Strategischer Wandel in Echtzeit

Strategischer Wandel in Echtzeit (Strategiekonferenz RTSC)
… eine ganz besondere Form der Führungskräftekonferenz

Es hat sich schon herumgesprochen, dass wir mit NextHealth seit vielen Jahren bei Strategie- und Changeprozessen gerne auch mit großen Gruppen arbeiten. Die Großgruppe ist – systemisch betrachtet – die Repräsentation des Systems in einem Raum und die Arbeit in der Großgruppe ist ein wenig wie die am offenen Nervensystem der Gesamtorganisation. In der Regel folgen derartige Prozesse dem Top-Down-Bottom-Up-Prinzip und die Teilnehmer, meist Führungskräfte und weitere Leistungsträger, lassen die Ergebnisse in mehreren Schritten über einige Wochen reifen und sich entwickeln. Doch nicht immer ist die Zeit hierfür gegeben, manchmal muss es einfach schneller gehen, weil die Dringlichkeit so hoch ist oder Fusions- bzw. Sanierungsprozesse sehr zügig vorangehen müssen. Für diese Fälle gibt es ein Format, das zu den komplexeren gehört und daher umso gründlicher vorzubereiten ist: Die RTSC- Strategiekonferenz (Real Time Strategic Change nach Sylvia James & Paul D. Tochinsky), die wir im Folgenden ein wenig näher erläutern wollen.

Es handelt sich bei RTSC um eine 1,5- bis zweitägige Führungskräftekonferenz mit 30 bis 150 Teilnehmern, die einem bestimmten Muster folgt. Anwendungsgebiete von RTSC sind beispielsweise, wenn schnell ein Entwicklungssprung notwendig ist, dringende Verhaltensveränderungen und Richtungswechsel anstehen, beispielsweise im Bereich Wettbewerb, Strategie, Leistungsfelder oder IT-Systeme, oder Standards sich sehr zeitnah zu verändern haben. Bei aller Dringlichkeit ist die Voraussetzung, sich für das RTSC-Format zu entscheiden, vorab genügend Zeit und Budget in die Vorbereitung zu investieren und als Führung genau zu wissen, was man tatsächlich erreichen möchte.

Man involviert seine Führungskräfte in einer RTSC-Konferenz nicht mehr in die Ausgestaltung von Zielen, wie wir es in üblichen Strategieprozessen tun, sondern nur noch in den „letzten Schliff“ der „von oben“ vorgegebenen Ziele und in die weitere Umsetzungsplanung. RTSC folgt anders als andere Formate eher dem Top-Down-Ansatz und „nutzt“ immer eine gewisse Dringlichkeit und akute Engpässe als Einstiegshebel, um die Teilnehmer aus der Komfortzone in die Veränderung zu bewegen. Erst im Verlauf der Konferenz dreht die Stimmung ins Positive und aus der Engpassbetrachtung zu Beginn folgen Lösungen und der Aufbruch ins Neue im zweiten Teil. Dieser Ablauf erinnert an die vier Phasen der Veränderung von Lacoursière, worauf wir später noch einmal zurückkommen.

Der hohe Aufwand im Vorfeld der zweitägigen Konferenz besteht einerseits in einem vorab von einem engeren Kernteam genau auszugestaltenden Zielszenario, beispielsweise in Form eines Sanierungskonzeptes, und andererseits in der präzisen Planung der einzelnen Prozessschritte während der Konferenz, für die man wegen des intensiven Interventionscharakters häufig ein Redaktionsteam einberuft. Dieses besteht aus einem repräsentativen Querschnitt der Teilnehmer und trifft sich in den Wochen vor der Konferenz zwei- bis dreimal für zwei bis drei Stunden, um alle Einzelheiten, basierend auf den Vorgaben des Kernteams, genau zu planen. Hierzu gehören die glaubhafte und anschlussfähige Situationsanalyse, Zieldefinitionen, mögliche Maßnahmen, das Konzept der Veranstaltung in allen Einzelheiten und Prozessbausteine für die weitere Umsetzung. Doch kommen wir zur Konferenzgestaltung an sich. Die Prinzipien der RTSC-Konferenz bestehen darin, den Wandel simultan in Gang zu setzen, Beteiligung im großen Stil (= Großgruppenkonferenz) zu ermöglichen, mit der Realität und ihren Fakten aufzurütteln und mit einer gemeinsamen Informationsbasis Betroffenheit zu erzeugen. Identifikation mit einem Zielzustand als Lösung soll erreicht werden und damit der „Spirit“ erneuert werden auf der Grundlage einer wachsenden Gemeinschaft. Wie schon beschrieben folgt die Konferenz in ihren Phasen den sogenannten „vier Phasen der Veränderung“ bestehend aus Irritation, Frustration, Zögern und voller Entschlossenheit mit all den Gefühlen und Stimmungen, die mit diesen Phasen jeweils verbunden sind. Dieser Ablauf entspricht offenbar einem tief verankerten neurophysiologischen Veränderungsmuster, dem wir Menschen meist dann folgen, wenn ein echter Prozessmusterwechsel ansteht, sowohl im privaten als auch im beruflichen Leben (z.B. bei Jobwechsel, schwerer Krankheit, Beziehungskrisen, Umzug, Zusammenlegung von Bereichen etc.).

Abbildung 1: Die vier Phasen der Veränderung nach Lacoursière (Quelle: Lacoursière, R.B.: “The Life Cycle of Groups: Group Development Stage Theory”, Human Science Press, 1980.)

