Mit Fragen Führen 2

Der NextHealth Change-Brief Nr. 16

Mit Fragen Führen (Teil 2)

Die Art und Weise, wie Sie mit verschiedenen Arten von  Fragen ein Gespräch und auch Menschen  führen können, ist vielfältig. Dass es offene und geschlossene Fragen gibt, ist bekannt? 
Die geschlossenen lassen  nur ein „ja“ oder ein „nein“ zu und sind nicht dazu geeignet, in ein längeres, gutes Gespräch zu kommen, sie wirken dazu etwas spröde und oft von oben herab. Kennen Sie auch noch mehr Möglichkeiten, mit Fragen Wirkung zu erzielen? Sie merken schon, offene  Fragen bieten einen anregenden Dialog an.

Als systemische Coaches möchten wir Sie heute in die weite Welt der systemischen Fragen einladen, die dazu noch geeignet sind, die Selbstkompetenz  zu steigern. Kurz noch einmal zu Erinnerung: Das systemische Modell geht nicht von einer linearen Ursachen-Wirkungsbeziehung beispielsweise zwischen Sender und Empfänger aus, sondern von einer komplexen Beziehung aller Systembeteiligten untereinander, in denen der Beobachter oder auch der Fragende Teil eines Systems mit einer Vielzahl von Akteuren wird und Einfluss ausübt.  Auf diese Weise werden direkt und indirekt und oft unter Einbeziehung Dritter Wirkungen angestoßen, die Bewegung in festgefahrene Gedankenwelten bringen können. Fragetechniken aus der systemischen Beratung helfen, bei Mitarbeitern oder Gesprächspartnern wie Coachees Handlungspotenziale freizulegen, die diese zu neuen Sichtweisen führen und sogar  aus einem negativen, teilweise generalisierten Emotionssumpf herausziehen können (das geht nicht, das kann ich nicht, alles ist schlecht …).

Besonders geeignet und daher nachfolgend beschrieben sind:

  1. Metamodellfragen
  2. Hypothetische Fragen
  3. Hypothetische Fragen auf der Basis rekursiver Beschreibungen
  4. Zirkuläre Fragen
  5. Ausnahmefragen
  6. Die Wunderfrage
  7. Verschlimmerungsfragen
  8. Futur II-Fragen

1. Metamodellfragen

Eine Situation aus der Klinik: Ein Kind kommt in die Ambulanz und klagt über Bauchschmerzen. Der Arzt stellt Anamnesefragen: „Wo genau …,  wann genau …, wie genau …., wie oft ….“. Oder ein Mitarbeiter kommt zu Ihnen und klagt darüber, dass die Arbeit nicht zu schaffen ist.  Sie fragen als Chef: „ Welche Arbeit genau …, in welchem Zeitrahmen nicht zu schaffen …, wie genau  ist bisher die Erledigung angegangen worden ….“.  Diese Fragen erkunden die Wirklichkeit des  Gesprächspartners  und wollen die Lücke zwischen der ersten und der zweiten sprachlichen Metamodellebene so gut wie möglich schließen.

Das linguistische Metamodell nach N. Chomsky unterscheidet drei Ebenen der Sprache: Die Oberflächenstruktur, die Tiefenstruktur und eine vorsprachliche, tiefe persönliche Ebene.  An sich spiegelt sich hier die Treppe angefangen beim Sender vom Denken über des Meinen  zum Sagen wieder, bevor dann der Sprung der Kommunikation zum  Empfänger folgt zum Hören, Verstehen und Einverstanden sein bis zum (hoffentlich erwünschten) Tun. Zwischen der ersten und der zweiten sprachlichen Ebene gibt es in der Regel Verzerrungen, Tilgungen und Generalisierungen, die es zu entschlüsseln gilt.  Metamodellfragen erkunden die Oberflächenstruktur (was gesagt ist) und wollen mehr über die Tiefenstruktur in Erfahrung bringen (was gemeint ist). Dass dabei auch Veränderungen geschehen, liegt auf der Hand.  Ein Mensch, der meint, dass die Arbeit nicht zu schaffen wäre, sich also im ausweglosen Glaskasten wähnt und daher aufgibt und generalisiert („es ist nicht zu schaffen“) könnte über gute Fragen zu der Erkenntnis geführt werden, dass es vielleicht nur auf die  Art und Weise wie bisher nicht geht, aber anders durchaus gehen könnte. Auf diese Weise hat die Oberflächenstruktur (wie gefragt und verstanden wird) auch Wirkung auf die Tiefenstruktur (was gemeint ist). Neue Lösungen werden vielleicht erkennbar und der imaginäre Glaskasten öffnet sich wieder.  Das Modell des NLP (neurolinguistisches Programmieren) aus den 80iger Jahren, das auf systemischen (und hypno- und gestalt-) therapeutischen Konzepten aufbaut,  beruht zu großen Teilen auf diesen Prinzipien.  Die weiteren Fragetypen schließen sich nahtlos an und helfen generell, Starres wieder zu „verflüssigen“ und so neues Verhalten zu ermöglichen.  

