Weihnachtszeit – Besinnlichkeit – Familienzeit?

Der NextHealth Change-Brief Nr. 19

Weihnachtszeit – Besinnlichkeit – Familienzeit?

Oder besser: Eine Weihnachtsgeschichte

Die Weihnachtszeit ist wieder einmal und viel zu schnell über uns hereingebrochen. Eine schöne Zeit oder eine hektische Zeit? Eine aufgesetzte, kommerzielle Zeit für Geschäftstüchtige oder eine besinnliche, feierliche, christliche Zeit? Alles ist wahr, je nachdem, welche Brille Sie aufsetzen und mit welchen eigenen Einstellungen und Werten Sie an die Sache herangehen.

Wie so vieles in unserem Leben ist die Wirklichkeit um uns herum ein Konstrukt von Interpretationen unserer eigenen Sinneswahrnehmungen, vielfach in verschiedenen Hirnzentren verarbeitet, sortiert, gefärbt und dann als „Wirklichkeit“ auf unsere Großhirnrinde projiziert. Die diesem Prozess zu Grunde liegenden Verarbeitungsmuster werden geprägt von dem, was unser Innerstes zusammenhält. Dazu gehören die in der letzten Kolumne ausführlich beschriebenen Werte. Sie beschreiben das, was uns wirklich wichtig und bedeutsam ist und was uns motiviert, etwas zu tun oder nicht (Vertrauen, Besinnlichkeit, Effizienz etc.). Weiterhin befinden sich in dieser Kategorie die Antreiber, was diejenigen elterlichen Botschaften sind, die sich in unser Unterbewusstsein  eingraviert haben (sei schnell, sei perfekt, mach es allen recht …). Das Modell der Antreiber stammt aus der Transaktionsanalyse nach E. Berne. Diese sind eng mit den Glaubenssätzen oder innersten Überzeugungen verknüpft (ich muss mich immer beeilen, nur perfekt und zu 100% ist ok, ich muss es immer allen recht machen …), die ebenfalls stark subjektiv wirklichkeitsprägend sind. Vor allem ist dabei interessant, dass Glaubenssätze zur Verwirklichung neigen. Wenn ich glaube, dass Weihnachten eine „Kommerzorgie“ ist, dann werde ich auch überall dafür Beweise finden, dass das tatsächlich so ist. In den Geschäften, im Fernsehen, in Prospekten oder in Zeitschriften, ich werde die hektisch nach Geschenken herumschwirrenden Kunden in starkem Verdacht haben, sich Weihnachtsfreude einfach kaufen zu wollen  – absolut  überall werde ich meine Überzeugung mit entsprechenden Wahrnehmungen verstärken können, so dass der Glaubenssatz an Bedeutung und Tragweite gewinnt. Natürlich prägt das auch mein eigenes Verhalten. Ich werde entweder mit einem schlechten Gefühl mitmachen und meine Geschenke rasch zusammenkaufen und mit einem halbgaren Gefühl übergeben oder mich dem Kommerz vollkommen verschließen und aus dem Weihnachtsrummel vielleicht ganz aussteigen.

Wenn ich glauben würde und auch für mich entsprechend erfahren habe, wie schön der „Weihnachtszauber“ sein kann, wenn ich am Heiligen Abend draußen spazieren gehe und mich eine Art magisches Gefühl überkommt, dass heute alles ein bisschen anders ist und mich an viele wunderbare Stunden in der Kindheit erinnern kann, dann nehme ich Weihnachten komplett anders wahr. Ich kann die Vorfreude bemerken,  mit denen manche liebevoll ihre Geschenke aussuchen oder selbst basteln bzw. herstellen und freue mich entsprechend beim Schenken oder beschenkt werden. Ich kann endlich nach einer arbeitsreichen Woche im Kirchenweihnachtskonzert sitzen und meine Lieblingsweihnachtsstücke genießen. Ich kann auch einfach eine Kerze anzünden, einen Lebkuchen naschen (unser Glaubenssatz: erst ab dem 1. Advent) und vielleicht einen wunderbaren Weihnachtsfilm anschauen.

