Übernehmen oder Integrieren? (Change-Brief Nr. 68)

Wie es gelingt, nach dem Zusammenführen von Abteilungen oder Standorten an einem Strang zu ziehen

Wie oft kommt es vor, dass nach Übernahmen oder Abteilungszusammenlegungen die Leistung einbricht, ungewollte Kündigungswellen zu registrieren sind und die einst gesteckten Optimierungsziele nicht oder erst sehr spät erreicht werden. Wir wollen in diesem Beitrag dem Phänomen nachspüren, Gründe nennen und vor allem Lösungen, wie leichter bessere Ergebnisse erreicht werden können.

7 Gründe für das Scheitern von Integration (PMI = Post Merger Integration) …

Die nachfolgende Liste beruht auf der empirischen Untersuchung von 115 großen Unternehmensfusionen (A.T. Kearney, 1998). Sie nennt sieben der wichtigsten Gründe für das Scheitern von Fusions-/Übernahmeprozessen:

  1. Zu starke Konzentration auf bisherige Unternehmensstrukturen statt auf neue Geschäftsprozesse
  2. Konkurrenz um leitende Positionen
  3. Zielkonflikte zwischen neu zusammengelegten Unternehmensbereichen
  4. Übergehen von Interessen der Mitarbeiter
  5. Missachten von Wechselwirkungen im Prozess der Integration
  6. Langwierigkeit des Integrationszeitraums (Unterschätzung des notwendigen Zeitbedarfs)
  7. Mangelnder Respekt vor Details (Integrationskonzepte zu grob)

… und was zu beachten ist.

Hierzu möchten wir aus systemischer Sicht folgendes ausführen. Integrationsprozesse nach Übernahmen sind klassische systemische Prozesse, in denen Wechselwirkungen zwischen Systemelementen und die Beeinflussung derselben entscheidend für Veränderungen sind. Für wesentlich halten wir, die eigene „DNA“ – die wesentlichen Grundelemente – der Unternehmenskultur gut zu kennen und beschreibbar zu machen in allen Ebenen. Es geht dabei dem Unternehmenskulturmodell von E. Schein folgend um die wahrnehmbaren Elemente der Kultur (Regeln, Umgangsformen, Corporate Design, Verträge etc.), die beschriebenen und auch die nicht ausgesprochenen Werte (was wirklich bedeutsam ist, was als wichtig gilt) und die Überzeugungen/Glaubenssätze (was man generell im Unternehmen denkt, was uns ausmacht, was limitiert). Was macht uns als Unternehmen oder als Standort aus, was ist der „Spirit of…“?!

Abb. 1: Das Unternehmenskulturmodell nach E. Schein, Quelle: Albrecht/Drauschke/Drauschke (Hrsg.): „Changemanagement und Führung im Gesundheitswesen“, 2016, medhochzwei Verlag GmbH Heidelberg

Gleichzeitig halten wir es für bedeutsam, die Menschen und die bestehende Kultur im übernommenen Haus oder der zu verschmelzenden Abteilung zu verstehen und vor allem wertzuschätzen, um auf dieser Basis zu einem Integrationsprozess einzuladen und daraus Neues entstehen zu lassen, das sich an der bisherigen Kultur Ihres Hauses (wie) und Ihrer Strategie (wohin) orientiert. Wenn Sie es eilig haben, dann gehen Sie langsam, echte kulturelle Veränderungen brauchen Zeit!

Integration sollten Sie als Angebot an die Menschen formulieren. Identifizieren Sie die „richtigen“ Führungskräfte, nämlich die, die wirklich Leistungsträger sein wollen und mitmachen. Binden Sie diese aktiv in den Integrationsprozess ein und in die Entwicklung eines „wie und wohin“. Die richtigen Führungskräfte erkennen Sie daran, dass Sie geneigt wären, bei einem Neugründungsansatz diese von sich aus gerne einstellen zu wollen. Von den anderen trennen Sie sich wenn möglich zügig oder versetzen Sie sie in eine Position, an der sie keinen oder wenig Schaden stiften können.