2. Hypothetische Fragen:

„Angenommen, Sie könnten derzeit hier in Ihrer Klinik  völlig frei handeln und bestimmen – was würden Sie tun?“  Unsere Lieblingsfragen sind oft in Change-Projekten oder in Coachingsitzungen: „Was wäre, wenn …,“ , was man in der Fachsprache auch den „as if frame“ nennt, oder „Was müsste sein, damit, ….“,

Es  geht um das Umschiffen möglicher Blockaden, um neue Gedanken und Ideen und  um das Einnehmen veränderter  Sichtweisen oder alternativer Verhaltensweisen. Insofern findet das oben beschriebene  Metamodell mit den drei sprachlichen Ebenen auch hier weiterhin seine Entsprechung. Der Befragte kann neu denken, und zwar ganz geschützt sozusagen im geistigen Sandkasten. Der Handlungsspielraum und der Denkrahmen werden erweitert, Festgefahrenes wird in Bewegung gebracht. Man kommt geführt durch den Fragenden von fixen, unveränderbar erscheinenden Etikettierungen (traits)  zu selbst beeinflussbaren, veränderbaren Zuständen (states), und zwar unter deutlicher Förderung der Selbstkompetenz des Befragten. Dieses Wirkprinzip liegt fast allen systemischen Fragetechniken  zu Grunde und wird von uns daher nicht jedes Mal bei den folgenden Fragebeispielen wiederholt
 

3. Hypothetische Fragen auf der Basis rekursiver Beschreibungen:

„Angenommen, es wäre überlebensnotwendig, dass Sie und Ihre Kollegen zukünftig optimal zusammenarbeiten – was wäre Ihr persönlicher Beitrag?“

Der im systemischen Sinne so oft zitierte eigene Anteil  für alte oder neue Ergebnisse wird hier angesprochen. Linear-kausale Muster wechselseitiger Schuldzuschreibungen werden durchbrochen, die Verantwortung im System geht an alle Beteiligte.
 

4. Zirkuläre Fragen:

„ Wir haben uns über die letzte Stationsbesprechung ausgetauscht. Wie, glauben Sie, haben die Kollegen x,y,z die momentane Situation wahrgenommen? Was würde ein unsichtbarer Beobachter zu Ihrer/unserer derzeitigen Zusammenarbeit sagen?“

Hier wir eine Außenperspektive und neue Sichtweise eingeführt, die oft Verständnis beim Befragten weckt  für die Wahrnehmung und die Situation der Anderen. Dies bringt häufig neue Lösungsideen und führt aus der Eindimensionalität der eigenen Gedanken direkt in die systemische zusammenhängende Denkweise.
 

5. Ausnahmefragen:

Ein Mitarbeiter im ersten halben Jahr klagt über unhaltbare Zustände auf der Station, die Kollegen seien unmöglich zu ihm, nichts gelingt. Nach anfänglichen weiteren Erkundigungen über die Probleme (mit Metamodellfragen, was genau, wie genau, wann genau …) könnte dann die Frage kommen:

„Wann ist es Ihnen während der Probezeitging auch einmal gut gegangen? Wann hatten Sie das letzte Mal – während es generell hier schwierig ist, Spaß bei der Arbeit?“

