Wertschätzung und Leistungskultur

Nachdem wir uns in den letzten drei Folgen mit Menschenbildern, der Transaktionsanalyse, dem Unterschied von Feedback und Urteil sowie der gewaltfreien Kommunikation befasst haben, möchten wir uns heute einmal dem Begriff der Wertschätzung von der ökonomischen Seite aus nähern und anschließend die zuerst angesprochenen Betrachtungen von Wertschätzung mit der ökonomischen wieder in Einklang bringen.

Der bekannte Managementautor Reinhard Sprenger („Vertrauen führt“, „Mythos Motivation“ etc.) hat in der Wirtschaftswoche (Nr.20 2014, S.74) darüber geschrieben, dass man das Thema Wertschätzung auch ganz anders betrachten kann als im unternehmenskulturellen Kontext üblich. Er stellt die Frage, um welchen „Wert“ es sich denn da handelt, nach dem sehnsüchtig in den meisten Firmenkulturevaluationen gefragt wird. Wenn man soziale Beziehungen in Unternehmen, auch in Krankenhäusern, als Leistungspartnerschaften betrachtet, dann wird wertgeschätzt, wer seine Aufgabe und die damit verbundene Rolle gut ausführt und Leistung zeigt. Es wird die Pfegekraft wertgeschätzt, wenn es dem Patienten p’egerisch gut geht, der Dekubitus besser wird oder gar nicht erst entsteht und die Spätschicht nach der Frühschicht eine so gute Übergabe erfährt, dass nicht alles noch einmal neu erfragt werden muss und die Patienten sowie die Angehörigen den Eindruck erhalten, hier wüssten alle, was wann und warum zu tun ist. Die Ärzte werden wertgeschätzt, wenn sie die richtigen Diagnosen und Therapien verordnen und durchführen und dem Patienten damit zur besseren Gesundung, i.d.R. gemeinsam mit der Pfege, verhelfen und die Klinik für ihre Leistungen wie ein Leuchtturm auch weit über das eigentliche Einzugsgebiet hinaus strahlt. Wenn es sich um Chefärzte handelt, dann ist „daneben“ auch noch die eigene Klinik mit ihren Menschen und materiellen Ressourcen wirtschaftlich erfolgreich zu führen, was Werte schafft und geschätzt wird. Die internen Dienstleister wie die Personalabteilung, Controlling, IT, Einkauf und Logistik werden wertgeschätzt, wenn sie mit optimierten und patientenzentrierten Tertiärprozessen dafür sorgen, dass die medizinischen Mitarbeiter am Patienten hervorragende Arbeit leisten können oder am besten so gut funktionieren, dass sie gar nicht so richtig bemerkt werden. Und so könnten wir alle Berufsgruppen im Krankenhaus durchdeklinieren, bis hin zum Geschäftsführer/Vorstand, der sowohl seine Systeme so managed als auch die Menschen im Unternehmen so führt, dass mit den vorhandenen Ressourcen die gesteckten Ziele des Gesamtkrankenhausunternehmens erreicht werden – und es dabei auch noch ein attraktiver Arbeitgeber bleibt.

Diese Deutung entspricht der ursprünglichen Bedeutung von Wertschätzung, wie sie aus der Ökonomie kommt und sich auf das Schaffen von materiellen und immateriellen Werten bezieht. Wenn jemand durch gute Leistung Werte schafft, dann wird dies auch wertgeschätzt. Wenn durch geringe oder schlechte Leistung Werte eher verringert oder vernichtet werden, dann fällt die Wertschätzung auch geringer aus. Hier findet Abwägen und Beurteilen statt in einem Tauschgeschäft, in dem die geschaffenen Werte geschätzt werden und die so wichtige Wertschätzung der ausgelobte Preis für gute Ergebnisse für den Leistungserbringer ist. Zugegeben, das liest sich ein wenig materialistisch und man könnte umgekehrt daraus auch schlussfolgern, dass die so oft erhobene Forderung nach wertschätzendem Umgang ohne Bewertung des Leistungsbeitrages darauf hinausläuft, auf die Bewertung des Leistungsbeitrages eines Mitarbeiters ganz zu verzichten und jeden einfach so zu sehen, wie er sich selbst sieht und sich damit auch zufrieden zu geben.

Doch nehmen wir jetzt einfach die Perspektive des Mitarbeiters ein. Wenn dieser sich nicht wertgeschätzt fühlt, dann heißt das nach dem oben Beschriebenen, dass der Vorgesetzte den Wert seiner Leistung nicht genügend anerkennt. Insbesondere, wenn der Mitarbeiter selbst diesen Wert höher einschätzt als der Vorgesetzte, dann riskiert dieser, dass der Mitarbeiter sich nach einer anderen Arbeitsstelle umsieht, in der er für die gleiche Leistung mehr Wertschätzung erhalten würde.