Ein Film, der uns wie das Buch ganz besonders fasziniert, ist die Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens. Es geht im frühkapitalistischen London vor knapp 200 Jahren um einen reichen und außerordentlich geizigen und offenbar menschenverachtenden Mr. Scrooge, der sogar am Weihnachtstag keine Gnade kennt und Überstunden in einem nur spärlich beheizten und mit einer Kerze beleuchteten Büro anordnet und weder mit Hilfsbedürftigen noch mit seiner eigenen Verwandtschaft Mitleid hat. Er lebt entsprechend allein und verbringt auch den Weihnachtsabend ganz für sich, nachdem er jede Einladung ausgeschlagen hat.

Da erscheint ihm als Gruselgestalt sein verstorbener Expartner, der – so wie er selbst – immer nur dem Geld hinterher gehetzt hatte und bei dessen Beerdigung sogar gegeizt wurde. Er ist in Ketten geschmiedet, leidet und warnt, dass ihm das gleiche Schicksal ereilen würde, wenn er so weiter machte. Scrooge traut seinen Augen  nicht und schläft verunsichert ein, als die Erscheinung endlich verschwunden war. Nun suchen ihn nacheinander drei Geister der Weihnacht heim. Zuerst wird er unsanft geweckt durch den Geist der vergangenen Weihnacht. Dieser führt ihn in seine eigene Jugend, er erkennt sich zusammen mit seiner großen Liebe, der er irgendwann in vollem Egoismus den Laufpass gegeben hatte, und er nimmt wahr, dass er sich am Anfang der Entwicklung hin zu dem gegenwärtigen Scrooge befindet. Er spürt aber auch die anderen, weicheren und freundlichen Charakterzüge an seiner Jugendgestalt, die er damals noch besessen hatte. Seine Werte, Antreiber und Glaubenssätze haben ihn dann nach und nach zu dem gemacht, der er jetzt geworden ist. Anschließend erscheint ihm der Geist der heutigen Weihnacht. Dieser verwandelt sein Zimmer in einen wunderbaren, leuchtenden Weihnachtstempel und führt ihn zu seinen Verwandten und zu seinem treuen Mitarbeiter mit dessen krankem Sohn. Er sieht deren ehrliche Weihnachtsfreude und hört, wie über ihn als Geizhals und unfreundlichen Zeitgenossen gesprochen wird, was ihn sehr betroffen macht. Schließlich tritt sehr unheimlich der Geist der zukünftigen Weihnacht auf, der wie der Tod persönlich anzusehen ist und Scrooge in Angst und Schrecken versetzt. Er führt ihn im Schneetreiben auf einen Friedhof, wo er ihm ein finsteres Grab zeigt. Sein eigener Name steht darauf und er muss mit anhören, wie andere ihn verhöhnen, dass der alte Geizkragen endlich weg wäre und ohnehin keiner um ihn trauern würde. Zurückgekehrt fällt er vollkommen irritiert und erschöpft in einen tiefen Schlaf. Am nächsten Morgen ist er sozusagen ein anderer Mensch, er wacht  komplett gewandelt auf. Er begrüßt den Tag, läuft vergnügt durch die Straßen, spendet Geld, wünscht allen herzlich frohe Weihnachten, kauft seinem Mitarbeiter und dessen Familie einen großen Truthahn und verbringt den Weihnachtsfeiertag glücklich im Kreis seiner Familie.