Hier soll die Opferrolle des Mitarbeiters dekonstruiert werden und die Aufmerksamkeit  auf Lösungen statt auf Probleme gelenkt werden – wann war das Problem weniger. Im Fachjargon wollen wir  von der sogenannten „Problemtrance“ in die „Lösungstrance“ umlenken. Die Fokussierung auf positive Gefühlserlebnisse macht den Weg frei für neue Lösungen, für das bewusste Generalisieren von dem, was neben all dem Schlechten auch gut gelungen war, und auf den eigenen Anteil dazu. Dieser Ansatz stammt von den sogenannten hypnosystemischen Konzepten (Gunther Schmidt), wobei „hypno“ nicht „schlafen“ nach dem griechischen Wortstamm bedeutet, sondern sich auf Aufmerksamkeitsfokussierung bezieht, die hier oder dorthin gerichtet ist. Kurzzeittherapeutische Konzepte wie die von Steve de Shazer und Inso Kim Berg mit der bekannten Wunderfrage beruhen ebenfalls auf diesem Prinzip.
 

6. Die Wunderfrage:

Gleich im Anschluss an die Ausnahmefrage (s.o.) könnte die Frage folgen: „Stellen Sie sich vor, Sie wachen morgen auf, und bei Ihrer Arbeit auf der Station ist alles so, wie Sie sich das wünschen. Was genau würden Sie vorfinden?“

Hier wird eine neue, aktive Gedankenwelt konstruiert, die zum einen lösungsorientiert ist und zum anderen erlaubt, in der Folge nachzufragen, was der eigene Anteil daran sein könnte, dass es genau so werden konnte. Auf diese Weise erschließen sich neue Handlungsstrategien, die Zug um Zug umgesetzt werden können und dann Gegenstand weiterer, den Mitarbeiter durch den Chef coachende Gespräche sein können.

7. Verschlimmerungsfragen:

Eine Idee im Fall des in der Probezeit befindlichen Mitarbeiters könnte sein, vor der Wunderfrage noch eine Reverstechnik anzuwenden, nämlich vor der Lösung das „Schlimme“ auf die Spitze zu treiben, und danach zu fragen, wie alles noch viel furchtbarer werden könnte.

„Wenn wir beide  wollten, dass die Situation auf der Station noch schwieriger wird – was könnten wir tun, damit  es gänzlich unerträglich wird, was wären Ihr und mein Beitrag?“

Bei diesem durchaus provokanten Ansatz kommt es oft vor, dass die Übertreibung von Negativem der Situation eine gewisse Komik verleiht  und der Mitarbeiter sich eigener, wiederum ins positive gedrehter Handlungsoptionen und Einflussmöglichkeiten auf die eigene Situation bewusst wird.   Angstmuster können auf diese Weise unterbrochen werden. Hier begibt sich der Chef mit dem  Mitarbeiter gemeinsam  „in ein Boot“, was das Mentoren –Gefühl  fördert und Rückhalt bietet. Dies ist nicht Bestandteil der Revers-Technik, sondern eine von uns hier frei gewählte weitere Nuance.
 

8. Futur II-Fragen:

„Stellen Sie sich vor, zwei Jahre sind vorbei, und Sie haben Ihre Ziele erreicht – woran werden Sie sich erinnern wollen?“, oder „ …., was waren die wichtigsten Maßnahmen, die Sie damals (also heute) als erstes unternommen haben, um diese tolle Leistung vollbracht zu haben?“

Auch das ist ein Perspektivwechsel, diesmal in zeitlicher Hinsicht. Oft kommt es zu klareren Gedanken und neuen Ideen, aus der Vorstellung  der vollendeten Zielsituation in der Zukunft zurück zu blicken auf die heutige Gegenwart, um sozusagen von hier aus zu entscheiden, was die wesentlichen Maßnahmen und Erfolgsmuster (gewesen) sind.  Auf diese Weise werden leichter  Schritte in Richtung der Ziele oder der Lösung ausgehandelt und in die Handlung gebracht.

Das ist ein bunter Blumenstrauß  von Fragemöglichkeiten,  für die wir die Empfehlung aussprechen können, sie einfach Zug um Zug in verschiedenen Kontexten auszuprobieren. Ihre  Sicherheit kommt mit dem Tun, und wir wissen,  dass Sie mit jeder neuen spielerischen Anwendung systemischer Fragen mehr und mehr Freude mit der Vielfalt sprachlicher Interventionen haben werden – und ganz nebenbei Ihre Führungskraft immer weiter verstärken.

Dr. Stefan Drauschke, Oktober 2013

Erschienen in der KMi-Kolumne, Klinik Markt inside 18/2013