Warum wird man als Arzt Berater?

Immer mehr ÄrztInnen arbeiten nicht in ihrem eigentlichen Beruf direkt am Patienten, sondern wechseln in die Forschung oder in das Management von Krankenhäusern – oder sie werden Berater. Wie Dr. med. Stefan Drauschke. Er erklärt uns, warum er sich dafür entschieden hat und welche Vorteile der Beruf des Consultants mit sich bringt.

Ich selbst bin seit mehr als 25 Jahren als selbständiger Unternehmer und Berater im deutschsprachigen Krankenhausmarkt aktiv und habe diese Entscheidung damals weniger aus grundsätzlichen Erwägungen heraus getroffen, sondern aus familiären. Mein Vater war mittelständischer Unternehmer und starb während meines Medizinstudiums, das ich dann noch erfolgreich mit Approbation und Promotion abgeschlossen habe, um mich dann ganz und gar der Entwicklung unserer Unternehmensgruppe zu widmen. Nach weiteren Ausbildungen als Trainer und Coach begleiten wir heute mit der GÖK Consulting AG und der NextHealth GmbH u.a. Sanierungs-, Optimierungs- und Veränderungsprozesse in Krankenhäusern, sind an Führungskulturentwicklungsprozessen beteiligt und befassen uns mit persönlichem Coaching und Training direkt mit Führungskräften inkl. ChefärztInnen, Pflegedienstleitungen und Geschäftsführern. Was das Tätigkeitsfeld der Beratung so attraktiv für Mediziner macht, möchte ich aufgrund meiner eigenen Erfahrungen und Erlebnissen von mit mir persönlich bekannten Ärzten, die als Berater tätig sind oder waren erläutern. Drei Thesen sollen dabei die Beweggründe für einen Wechsel in die Beratertätigkeit verdeutlichen. Vorausschicken möchte ich, dass es für Veränderung im Wesentlichen zwei Basismotivationen gibt: Ich habe etwas, was ich loswerden möchte (von weg), oder ich habe etwas nicht, das ich haben möchte (hin zu).

These 1: Die nachfolgende, jüngere Generation Y (nach 1980 geboren) legt Wert auf Lebensbalance zwischen Berufs- und Privatleben sowie auf selbstbestimmtes Handeln.

Die Unternehmenskultur sollte von Wertschätzung und Involvierung auch in Fragen des „Wie“ und „Wohin“ geprägt sein. Die Zeiten ändern sich im Krankenhaus. Die Sozialisierung gerade im ärztlichen Bereich war lange von einer ausgeprägten Ellenbogenmentalität geprägt, in der die „Alpha-Tiere“ mehr oder weniger automatisch Karriere machten und dann ihre Mitarbeiter so führten, wie sie es selbst gewohnt waren: Man lebt, um zu arbeiten und nicht umgekehrt. Die Menschen der jüngeren Generationen sind auch arbeits- und leistungsbereit, doch den Kontext wollen sie sich selbst aussuchen und wann und unter welchen Umständen sie zu Mehrarbeit bereit sind auch. Die Arbeit in Beratungsunternehmen findet in den meisten Fällen in einer kollegialen Atmosphäre statt, man duzt sich gewöhnlich und die Projektbesprechungen mit der Festlegung nächster Schritte erfolgen auf Augenhöhe. Viel Arbeit gibt es auch und unter 60 Stunden die Woche wird kaum ein gefragter und erfolgreicher Berater in die Freizeit gehen. Aber es fühlt sich häufig anders an: Es gibt keinen möglicherweise cholerischen Chefarzt, der einen vor Kollegen auf dem Flur „zusammenfaltet“, der kollegiale Umgang auch mit dem Prinzipal oder Partner des Beratungsunternehmens ist ein anderer und die Arbeit kann leichter nach dem Zubett bringen der Kinder auch von zu Hause geleistet werden. Die gefühlte Selbstbestimmung ist größer, die Unternehmenskultur moderner und meist wertschätzend. Der objektive Arbeitsanfall ist dagegen aber sicher nicht kleiner als im Krankenhaus.

