Wertschätzend Kommunizieren 3

Der NextHealth Change-Brief Nr. 26

Wertschätzend Kommunizieren (Teil 3)Gewaltfreie Kommunikation nach M. Rosenberg

Im dritten Teil von  „wertschätzend kommunizieren“ stellen wir Ihnen das Modell der „gewaltfreien Kommunikation“ nach M. Rosenberg vor. Er ist ursprünglich klinischer Psychologe, promovierte an der University of Wisconsin-Madison und führte schon lange Mediationsprogramme und Trainings zur Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit durch, um Gemeinden zu unterstützen, die die Rassentrennung an Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen überwinden wollten. Er versteht das von ihm entwickelte Konzept der Gewaltfreien Kommunikation (GfK) als eine Methode zur Verbesserung des zwischenmenschlichen Miteinanders, gelungener Kommunikation und dauerhaft friedlicher Beziehungen, und zwar auf der Basis von echtem empathischen Kontakt.

Die GfK integriert Erkenntnisse von Carl Rogers, dem „Vater“ der Humanistischen Psychologie und der klientenzentrierten Gesprächstherapie sowie Überlegungen Gandhis zur Gewaltfreiheit. Rosenberg selbst sagt, dass sein Konzept nichts wirklich Neues beinhalte, doch der Begriff „GfK“ steht seit langem und weltweit für gute zwischenmenschliche Kommunikation in Familien, Schulen, Organisationen, in Therapie, Beratung und bei diplomatischen und geschäftlichen Verhandlungen. Selbst in den Krisen- und Kriegsgebieten greift man auf Rosenberg zurück, um gewaltfreie Kommunikation, selbst zwischen verfeindeten Volksgruppen, zu fördern.

Die Grundsätze der GfK helfen uns, hinter Worten, Argumenten oder einer beurteilenden Aussage, die Bedürfnisse und Wünsche zu erkennen, und zwar sowohl die eigenen als auch die des Gegenüber. Wenn einem klar ist, worum es wirklich geht, ist der Weg zu einer für beide Seiten zufriedenstellenden Lösung oft schon nah. Doch damit fängt das Problem für manche schon an. Wer kennt seine eigenen Bedürfnisse denn wirklich, und wer interessiert sich denn überhaupt für die der anderen?

Grundlegendes Ziel in der GfK ist es
 

  1. zu  verstehen und verstanden zu werden und nach echten Lösungen und Wegen zu suchen, die die Bedürfnisse aller Beteiligten berücksichtigen (Konsens-/Win-Win-Lösungen)
  2. respektvollen, partnerschaftlichen Umgang zu pflegen
  3. aus einer inneren Kraft zu agieren und in Verbindung mit den eigenen Werten zu leben
     

Marshall Rosenberg hat schon frühzeitig die Metapher von der Wolfssprache und der davon gänzlich unterschiedlichen Giraffensprache eingeführt, um das Wesen der GfK näher zu bringen. Der Wolf mit seinem Jagdtrieb und den scharfen Zähnen analysiert: „Wenn du das und das beachtet hättest …“, kritisiert: „So geht es nicht, das macht man so und so …“, interpretiert: „Das machst du nur, weil …“, weiß, was mit dem anderen nicht stimmt: „Du bist klug, faul, dumm, richtig oder falsch…“, bewertet, lobt, legt Maßstäbe an: „Bei uns gibt es das nicht“ –  „das hast du gut / schlecht gemacht…“, straft bzw. droht mit Strafen: „Wenn du nicht sofort…, dann…“, achtet auf Regeln und Normen und fühlt sich im Recht.

Die Giraffe mit der Übersicht auf Grund ihres langen Halses und des großen Herzens spricht auch die Sprache des Herzens. Sie achtet auf ihre Gefühle und ist sich der dahinter liegenden Bedürfnisse bewusst. Die Giraffe achtet auf die Gefühle der anderen und versucht, deren Bedürfnisse herauszufinden. Sie respektiert die Bedürfnisse aller, trennt Beobachtung und Bewertung und bittet oder wünscht, statt zu fordern. Die Giraffe übersetzt Angriffe, Vorwürfe, Beleidigungen und Forderungen anderer in Gefühle und Bedürfnisse und agiert auf dieser Grundlage weiter, ohne gleich in die Verteidigungshaltung gehen zu müssen.

