Tip-Großgruppenkonferenzen

„Die Arbeit in großen Gruppen ist außerordentlich wirksam und schafft direkt den Zugang zum offenen „Nervensystem“ der ganzen Organisation. Große Chancen und mögliche Risiken setzen beste Vorbereitung und hohe Professionalität voraus sowie eine Führung, die weiß, was sie will und wie viel Offenheit sie vertragen kann!“

Eine wirksame Metastrategie für Veränderung ist die Anwendung von Transparenz, Konsequenz und Mitwirkung im Unternehmen. Letztere ist in einem konsequenten Top-Down und Bottom Up- Entwicklungsprozess zu verwirklichen, und zwar am besten durch die Integration von Großgruppenarbeit in die Kommunikationskultur des Unternehmens. Immer dann, wenn wesentliche Veränderungen in kurzer Zeit anstehen, von denen die ganze Organisation oder ein Teil davon betroffen ist, sind Großgruppenkonferenzen eine wichtige und brauchbare Methode. Niemals sind sie ein singuläres Event, sondern immer Teil eines vor- und nachgelagerten vielschichtigen Veränderungsprozesses.

Die gängigsten Großgruppenformate kommen aus den USA und sind seit 10 bis15 Jahren auch in Europa mehr und mehr etabliert. Zur Familie der Großgruppenkonferenzen gehören Methoden wie World Cafe (Kreativitätsmethode nach Juanita Brown & David Isaacs), Wertschätzende Erkundung (Appreciate Inquiery, nach David Copperrider & Diana Whitney), Zukunftskonferenz (Future Search nach Marvin Weisbord & Sandra Janoff) oder die Strategiekonferenz (RTSC, Real Time Strategic Change nach Sylvia James & Paul D. Tochinsky), die jeweils einer eigenen Dramaturgie folgen sowie für unterschiedliche Phasen und Anlässe im Veränderungsprojekt geeignet sind.

Die Konferenz dauert ein bis drei Tage. Es nehmen je nach Großgruppenmethode 20 bis1000 Menschen teil, und zwar in der Regel berufsgruppen- und hierarchieübergreifend, sie sind nicht (nur) für Führungskräfte). Das Thema muss für alle relevant und interessant sein sowie von aktueller Bedeutung, der Wandel erfolgt simultan und nicht zeitversetzt (im Gegensatz zu einer Vielzahl von Kleinworkshops zu unterschiedlichen Zeiten verteilt im Unternehmen). Wertvoll ist, dass die Ergebnisse von den Individuen getragene Entscheidungen der ganzen Gruppe sind, Dies ist einer der Hauptgründe dafür, dass schnelle, umfassende Veränderungen im Gesamtunternehmen mit Großgruppenkonferenzen möglich sind.

Die gründliche Vorbereitung solcher Konferenzen ist wichtig und entscheidend für den Erfolg. Insbesondere Veranstaltungen mit dem Charakter der Intervention können das System der Organisation tief berühren , und benötigen intensive Vorarbeit und große Achtsamkeit. Hierzu gehört die Klärung der Ziele mit dem Auftraggeber, die passende Abstimmung der Konferenzform und -dramaturgie mit der Unternehmenskultur und dem Veränderungsprozess im Unternehmen an sich und das Einbeziehen einer Teilmenge der Konferenzteilnehmer in die Planung des Ereignisses mit mindestens zwei Treffen (Redaktionsteam). Ein Kernteam ist für die organisatorische und inhaltliche Arbeit im Vorfeld der Konferenz verantwortlich und ist zumeist schon Wochen vor der Konferenz mit dieser intensiv befasst. Zum „Vorbereitungsorganigramm“ gehören demnach zusätzlich zum Auftraggeber das Redaktionsteam und das Kernteam, wie in der Abbildung zu erkennen ist.
 

Der Auftraggeber sollte wissen, was er will und was das Ziel der Konferenz ist, und intern hinter den anstehenden Veränderungen stehen und sich über die Offenheit und Unvorhersehbarkeit der Ergebnisse im Klaren sein. Eine gute Konferenz lebt von unsichtbarer Perfektion, der umfassenden Kommunikation im Vorfeld der Veranstaltung, dem gründlich und wertschätzend aufbereiteten Raum und der unaufdringlichen Moderation, die mit den Kräften, Emotionen und Stimmungen der großen Gruppe umzugehen weiß.
Die Ergebnisse sind anschließend präzise aufzubereiten, den Teilnehmern schnellstmöglich als Protokoll zur Verfügung zu stellen und nach möglichen Entscheidungen der Leitung im ganzen Unternehmen zu kommunizieren. Der Nachlauf der Konferenz und die Berücksichtigung der Ergebnisse im Change-Prozess ist mindestens so wichtig, wie die Konferenz an sich, da sonst das bei den Teilnehmern geschaffene und ins Unternehmen ausstrahlende Momentum verebben könnte. Zukünftige Veränderungen würden dann schwieriger, die „Lähmschicht“ dicker werden. Insofern setzt eine Großgruppenkonferenz das uneingeschränkte Commitment der Leitung voraus, wirklich und mit aller Wirksamkeit handeln zu wollen – und zu können.

Veränderung setzt Veränderungsbereitschaft und das als dringlich erlebte Gefühl voraus, dass sich „hier wirklich etwas tun muss“. Zu Beginn des Change-Prozesses ist daher das „World Cafe“ als Setting gut geeignet, um erste Ideen zu generieren und die wichtige Einsicht der Großgruppe – als Querschnitt der Mitarbeiterschaft im Unternehmen – für die Notwendigkeit und Möglichkeit des Vorhabens zu schaffen. Die Zukunftskonferenz (future search) verbindet dann die Vergangenheit und derzeitige Herausforderungen mit einem Zukunftsentwurf, der anschließend in Kleingruppenarbeit ausgearbeitet und vertieft werden kann. Auf der Impulskonferenz (open space technology) können Ziele und die Vision einleitend vermittelt und Maßnahmen und Ideen für die Umsetzung generiert werden. Die Strategiekonferenz (real time strategic change) ist schließlich das Mittel der Wahl, um notwendige Veränderungsschritte klar zu kommunizieren, gemeinsam daran zu arbeiten und noch auf der Konferenz zu konsentieren. Anschließend wird miteinander an der Umsetzung der Veränderung gearbeitet. Die vertiefte Betrachtung der einzelnen Konferenzformen wird Gegenstand eines der nächsten Praxistipps sein.

Immer sind gründliche Vor- und Nachbereitungen, verbunden mit der Achtsamkeit und Wertschätzung der Menschen im Unternehmen, entscheidend für den Erfolg. Die Teilnehmer sollen auf den Konferenzen immer eine echte Gelegenheit haben, ihre Ideen und Anregungen einzubringen und persönlich auf den Veränderungsprozess einzuwirken. Dass letztendlich die Leitung Entscheidungen trifft, auch darüber, welche Ergebnisse Verwendung finden und welche nicht, ist nicht nur legitim, sondern im Allgemeinen auch die Erwartungshaltung der Mitarbeiter, die sich eine starke und faire Führung für den Erfolg Ihres Unternehmens wünschen.

Dr. Stefan Drauschke