These 2: Die Medizin ist nicht mehr das, was sie früher mal war. Es geht nicht mehr nur um die Gesundung von Patienten, umärztliche Kunst, sondern um Ökonomie, um Effizienz, um Arbeitsverdichtung einhergehend mit chronischem Zeitmangel und letztlich auch um wirtschaftliche Ergebnisse.

Viele Ärzte gehen in die Beratung, weil sie glauben, von dort aus – sozusagen am System und nicht mitten darin – Veränderungen des Gesundheitswesens vornehmen zu können. In der Tat zielen viele Beratungsprojekte darauf ab,Verschwendung abzubauen oder Sachkosten zu senken und dadurch Effizienz zu steigern, ohne die Arbeit weiter zu verdichten. Führungskulturprojekte helfen, den Umgang miteinander unter Kollegen oder von den Führungskräften zu den Mitarbeitern so zu verbessern, dass die zu Führenden auch folgen und die Arbeit mehr Freude macht. So werden auch die Ergebnisse besser. Es handelt sich um die gleiche Motivation, aus der heraus manche Mediziner selbst eine Führungskarriere im Krankenhaus anstreben, ins Medizincontrolling oder das Qualitätsmanagement wechseln und dann irgendwann zum Beispiel hauptamtlicher ärztlicher Direktor oder Geschäftsführer werden. Die Zeit in der Beratung ebnet diesen Weg und ist für viele eine gute Vorbereitung auf eine spätere Führungskarriere. Nach unserer Erfahrung bleiben die meisten Ärzte vier bis fünf Jahre in der Beratung und wechseln dann in die Führung. Wer länger Berater bleibt, ist oft mit Leib und Seele Berater und gründet sein eigenes Beratungsunternehmen oder steigt die Karriereleiter dort hinauf.

These 3: Viele junge Menschen, die in das Berufsleben eintreten, können sich schon heute nicht vorstellen, viele Jahre am gleichen Arbeitsplatz zu arbeiten. Das bezieht sich sowohl auf den Arbeitgeber als auch auf die Region oder die Branche. Abwechslung ist ihnen wichtig.

Es gibt viele Berichte über sogenannte „Arbeitsnomaden“, Menschen, die sich gar nicht mehr anstellen lassen, vielleicht in einer Bürogemeinschaft einen Schreibtisch von Zeit zu Zeit mieten und ansonsten Auftragsarbeit für verschiedene Arbeitgeber verrichten. Berater leben ähnlich, doch ihnen gibt ihr Arbeitgeber, das Beratungsunternehmen, Halt und Identifikation. Hier sind sie Partner oder angestellt und verbringen ein bis zwei Tage pro Woche im Büro oder im Homeoffice. An den übrigen drei bis vier Tagen betreuen sie oft mehrere Klienten in unterschiedlichen Projekten und in verschiedenen Regionen. Viele reizt es, nicht die ganzeWoche den gleichen Schreibtisch sehen zu müssen und dabei verschiedenste Unternehmen, Fragestellungen, Kulturen und Menschen kennenzulernen. Und wenn diese Aktivitäten auch noch zum Erfolg führen und es beim Klienten hinterher besser zugeht als vorher, dann ist das auch noch eine ungemein befriedigende Aufgabe, die oft auch den Patienten und der Behandlungsqualität zu Gute kommt. Vielleicht können Sie sich jetzt vorstellen, warum so viele ÄrztInnen in die Beratungsbranche wechseln und dort auch erfolgreich sind: weil sie mit ihrem Wissen und Können überaus wirksam ihren Beitrag dazu leisten können, die Medizin in Deutschland noch ein bisschen menschlicher werden zu lassen.

Dr. Stefan Drauschke, Juli 2014

Erschienen in Arzt & Karriere, Frühjahr 2014, Ausgabe 7