Entwickeln Sie einen Prozess, der Energien freisetzt und Vertrauen schafft anstelle von „Siegern und Besiegten“, was nicht selten bei Übernahmen der Fall ist. Glauben Sie nicht, dass es mit der Einführung und Verwendung Ihres Corporate Designs getan wäre. Eine alte Weisheit der Zen-Bogenschützen besteht darin, dass man „daneben zielen“ müsse, um letztlich zu treffen. Fordern Sie nicht vordergründig die Integration ein, sondern arbeiten Sie gemeinsam, partizipativ und interaktiv an attraktiven Entwicklungszielen im Sinne eines zukünftigen und zukunftsfähigen Zustandes. Was macht das Unternehmen im Jahr 202x aus, wer, was und wie werden wir dann sein, was werden wir erreicht haben, wie gehen wir miteinander um, wie führen wir? Bei dieser gemeinsamen Entwicklung eines Zukunftskonstruktes in einem gegebenen Rahmen können Sie alle Dimensionen der Balanced Scorecard (BSC) berücksichtigen (Mitarbeiter/Kultur, Prozesse, Markt/Leistung, Struktur und Finanzen) und damit eine umfassende und messbare Vorstellung erzeugen des „wohin“. Ein solcher gemeinsamer partizipativer Strategie- und Führungskulturprozess ist dann gleichzeitig der Kernprozess für die Integration im Sinne des gemeinsamen Findens attraktiver Ziele und der Identifikation mit denselben auf der Grundlage echter Mitwirkung. Das ist die eigentliche Basis für das Aufwachsen von Identifikation mit Ihrem Stammunternehmen oder der aufnehmenden Abteilung. Integration ist auf diese Weise eine quasi kaum vermeidbare „Nebenwirkung“ für die, die mitmachen. Und wer sich dem Prozess entzieht wird auch bemerkt.

Es ist wichtig, Synergien zu identifizieren und effizient zu nutzen und nicht versehentlich durch „Anti-Synergien“ (menschliches Gegeneinander, nicht wollen etc.) zu konterkarieren. Decken Sie daher konsequent die erwarteten und erhofften Synergien ebenso auf wie die zu befürchtenden Anti-Synergien mit dem Ziel, konsequent Klarheit zu schaffen. Wenn dies geschehen ist, dann können Sie damit umgehen, einen Handlungsplan erstellen und nach einiger Zeit messen und auch kommunizieren, welche Ergebnisse Sie im Feld der Synergienutzung erreicht haben, die oft vorab wichtige Argumente gewesen sind, den Merger überhaupt anzustreben.

Denken Sie daran, dass Vertrauen und Integration wachsen muss wie ein Bart: Er wächst nicht schneller, wenn man daran zieht, und wenn er abgeschnitten ist, braucht es lange für ein Nachwachsen. Integration kann man nicht erzwingen, sondern sie entsteht im Verlaufe einer vertrauensvollen Zusammenarbeit im Prozess – für jeden der das möchte. Die Veränderung der Kommunikation im System und die Arbeit in Großgruppenkonferenzen (das System in einem Raum) unterstützen und beschleunigen diesen Prozess erheblich und sind zu ergänzen mit der Arbeit in kleineren themenzentrierten Gruppen und Einzelcoachings. Gleichzeitig bauen Sie das von Kotter bereits geforderte „Duale Betriebssystem“ auf (Quelle: Drauschke/Drauschke/Schade, „Führen im Wandel (2) – Die neuesten Kolumnen über Kommunikation, Führung und Changemanagement“, 2015, medhochzwei Verlag GmbH Heidelberg; *Kotter, J.: Accelerate. Building strategic agility for a faster moving world., Harvard Business Review Press, 2014.), das ohnehin die Grundlage für agile Organisationen und Wandlungsfähigkeit auch in der Zukunft ist.

Elemente eines NextHealth-Integrationsprozesses

Integrations-Audit
In der Regel starten wir mit Einzelinterviews von Führungskräften aller Ebenen und Berufsgruppen durch geschulte Integrationscoaches sowohl für die Aufnahme von Informationen als auch für das Setzen von Interventionen für den nachfolgenden Prozess. Wo werden sich Synergien nutzen lassen, wo nicht? Wo sind Anti-Synergien zu befürchten? Wer ist an Bord und wer hat eher andere Pläne?

