, bei denen die Führungskräfte mit gutem Beispiel voranzugehen haben. Letztendlich gilt noch immer:  Jeder Chef hat die Mitarbeiter, die er verdient, und die Mitarbeiter kommen zum Unternehmen und verlassen ihren Chef. 

Preusker: Und wo sehen Sie den größten Bedarf für Wandel in der Unternehmensführung?

Drauschke: Unterschiedliche Menschen haben unterschiedliche Bedürfnisse an Führung. Allein danach zu fragen und Führung situativ und individuell unterschiedlich zu gestalten ist schon eine Herausforderung für viele Führungskräfte. Gute Führung ist zu differenzieren in die (logischen) Ebenen Verhalten, Können und Überzeugungen/Werte und hat ihre Wurzel  in der Ebene der Identität als Führungskraft – und nicht als Fachexperte oder als Arzt! 

Wir halten es für wesentlich, basierend auf der bestehenden Unternehmenskultur, ein Konstrukt von „guter Führung“ gemeinsam mit den Führungskräften und Mitarbeitern zu erarbeiten  und auf allen drei genannten Ebenen unternehmensspezifisch zu beschreiben. Dies wäre dann eine sehr brauchbare Grundlage sowohl für die zielgerichtete Personalentwicklung als auch für den „cultural change“  der Folgejahre. Bei allem gilt allerdings, dass die Vorbildwirkung der Führungskräfte wesentlichen Einfluss auf die Führungskulturentwicklung ausübt. Gute Führung muss für den Chefarzt, die Pflegedienstleitung oder für die Führungskräfte aus der Verwaltung oder aus dem Servicebereich dieselbe Verbindlichkeit haben wie für den Vorstand oder die Geschäftsführung. 

Spielregeln, wenn man sie einmal aufgestellt hat, sind im Unternehmen unteilbar. Und wenn mehr Mitarbeiter im Unternehmen tun, was sie sollen und was das Unternehmen voranbringt, ist der Erfolg kaum noch zu vermeiden!

Sven C. Preusker

Quelle: medhochzwei Verlag GmbH, http://www.medhochzwei-verlag.de/index.php?id=148&tx_ttnews[tt_news]=3301&cHash=4d416debf89927cf86f37694645dd364