Die Grundhaltungen der GfK sind gemäß der Humanistischen Psychologie nach C. Rogers Echtheit und Authentizität, Emphatie und Akzeptanz und ein Grundvertrauen ins Leben und das Gute im Menschen, verbunden mit dem Wunsch nach partnerschaftlichem Umgang und Gleichwertigkeit.


Abb. 1: Das Modell der GfK nach M. Rosenberg


Der erste Schritt: Wahrnehmung statt Interpretation oder Bewertung

Im ersten Schritt der GfK werden eigene Wahrnehmungen kommuniziert. Man unterscheidet dabei deutlich Beobachtung und Interpretation oder gar Bewertung. Die Beobachtung ist eine sinnliche Wahrnehmung, also was ich sehen, hören, riechen, schmecken kann. Die Interpretation zeigt, wie ich diese Wahrnehmung beurteile oder was ich über sie denke, die Bewertung unterscheidet zusätzlich noch in gut und schlecht. So sagt die Giraffe beobachtend: „Der Mülleimer steht noch voll in der Küche …“. Der Wolf bewertet gleich: „Weil Du heute zu faul warst, den Müll rauszubringen …“. Die Giraffe sagt: „Sie sind in dieser Woche dreimal 15 Minuten zu spät gekommen…“. Der Wolf droht: „Wenn Sie Ihre Arbeit nicht ernst nehmen, dann …“.

Der zweite und dritte Schritt: Gefühle und Bedürfnisse als Ich-Botschaft artikulieren

Im zweiten Schritt der GfK geht es darum, eigene Gefühle wahrzunehmen und darüber als Ich-Botschaft zu sprechen. Es ist wichtig, was wir wirklich fühlen, was oft ein Ausdruck über den eigenen emotionalen Zustand vor dem Hintergrund befriedigter oder nicht befriedigter Bedürfnisse ist. Die Giraffe sagt beispielsweise „ich bin traurig, wütend, locker, entspannt, glücklich, fassungslos, stolz oder ärgerlich“. Achtung, wenn ich mich dagegen „verärgert fühle“, dann ist das ein Hinweis darauf, was ein anderer mit mir gemacht hat, also damit auch keine echte Ich-Botschaft mehr. Dahinter steckt „Du hast mich ver- oder geärgert, Du bist Täter, ich Opfer …“. Es wäre doch interessant herauszufinden, welches Bedürfnis tatsächlich hinter meinem Ärger steht, um mehr Handlungsoptionen offen zu haben.

Viele Menschen sind es gewohnt, den Grund für ihre Gefühle in den Handlungen der anderen zu sehen. „Ich bin traurig, weil Du zu spät kommst!“ oder „Ich fühle mich verletzt, weil Du mich für unehrlich hältst.“. In der Gewaltfreien Kommunikation fühle ich mich niemals so, weil Du…, sondern weil ich … . „Ich bin traurig, weil ich gerne die Zeit mit dir verbracht hätte.“. Also nicht die Handlungen des anderen lassen uns Gefühle erleben, sondern unsere erfüllten oder nicht erfüllten Bedürfnisse wie Harmonie, Lebensfreude, Entspannung, Sicherheit oder Sinn.

Der vierte Schritt: Bitte und Forderung

Die GfK unterscheidet die Bitte und die Forderung voneinander. Der vierte Schritt der Giraffensprache ist der Ausdruck einer Bitte, eines Wunsches. Manchmal ist eine Bitte in Wirklichkeit eine Forderung, auch wenn der Satz das Wort „Bitte“ enthält und ganz freundlich vorgetragen ist. Ob eine Bitte eine Bitte oder eine Forderung ist, erfahren wir an der Reaktion, wenn wir mit „nein“ antworten: Wenn Sie darum bitten „Würdest Du bitte den Mülleimer raustragen?“ und die Antwort lautet „Nein, ich möchte jetzt fernsehen“ und Sie dann kontern mit „Du bist faul und egoistisch, ich arbeite schließlich auch den ganzen Tag…“, dann war Ihre Bitte keine Bitte, sondern eine Forderung. Das zu bekommen, was man braucht, und zwar obligat, um Zielerreichung und Leistung sicherzustellen, ist i.d.R. eine Forderung. Eine Bitte ist etwas höflich haben wollen, es besteht die ehrliche Wahlmöglichkeit, ob sie abgelehnt wird oder nicht, ganz ähnlich wie bei einem Angebot.