Veränderungskoalition
Nur wer über den Rahmen, die Mittel und die Vorgaben für die anstehende Veränderung entscheidet und intern über genügend Hausmacht und Einfluss verfügt, kann einen Integrations- und/oder Changeprozess steuern und umsetzen. Und nur wenn die Initiatoren der Veränderung gemeinsam an einem Strang ziehen und gewillt sind, Veränderungsziele zu definieren und auch gemeinsam umzusetzen, wenn sie sich als Change-Team verstehen und danach konsequent handeln, hat die  Veränderung auch bei den immer zu erwartenden Widerständen Aussicht auf Erfolg. Die Veränderungskoalition sollte aus Führungspersonen des übernehmenden und von veränderungswilligen Personen aus dem übernommenen Haus bestehen.

Strategie-Integration (Strategie = Metaprogramm)
Es ist jetzt an der Zeit, einen partizipativen Top-Down-Bottom-Up Strategieprozess aufzusetzen mit verschiedenen Kreisen im Unternehmen, die alle Menschen im ganzen System integrieren und damit das oben beschriebene „duale Betriebssystem“ entstehen lassen (siehe vorherige Quelle). Jetzt werden unter Berücksichtigung der Ausgangslage konkrete gemeinsame Ziele erarbeitet – was die Entscheidung gegen Alternativen und auch das Loslassen vom Bisherigen beinhaltet –  sowie Kennzahlen, Maßnahmen, Roadmap etc… Parallel dazu arbeitet ein Integrationsteam des Übernehmers mit dem lokalen Management an Details der strategischen Ausrichtung und der Integration von Tertiärdienstleistungen wie IT, Controlling, Reporting, FM etc. Zusätzlich sind Projektgruppen zu bilden, die an der Umsetzung einzelner Themen im System arbeiten. Die Arbeit und die Ergebnisse der Großgruppen und der Projektgruppen sind eng zu verzahnen; sie beeinflussen und bereichern sich wechselseitig.

Abb. 2: Elemente eines NextHealth-Integrationsprozesses

Kultur-Integration
… beginnt bereits während des partizipativen Strategieprozesses. Aus zwei Kulturen formt sich i.d.R. eine Dritte, die nahe an der „DNA“ des übernehmenden Unternehmens sein sollte. Dabei ist auch eine der Leitfragen „Wie kann man das Beste aus beiden Welten bewahren?“, denn Subkulturen sind in gewissem Rahmen normal und finden sich in großen Unternehmen immer – und können auch sehr belebend und wechselseitig befruchtend sein.
Die drei Ebenen des Unternehmenskulturmodells von E. Schein (s.o.) sind zu berücksichtigen. Eine Integration auf der obersten Ebene der „wahrnehmbaren Elemente“ genügt keinesfalls, es geht immer auch um die proklamierten und unbewussten Werthaltungen sowie um kollektive Überzeugungen und Glaubenssätze.

Struktur-Integration
Doppelstrukturen sind zu vermeiden, Loyalität und konstruktive Kritik sind willkommen. Ein Ergebnis ist auch: Wer bleibt, wer muss gehen? Offene Stellen sind zügig neu zu besetzen, damit kein störendes Vakuum entsteht und das Momentum des in Gang gekommenen Integrationsprozesses erhalten bleibt. Ein funktionierendes „Metaprogrammmanagement“ wird aufgesetzt zur Steuerung des strategischen Umsetzungs- und Integrationsprozesses bestehend aus strategischem Projektmanagement, strategischem Controlling und strategischer Kommunikation.

Auf diese Weise können Sie gleich mehrere Effekte auf einmal generieren: Sie integrieren, gleichzeitig entwickeln Sie eine tragfähige und akzeptierte Strategie für die neu geschaffene Einheit und stoßen einen Cultural Changeprozess an, der bei der beschriebenen Vorgehensweise mit Sicherheit auch im übernehmenden Unternehmen zu Reflektion, Befruchtung und Entwicklung führt.

Pia Drauschke und Stefan Drauschke, im September 2017

Erschienen in: Klinik Markt inside, 18/2017 vom 25.09.2017, Seiten 11-14