Die Kunst bei der Moderation einer RTSC-Konferenz besteht nun darin, diese vier Phasen in vier Schritten inhaltlich wie auch emotional mit den Teilnehmern innerhalb der zwei Tage zu durchlaufen, um echten Wandel in kurzer Zeit tatsächlich möglich zu machen. Im ersten Schritt geht es um das Aufrütteln und das Erzeugen einer gemeinsam verstandenen Informationsbasis. Nur wenn eine tragende Mehrheit der Teilnehmer den aktuellen Zustand als so unannehmbar empfindet, dass eine Änderung als unvermeidbar erkannt wird (von weg, „must change“), ist die Bereitschaft für Veränderung gegeben. Im zweiten Schritt geht es dann auf dieser Erkenntnisbasis um das neue Zueinanderfinden und im dritten Schritt um die Bearbeitung vorgegebener Ziele als akzeptable Lösung. Dieser Schritt ist schon deutlich in die Zukunft gerichtet. Erst im vierten Schritt, der meist am zweiten Tag erfolgt, ist mit breiter Akzeptanz und Zustimmung (Commitment) zu rechnen sowie mit einer Identifikation mit dem abgestimmten Zielzustand und der Arbeit an weiterführenden Maßnahmen.

Im ersten Schritt stellt sich das Redaktionsteam Fragen für die Vorbereitung. Dabei geht es darum, was im Team zu echter, persönlicher Betroffenheit führt, was aufrüttelt und die „Augen öffnet“, wo genau zur Zeit die größten Engpässe liegen und wie man diese Fakten so in Szene setzt, dass sie auch mit hoher Wahrscheinlichkeit ankommen und verstanden werden. Wir arbeiten hier gerne nicht nur mit den üblichen Powerpointcharts, sondern mit eingängigen Bildern, Filmsequenzen und dramaturgisch ausgefeilten Theaterelementen. Während einer Konferenz in einem Sanierungsprojekt hat beispielsweise ein Schauspieler und Trainerkollege mit einem „echten“ Chefarzt des Krankenhauses eine Szene gespielt, bei der die aktuellen Missstände und Probleme so schonungslos, alltagsnah und glaubwürdig auf den Tisch kamen, dass unter den Anwesenden sehr schnell klar wurde, worum es eigentlich geht. Es muss allen bewusst werden, wo das Unternehmen steht, wohin es driftet und was passiert, wenn nichts passiert. Es geht darum, auf einer gemeinsamen ehrlichen Informationsbasis die Dringlichkeit zu empfinden und selbst zu erkennen.

Im zweiten Schritt lenken diese inhaltlich und emotional gewonnenen Erkenntnisse die Aufmerksamkeit auf die Themen, die dringend anzupacken sind und bahnen den Weg, Zielvorschläge und Neuerung als (Er-) Lösungen wahrzunehmen und die Akzeptanz zu stärken. Die Leitfragen sind jetzt, was eigentlich am meisten am Erfolg hindert und wie andere das Unternehmen oder Teile davon wahrnehmen und darüber denken bzw. was sie tun würden. Was genau muss anders werden, damit es besser wird oder ein Überleben möglich ist? Der Schritt zwei ist bereits deutlich in die Zukunft gerichtet.

Der Übergang zum dritten Schritt ist fließend, jetzt werden Lösungen generiert oder von der Geschäftsleitung vorgegebene Lösungen (z.B. das Sanierungskonzept) vorgetragen und von den Teilnehmern bearbeitet. Meist gibt es einen Strategieentwurf 1.1 „top down“, der in der Konferenz „bottom up“ zu einer Version 1.2 überarbeitet wird mit Anregungen durch die Teilnehmer. Hier eignet sich als Format z.B. die Disney-Methode, nach der ein Konzept von den Teilnehmern aus den drei verschiedenen Perspektiven Visionär, Kritiker und Realist bearbeitet wird. Oft werden im Anschluss an den Tag eins der Konferenz die Ergebnisse dieser Phase am späten Abend von  der Geschäftsführung und einem Kernteam gesichtet und über die Verwendung von Ergebnissen wird umgehend entschieden.

Abbildung 2: Ablauf einer RTSC-Konferenz

Der vierte Schritt erfolgt dann am zweiten Tag, an dem die Geschäftsführung ihre Entscheidung nachvollziehbar an die Gruppe kommuniziert und häufig in der Gruppe das Gefühl aufkommt, dass man ein gutes Stück Arbeit mit guten Ergebnissen geschafft hat. Nun liegt der gemeinsam getragene Strategieentwurf 1.3 vor, der die Grundlage für die weitere Arbeit ist und die Ableitung konkreter, weiterführender Umsetzungsmaßnahmen in der Gruppe erlaubt. Die Stimmung ist meist positiv und hoffnungsvoll, es ist ein kreativer Gestaltungsraum eröffnet und die Verantwortung für die Umsetzung liegt nun vor allem in der Hand der Teilnehmer.

Vielleicht finden Sie diese Vorgehensweise ja so interessant oder befinden sich in einer vergleichbaren Ausgangslage, dass Sie den RTSC-Ansatz einfach einmal ausprobieren wollen.

Autoren:
Dipl. Vw. Pia Drauschke und Dr. med. Stefan Drauschke
(Klinik Markt inside, März 2016, Seiten 10-13) Für weiterführende Literaturhinweise stehen Ihnen die Autoren gern zur Verfügung, E-Mail: info@nexthealth.de