Wir wollen das Grundmodell der GfK einmal anhand eines krankenhausspezifischen Beispiels näherbringen:

Gewaltfreie Kommunikation „Wolfssprache“
 Situation „Gestern war die Dienstplanung für die nächste Woche noch nicht erstellt.“ „Sie gehen nachlässig mit der Dienstplanung um. Nur wegen Ihnen läuft hier gar nichts richtig.“
 Gefühl „Ich bin wirklich ärgerlich“ „Ich bin dadurch verärgert, es ist Ihnen wohl total egal, wie der Laden hier läuft“
Bedürfnis „Da ich für das Haus verantwortlich bin, ist mir sehr wichtig, dass hier alle wissen, wann und wo sie nächste Woche eingeteilt sind.“ „Sie sind unfähig Dienstpläne rechtzeitig zu schreiben, Sie Versager“
Bitte/
Forderung
 „Ich bitte darum, den Plan umgehend fertigzustellen und ihn in der nächsten Woche schon einen Tag vorher bereitzuhalten“ „Wenn der Plan nächste Woche nicht rechtzeitig fertig ist, dann werden Sie die Konsequenzen tragen!“

Grenzen und Möglichkeiten der GfK

Immer dann, wenn zu wenig Zeit zum Austausch und miteinander reden vorhanden ist oder keine Zeit und Bereitschaft, um dieses Format so zu lernen, dass man es elegant anwenden kann, ist die Wirksamkeit dieser Art der wertschätzenden Kommunikation gering. Voraussetzung ist auch, dass mindestens eine Person in die Giraffenrolle schlüpft und die entsprechende Grundhaltung der GfK präsent ist. Funktionierende GfK heißt, Verbindung und Vertrauen aufzubauen und die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass mein Gegenüber mit mir kooperieren möchte und WIN-WIN-Lösungen gefunden werden können. Ziel der GfK ist es nicht, den anderen zu manipulieren oder eigene Strategien strikt durchzusetzen.

Einer unserer Trainer hat einmal gesagt, dass eine gute Beziehung vor allem davon lebt, sich wechselseitig Angebote zu machen, die zu einem guten Teil auch angenommen werden. Auch wenn Sie glauben, Sie müssten im Unternehmen ständig fordern und könnten nicht wünschen, werden Sie im Laufe der Zeit verstehen, dass gute Beziehungen auch hier von wechselseitigen Angeboten getragen werden, die zu einem guten Teil auch angenommen werden. Wenn dies nicht (mehr) der Fall ist, weil man Ihren Wünschen als Chef nicht mehr bereit ist nachzukommen, dann werden Sie aufhören Angebote zu formulieren und eine Trennung wird unvermeidbar.

GfK ist die Grundlage für eine partnerschaftlich-kooperative und partizipative Unternehmenskultur, die von den nachrückenden jüngeren Generationen wie selbstverständlich vorausgesetzt wird. Beziehungen zwischen den Menschen im Unternehmen werden durch die GfK wirklich nachhaltig gefördert. Die Mitarbeiter sind  widerstandsfähiger gegen Krisen, sie stehen zu ihren Werten und artikulieren das auch. Sie werden vermutlich gerne mit Ihnen im Unternehmen arbeiten und die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich voll einbringen zum beiderseitigen Vorteil  ist hoch.

Nachdem Sie die Kolumne bis hierher gelesen haben, freuen wir uns darüber, dass Sie Ihre knappe Zeit dafür verwendet haben. Uns ist es sehr wichtig, Ihnen Anregungen und neue Impulse anzubieten, die Sie erfolgreicher und zufriedener werden lassen. Daher wünschen wir uns, dass Sie einfach immer wieder einmal ausprobieren, was wir Ihnen hier anbieten – und hinterher darüber urteilen, ob für Sie etwas Nützliches dabei war. Viel Spaß dabei  und das war zum Schluss unser Giraffendank in vier Schritten!

In der nächsten Kolumne möchten wir noch der provokanten These nachgehen, dass Wertschätzung im Unternehmung durchaus auch der Leistung folgen kann  und ein webbasiertes Feedbacktool vorstellen, das es bei einer guten Feedbackkultur in Ihrem Unternehmen ermöglicht, Elemente der Führungskultur und Führungskulturentwicklung  zu „messen“ und darüber hinaus noch wertvolle Anreize für Veränderungen zu generieren.
 

Dr. Stefan Drauschke, Mai 2014

Erschienen in der KMi-Kolumne, Klinik Markt inside 10/2014