Übertragen auf uns stecken hier einige interessante Denkansätze in der Geschichte. Es ist oft so, dass neue Erfahrungen, insbesondere stark emotionale, neue Überzeugungen und Glaubenssätze hervorbringen können, die sich durch neues Verhalten und damit verbundene neue Wahrnehmungen immer mehr verstärken und zu einer neuen „Wirklichkeit“ führen. Manchmal braucht es dafür allerdings auch starke Interventionen, denn Weihnachtsgeister gibt es in unserer Welt eher nur in Weihnachtsgeschichten. Allerdings begegnen uns auch im „wahren“ Leben manchmal stark berührende Momente oder es kommen Schicksalsthemen oder Menschen auf uns zu, die unser Denksystem ins Wanken bringen. Sie brauchen sich nur einmal zurückzulehnen und vorzustellen, Sie leben noch einige Jahre so weiter wie bisher, behandeln sich selbst, Ihre Familie, Ihre Freunde, Ihre Zeit und Ihre Interessen im gleichen Muster wie jetzt. Was geschieht dann, wie werden sich die Dinge und die Beziehungen entwickeln, insbesondere die, die Sie (eigentlich) sehr lieben, was bleibt Ihnen am Ende? Spätestens, wenn Sie Ihr eigener Geist berührt hat, können Sie spüren, ob mehr vom Selben für Sie hilfreich ist oder doch tiefergreifende  Änderungen anstehen. Doch zurück zur Weihnachtszeit …

Wir hatten einen Coachee, einen Chefarzt, der neben verschiedenen Themen äußerte, dass er Weihnachten hassen würde und mit entsprechenden Gefühlen jedes Jahr den Weihnachtsbaum die Treppe hochträgt in der Überzeugung, wie schrecklich Weinachten wieder werden würde. Was der Denker im Kopf denkt, wird der Beweisführer im Kopf beweisen. Und diese Beweisführung war nicht ohne Konflikte, denn dessen Frau liebte Weihnachten und so gab es jedes Jahr Streit, Enttäuschung und Tränen anstatt guter, festlicher oder liebevoller Gefühle.

Sollten Sie zu denjenigen gehören, die ähnlich wie unser Coachee denkt, haben wir einen ganz praktischen Rat für Sie. Sie könnten es einmal damit probieren, den sogenannten „Was wäre wenn Rahmen“ anzuwenden. Was wäre, wenn Sie – vorerst wirklich nur für ein paar Tage – glauben könnten, dass Weihnachten für Sie etwas ganz besonders Schönes wäre. Betrachten Sie nun mit dieser neuen Denkweise und Überzeugung die beleuchteten Straßen, den Weihnachtsschmuck, hören Sie die Weihnachtsmusik und vergrößern Sie alle damit verbundenen Empfindungen mit einer inneren Lupe. Achten Sie auf jedes noch so kleine gute Gefühl, das sich im weiteren Verlauf hier und da bei Ihnen einstellt. Es ist wichtiger, wie Sie etwas wahrnehmen, als das was Sie wahrnehmen! Halten Sie die guten Gefühle in sich fest, und während Sie das tun, werden Sie mehr und mehr solcher wunderbar  berührenden Momente bemerken können. Nachdem Sie nun auf diese Art genügend Beweise gefunden haben, dass es doch Positives an dieser festlichen Zeit für Sie gibt und den neuen Glaubenssatz vielleicht noch einige Zeit prolongieren, haben Sie nebenbei auch viel für Ihre Flexibilität getan, eine wichtige Führungskompetenz aus dem Kompetenzfeld der Individualkompetenz. Ganz nebenher haben Sie auch eine Technik zur Arbeit an Glaubenssätzen erfolgreich ausprobiert. 

Eines bleibt mit Sicherheit am Ende zu sagen: Ob Sie die Weihnachtszeit mögen und ihren Zauber wahrnehmen und genießen können – oder nicht, bleibt am Ende Ihre eigene Entscheidung. Sie sind verantwortlich für Ihre eigenen Gefühle, nicht nur zu Weihnachten. Unser Rat ist daher: Bevorzugen Sie für sich die Variante, die Ihnen und denen, die Sie lieben, mehr Freude und mehr Zufriedenheit beschert. Frohe Weihnachten! erschienen in Klinik Markt inside 24/2013

Dr. Stefan Drauschke, Dezember 2013

erschienen in Klinik Markt inside 24/2013