Das bedeutet aber, dass die Feststellung, im Unternehmen wäre Wertschätzung vorhanden oder nicht, schon deswegen irrläufig ist, weil der Begri; nicht für sich allein stehen kann, sondern immer auf Leistungsvorgaben und Ergebniskontrollen sowie einen darauf basierenden Dialog beruht, der entweder das ebenso oft eingeforderte Feedback darstellt oder ein strukturiertes Mitarbeitergespräch voraussetzt. Es geht um die Kommunikation wechselseitiger Erwartungen, um Verhandlung von Leistung und Leistungsbereitschaft sowie von Leistungsbedingungen und letztlich um die Frage, ob man im Unternehmen zusammenpasst oder nicht. Auch Sonja Radatz, die mit hohem humanistischem Anspruch und nach systemischen Prinzipien Unternehmen in Veränderungsprozessen begleitet postuliert, dass nicht das Unternehmen für die darin arbeitenden Menschen da ist, sondern das Unternehmen sich die Menschen sucht, mit denen es seinen Unternehmenszweck am besten verwirklichen und die gesetzten Ziele am besten erreichen kann. Jim Collins schreibt in seinem bekannten Buch „Der Weg der Besten“, dass nicht die Mitarbeiter das wichtigste Kapital für die Unternehmen sind, sondern die „richtigen Mitarbeiter“.

Nun ist es eine der wichtigsten Kompetenzen von Führungskräften, mit Doppeldeutigkeiten, den sogenannten Ambiguitäten, gut umgehen zu können. Neben der Wertschätzung von Leistung gibt es natürlich auch das eigene Menschenbild und die wertschätzende Haltung zu sich selbst und anderen Menschen – und zwar unabhängig von der gezeigten Leistung und dem abgelieferten Ergebnis. Diese menschenliebende Grundhaltung setzt das Bewusstsein dafür voraus, dass gute Leistungen immer auch kontextabhängig sind und jeder – im richtigen Kontext – grundsätzlich in der Lage ist, mit einem guten Zugang zu seinen eigenen, vorhandenen Ressourcen gute Leistungen zu erbringen.

Diese Einstellung ist eine wichtige Grundlage einer wertschätzenden Unternehmenskultur, insbesondere in Dienstleistungsbranchen und noch viel mehr im Gesundheitswesen, wo es um Gesundung im weitesten Sinne geht. Den Wert des Menschen an sich Wert zu schätzen, ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung, um ein Unternehmen erfolgreich zu führen. Ein grundsätzlich Menschen wertschätzendes Menschenbild ist wichtig, damit Menschen bereit sind, im Unternehmen Leistung zu zeigen. Doch die Leistung muss auch tatsächlich für das Unternehmen gebracht werden, damit dieses erfolgreich ist. Nach dem ebenso von Jim Collins stammenden Grundsatz „erst wer, dann was“ kommen erst die richtigen Menschen im Unternehmen zusammen, um dann das richtige zu tun. Wenn sie dann nicht tun, was und wie es zu tun ist, dann können einige wertschätzende und kritische Feedbacks vielleicht helfen, dass mehr vom Richtigen richtig getan wird. Man kann als Chef auch die Erwartungen noch klarer de=nieren und bei der Leistungserbringung Unterstützung anbieten, wenn der Wille und die richtige Einstellung beim Mitarbeiter vorhanden sind. Doch wenn das alles keine Wirkung zeigt und sich die gewünschten Ergebnisse einfach nicht einstellen, dann kann die Arbeitsleistung auch nicht mehr wertgeschätzt werden, weil nicht genügend davon vorhanden ist. Dem Mitarbeiter als Mensch ist natürlich weiterhin Wertschätzung entgegenzubringen, was sich dann allerdings darin zeigt, ihm nicht länger beim Scheitern tatenlos zuzusehen und zügig ein klärendes Gespräch zu führen: entweder Sie bieten eine neue Herausforderung an andere Stelle im Unternehmen an, die besser zu Neigung und Können des Mitarbeiters passt oder Sie legen die Trennung und den Wechsel in ein anderes Unternehmen oder eine andere Branche nahe, in denen ggf. mehr Aussichten auf Erfolg bestehen. Dieses Trennungsgespräch wertschätzend und nicht abwertend oder gar vernichtend zu führen, bedarf hoher Achtsamkeit, viel Respekt und Wertschätzung gegenüber dem in dieser Ausnahmesituation vor einem sitzenden Menschen an sich.

Wir würden uns freuen, wenn es uns gelungen wäre, den Bogen zwischen den beiden vermeintlichen Polen der Wertschätzung von Leistung und Wertschätzung des Mitarbeiters als Menschen zu schließen und dabei zu klären, dass es immer beides braucht, um als Führungskraft erfolgreich im Unternehmen wirksam sein zu können. Vielleicht hilft es auch dabei, die Diskussion über Wertschätzung als wichtiges Element der Kultur in Ihrem Unternehmen so zu führen, dass das Bewusstsein in der Mitarbeiterschaft zunimmt, dass es sich auch bei Ihnen um eine Leistungsgemeinschaft handelt, in der der Dialog über gute und auch erzielbare Ergebnisse die Grundlage für die so wichtige Wertschätzung bildet.
 

Dr. Stefan Drauschke, Juli 2014

Erschienen in der KMi-Kolumne, Klinik Markt inside 12/2014